Die Bläsjungfer.
In einem einsamen Hölzchen bei Bernburg verwittern, vom Dunkel belaubter
Bäume verhüllt, die öden Mauern des Klosters Sanct Blasii.
Still und heimlich ist's umher, und selten betritt ein menschlicher Fuß
die einsame, sonst stiller Andacht geweihte Stätte, denn - die böse
Bläsjungfer treibt hier ihr Wesen.
Als noch nicht des Ortes Unheimlichkeit bekannt war, kamen einmal ein
Paar alte arme Weiber aus Bernburg in dieß Hölzchen, um abgefallene
dürre Aeste zur Winterfeuerung zu sammeln. Sie waren bis zu den öden
Klostermauern vorgegangen, als plötzlich die weiß gekleidete
Bläsjungfer hinter den Ruinen vortrat. Entsetzen ergriff die alten
Mütterchen, das mühsam gelesene Holz entfiel ihren zitternden
Händen, und bestürzt eilten sie nach Hause. Die Kunde von dem
Gesichte breitete sich schnell aus, es mied nun jeder den unheimlichen
Ort, und weit umher trieben die Hirten ihre Heerden, der weißen
Jungfrau nicht zu begegnen.
Wer die Bläsjungfer ist? - Eine Nonne des Klosters Sanct Blasii,
wegen schwerer Sünden verdammt, auf Erden zu wandeln, und bis der
Tag ihrer Erlösung heranbricht, die Klosterstätte zu bewachen,
wo noch viele Töpfe voll Gold und Silber vergraben liegen.
Wem sie erscheint, der mag sich vorsehen; denn, wie mancher Schäfer
erzählt hat, der sie, mit einem Bündel Schlüssel an der
Seite, selbst gesehen, so sucht sie Unkundige mit Zauberworten heran zu
schmeicheln, und hat sie sie gefaßt, so schleppt sie unerbittlich
die Beute bis zum tiefen Graben, den das Kloster umgiebt, und stürzt
sie hinab.
Daß unter den Klosterruinen viele Schätze noch ruhen, leidet
keinen Zweifel; denn es ging einmal ein armer Schuhflicker von Bernburg
zum Markt nach Nienburg, und ruhte auf einer Anhöhe, der Klobenhoch
genannt, aus. Er hatte sich auf einen Stein gesetzt, und wie er sich nun
ein Mal zufällig umsah, da lagen auf frisch aufgeworfener Erde neben
ihm viel Silberstücke, wohl an die drei Thaler, und doch wurde zur
Zeit der Zerstörung des Klosters nur ein Theil der Schätze zum
Klobenhoch gebracht.
Nach den Gold- und Silbertöpfen war nun wohl mancher lüstern;
doch keiner wagte es, sich in ihren Besitz setzen zu wollen, aus Furcht
vor der weißen Jungfrau. Als diese aber seltner erschien, kühne
Jäger in den Busch drangen, ungestört ihr Wild verfolgten, und
unbeschädigt zurückkamen, wagten sich mehrere hin. Sie wühlten
die verfallnen Mauern um, und fanden - Steine. Sie gingen auf den Klobenhoch,
gruben den Hügel um, und - gruben leere Aschenkrüge heraus.
Seitdem hat sich die Furcht vor der Bläsjungfer verloren, die nun
erlöst und ihres Wandels auf Erden quitt zu seyn scheint.
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Aus mündlicher Mittheilung.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, Halle 1814