Der Hexentanz auf dem Brocken.
Eine Sammlung von deutschen Volksmährchen möchte wohl am schicklichsten mit einem solchen eröffnet werden, das ein in ganz Deutschland allgemein bekanntes ist, und daher den Namen eines Volksmährchens der Deutschen im vollen Umfange des Wortes verdient. Es sind deren einige da, wovon ich für dieses erste Bändchen das vom Hexentanze auf dem Brocken wähle.
Die Teufelskanzel und der Hexenaltar auf der Brockenkuppe. (Granit)
Auf dem Harzgebirge giebt es einen hohen, hohen Berg, der über alle
Berge, wohl funfzig Meilen in der Runde, weit hinwegsieht. Er heißt:
der Brocken. Wenn man aber von den Zaubereien und Hexenthaten, die auf
und an ihm vorgehen und vorgegangen sind, spricht, so heißt er auch
wohl der Blocksberg. Auf dem Scheitel dieses kahlen, unfruchtbaren Berges
- der mit hunderttausend Millionen Felsstücken übersäet
ist - hat der Teufel jährlich, in der Nacht vom letzten April auf
den ersten Mai, der so genannten Walpurgisnacht, mit seinen Bundesgenossen,
den Hexen und Zauberern der ganzen Erde, eine glänzende Zusammenkunft.
So wie die Mitternachtsstunde vorüber ist, kommen von allen Seiten
diese Wesen auf Ofengabeln, Besen, Mistforken, gehörnten Ziegenböcken
und sonstigen Unthieren, durch die Luft herbeigeritten, und der Teufel
holt mehrere selbst dazu ab. Ist alles beisammen, so wird um ein hoch
loderndes Feuer getanzt, gejauchzt, mit Feuerbränden die Luft durchschwenkt
und bis zur Ermattung herum geras't. Von Begeisterung ergriffen, tritt
alsdann der Teufel auf die "Teufelskanzel", lästert auf
Gott, seine Lehre und die lieben Engelein, und zum Beschluß giebt
er, als Wirth, ein Mahl, wo nichts als Würste gegessen werden, die
man auf dem "Hexenaltar" zubereitet. Die Hexe, die zuletzt
ankommt, muß, wegen Vernachlässigung der herkömmlichen
Etiquette, eines grausamen Todes sterben. Sie wird nämlich, nach
der letzten glühenden Umarmung des Regenten der Unterwelt, in Stücken
zerrissen, und ihr auf dem Hexenaltar zerhacktes Fleisch, den andern zum
warnenden Beispiel, als eine der Hauptschüsseln des Schmauses vorgesetzt.
Mit anbrechender Morgenröthe zerstäubt die ganze saubere Sippschaft
nach allen Windgegenden hin.
Damit diese Unholde auf ihrer Hin- und Zurückreise weder Menschen
noch Vieh Schaden zufügen können, so machen die Bewohner der
Oerter um den Brocken vor der einbrechenden Walpurgisnacht an die Thüren
der Häuser und Ställe drei Kreuze, und sind dann des festen
Glaubens, daß sie und das Ihrige nun von den durchziehenden Geistern
und bösen Wesen nicht behext werden können.
* * *
Der Schlüssel zu diesem Mährchen ist
wohl ziemlich klar in der Geschichte Karls des Großen zu finden.
Als Karl mit eben so viel Bekehrungs- als Eroberungsgeiste die kriegerische
Schaubühne in Deutschland zuerst betrat, waren die Deutschen, namentlich
die Sachsen, noch freie Völker voll Kraft und Muth, die sich durchaus
nicht einer fremden Herrschaft sklavisch unterwerfen wollten. Als eifrige
Götzendiener lag ihnen aber die Religion ihrer Väter nicht weniger,
als ihre Freiheit am Herzen. Karl bot alle seine Kräfte auf, sie
zu überwinden. Indessen wollte er nicht bloß dieß, er
wollte sie auch zum Christenthum bekehren. Dadurch wurde er aber in einen
Krieg mit den Sachsen verwickelt, der über drei und dreißig
Jahre dauerte. Oft wurden die letztern geschlagen, aber nach jedem Siege
Karls, und nach jedem Friedensschlusse, griffen sie immer wieder zu den
Waffen, und nach jeder scheinbaren Annahme des Christenthums kehrten sie
zum Götzendienste zurück. Dieß erbitterte Karln zuletzt
so sehr, daß er, nach damaligen schrecklichen Toleranzbegriffen,
Gewalt brauchte, viele, die sich nicht wollten taufen lassen, niederhauen
ließ, und gebot, daß diejenigen, welche nach der Annahme des
Christenthums fortfahren würden, als Heiden zu leben, und den Götzen
zu dienen, mit dem Tode bestraft werden sollten.
