Die Erzminen Annaberg's und Goslar's.
Die Entdeckung der Erzminen Annaberg's im sächsischen Erzgebirge,
und Goslar's am Harze, fällt so tief in die dunkle Vorzeit zurück,
daß die wirkliche Geschichte derselben nur aus Hypothesen besteht.
Die Fabel hat dagegen die Auffindung dieser noch immer ergiebigen Minen
außer allen Zweifel zu setzen gewußt; denn sie erzählt
Folgendes davon:
Es lebte einmal ein armer Bergmann, mit Namen Daniel Knappe. Er hatte
Weib und Kind, liebte sie sehr, war aber nicht vermögend, sie mit
seinen Händen zu ernähren. Er arbeitete zwar rastlos und betete,
doch seiner Noth war kein Ende. So hoch aber auch sein Unglück stieg,
so wich und wankte sein Glaube doch nicht.
Da erschien ihm eines Nachts ein Engel im Traum, der sprach:
»Geh' hin und suche in der tiefsten Tiefe des Waldes den Baum auf,
in dessen Zweigen silberne Eier ruhen. Du wirst ihn erkennen an seiner
Größe; denn kein Baum im ganzen Walde kann sich ihm vergleichen.«
Daniel erwachte, fühlte sich gestärkt, und als der Morgen kaum
graute, eilte er in den Wald, den Baum zu suchen. Tief drang er ein in
das verworrenste Dickicht, wo vielleicht noch kein menschlicher Fuß
gewesen war, und fand endlich den hohen gewaltigen Baum. Aber keine silbernen
Eier konnte er erspähen, so sehr er sich auch mühte, Zweig für
Zweig mit den Augen zu durchsuchen.
Traurig und ganz niedergeschlagen, den schönen Traum unerfüllt
zu sehen, wollte er schon wieder heimkehren, als mit einem Male der Engel
ihm zur Seite stand, und sprach:
»Gott ist hülfreich und wahrhaft, wo du auch keinen Ausweg
siehst. Der Baum hat auch Zweige in der Erde. Dir sey geholfen um deiner
Treue und Liebe willen!«
Der Engel verschwand; aber Hoffnung und Muth stärkte den armen Bergmann,
und er grub am Fuße des Baumes.
Von seinen Wurzeln durchflochten, fand er da reiche Silberstufen in Menge.
Er staunte, er weinte vor Freude; denn ihm und den Seinigen war nun geholfen.
Annaberg, das freundliche Städtchen, erhob sich hierauf in dieser
waldigen Gegend, und ergiebige Bergwerke umher. Den 21sten des Herbstmonds
im Jahre 1496 legte Herzog Georg der Bärtige den Grund dazu.
Die Erzminen um Goslar am Harz, und besonders die reichen bis auf unsere
Tage noch immer ergiebigen Bergwerke des bei dieser Stadt gelegenen Rammelsberges,
läßt die Sage auf folgende Art entdecken:
Kaiser Otto der Große, der in den Gegenden des Nieder- und Vorharzes
oft sein Hoflager hatte, war einmal auf seiner Burg Harzburg bei Goslar.
Da ritt einer seiner Jäger, Ramm hieß er, aus auf die Jagd.
Auf diesem Ritt kam er an den Berg, der nachher den Namen Rammelsberg
erhielt und noch jetzt führt. Das Dickicht war so stark, daß
er mit dem Pferde nicht durch konnte. Er band es daher an einen Baum,
um seinen Weg zu Fuß besser fortsetzen zu können, und ging.
Dem Pferde mochte sein Herr aber zu lange ausbleiben, daher es vor Ungeduld
stampfte und die Erde wegscharrte. Als nun Ramm nach einigen Stunden zurückkam,
erstaunte er, als er unter seines Gauls Füßen die reichsten
Erzstufen hervorblinken sah, die es durch sein Scharren und Kratzen von
dem sie bedeckenden Rasen entblößt hatte.
Er theilte seinem Herrn, dem Kaiser, die gemachte Entdeckung mit, worauf
dieser aus Frankenland Bergleute kommen ließ, die den Bergbau hier
einrichten mußten. Zur Erhaltung des Andenkens an Ramm bekam der
Berg den Namen Rammelsberg, und die Stadt Goslar vergrößerte
sich seitdem sehr. Auch wurde Ramm nach seinem Tode in der Augustinerkirche
zu Goslar beerdigt. Seine Frau hieß Gosa. Um auch ihr Andenken zu
erhalten, gab man dem durch Goslar fließenden Wasser den Namen Gose.
Es führt ihn noch, und auch das daraus gebraute Getränk nennt
man so.
* * *
Die Sage von Annaberg ist aus dem 200ten Stück
der Zeit. f.d. elegante Welt v. 1811, aus der sie auch in die Büschingsche
Sammlung, 1e Abth. S. 183, aufgenommen wurde.
Die vom Rammelsberge theilen alle Harzchroniken mit, namentlich: Honemann
in seinen Alterthümern des Harzes, Clausthal 1754, 1r Th. S. 23;
Engelhaus in seiner Chronik, S. 176; Leibnitz Script. Brunsuic. Tom. III.
cap. 15. S. 426, und andere mehr. Ueber das historisch Wahre darin ist
viel dafür und dagegen gesagt worden. An einem entscheidenden Resultate
fehlt es aber noch.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, Halle 1814