Die heidnischen Sachsen mußten zwar endlich der Gewalt weichen,
und öffentlich die Taufe annehmen; allein in ihren Herzen blieben
sie dennoch Heiden, und wenn sich Karl mit seinem Kriegsheere zurückgezogen
hatte, so opferten sie in den Wäldern von neuem den alten Götzen.
Karl ließ darauf ihre Altäre und Götzenbilder zerstören.
Da sie hierdurch gehindert wurden, ihre Opferfeste in der Ebene zu feiern,
so flüchteten sie in die Wälder und Gebirge des Harzes, und
namentlich auf den Brocken, der damals noch wenig zugänglich seyn
mochte. Karl gewahrte dieß nicht so bald, als er an den vorzüglichsten
Opferfesttagen die Zugänge zu den Gebirgen mit Wache besetzen ließ.
Allein die Sachsen sannen auf List, dennoch an den Freuden ihrer Opferfeste
Theil nehmen zu können. Sie verkleideten sich in scheußliche
Larven, bewaffneten sich mit Heuforken und Ofengabeln, und erschreckten
dadurch des Nachts die Wachen so, daß diese die Flucht ergriffen.
Im Nothfall bedienten sie sich ihrer Instrumente auch zum Schutze gegen
wilde Thiere. Vielleicht bedurften sie ihrer auch beim Opferfeuer selbst,
theils zum Nachlegen des Holzes, theils zum Herausziehen der Feuerbrände,
mit welchen in der Hand sie in Schmaus und Fröhlichkeit um das Opferfeuer
herum tanzten. Da auf den Höhen des Harzes, wenigstens auf dem Brocken,
am Feste des ersten Maies gewöhnlich noch Schnee lag, so bedurfte
man der Besen, auf deren Stielen die Fabel die Damen der Walpurgisnacht
reiten läßt, zum Fegen und Reinigen des Opferplatzes.
Die damaligen Christen hielten allgemein den Götzendienst für
Teufelsdienst, und glaubten nichts gewisser, als daß der Teufel
selbst, trotz der mit christlichen Wachen besetzten Wege zu den Opferplätzen,
seine treuen Anhänger zu unterstützen wisse, und durch die Luft
zum Brocken hinjage. Ein Wahnglaube, welchen die abergläubische Wache
durch ihr Geschwätz von den gesehenen Teufelsmasken und Hexengestalten
zur Bemäntelung ihrer Flucht entweder veranlaßte, oder doch
nährte, in dem sie ihm nicht widersprechen durfte.
Auf diese historisch wahren Umstände gründet sich die Fabel
von der Hexenfahrt auf dem Brocken.
Warum sie der Nacht vor dem ersten Mai angedichtet worden ist, läßt
sich zwar nicht mit Gewißheit beantworten, aber doch mit Wahrscheinlichkeit.
Da nämlich die heidnischen Deutschen eins ihrer größten
und fröhlichen Feste - das Fest der wiederkehrenden schönen
Jahreszeit - am ersten Mai, also um die Zeit feierten, wo unsere Ostern
und Pfingsten fallen; - da sie in dieser Absicht ihre Wohnungen und Opferplätze
mit Maien oder jungen Birken auszuschmücken und um das mächtige
Opferfeuer herum frohlockend zu tanzen pflegten, und da endlich dieß
Fest vorzüglich der in den Harzgegenden so sehr verehrten Göttin
Ostera geheiligt gewesen zu seyn scheint: so ist es in der That mehr als
bloß wahrscheinlich, daß die große Anhänglichkeit
der Sachsen an dieß besonders fröhliche Fest des ersten Maies
jenes unaufhaltsam nächtliche Zuströmen der Unholde zum Opferplatze
veranlaßte; - daß der in mehreren Gegenden Deutschlands noch
bis auf diesen Tag herrschende Gebrauch, am Pfingstfeste die Häuser
und Kirchen mit Maien zu schmücken, noch ein Rest von jener heidnischen
Feierlichkeit ist; - daß die ebenfalls noch übliche Gewohnheit
der jungen Bursche in und am Harz, am ersten Osterabend auf den Bergen
ein großes Freudenfeuer anzuzünden, und da herum zu tanzen,
von den heidnischen Tänzen der ersten Mainacht herstammet, - und
daß endlich vielleicht unser deutsches Wort selbst aus dem Götzenthum
in die Kirchensprache der Christen hinübergetragen ist.
Büsching in seinen Volkssagen, Leipzig 1812, 2te Abtheil. S. 339,
theilt ein altes Lied von dem Brockenmährchen mit. - Reise durch
den Harz und die hessischen Lande, Braunschweig 1797. 8. S. 17 - 27, spricht
umständlich über Entstehung desselben.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen,
Halle 1814