7. Die weiße Wasserfrau von Heimbuchenthal

In Heimbuchenthal hatte einmal eine Bürgersfrau den ganzen Tag Wäsche gewaschen, gebleicht und zum Trocknen aufgehängt, und am Abend wollte sie noch sich ein bißchen auf ein Bänkchen setzen und die Sterne anschauen, da sah sie ein seltsames Leuchten im Hofe. Als sie daraufhin vor die Tür trat, um nach dem rechten zu sehen, bemerkte sie zu ihrem großen Schrecken beim Brunnen vor dem Hause eine weiße, durchsichtige Gestalt, die, als sie die Frau erblickte, in lautes Wehklagen ausbrach und nicht mehr verstummen wollte. Sogleich suchte die Bürgersfrau ihre Gemächer auf, rief alle Heiligen zu Hilfe, doch weder Gebete noch Flüche noch so manche Zauberei konnten die weiße Frau zum Schweigen bringen und erst am Morgen ward die Wasserfrau nicht mehr gesehen. Sogleich suchte die Frau den Pfarrer und viele andere kluge Leute im Dorf auf, doch keiner konnte ihr helfen, jedesmal, wenn die Nacht hereinbrach, saß wieder die weiße Wasserfrau am Brunnen und klagte und schluchzte zum Steinerweichen. Ein alter Händler, der die Welt bereist hatte, riet den Leuten schließlich, die weiße Frau nach ihrem Begehr zu fragen und wer sie sei, denn an vielen Orten der Welt gäbe es unglückliche Wesen, die nicht die letzte Ruhe finden könnten, weil ein Unrecht geschehen sei, das gesühnt werden müsse und oft gäbe es nur einen, der sie erlösen könnte. So faßte sich denn die Frau ein Herz, und als sie in der nächsten Nacht wieder das weiße Schattenwesen klagen hörte, trat sie an den Brunnen und fragte die Wasserfrau, wer sie sei und was man ihr tun könnte.

"Ich bin", so antwortete die weiße Frau und es schien, als ob sie seit langem nur auf diesen Augenblick gewartet hätte, "Dein Gewissen. Viele Tage schon wäscht Du Deine Kleider immer nur mit grobem, billigem Pulver. Kein Duft, kein Glanz haftet ihnen an und allen, die sie tragen, sind sie kratzig und hart, und dein Mann und dein lieb Töchterlein scheuern sich wund beim Laufen wie beim Werke, weil Du das wichtigste vergessen." Da dämmerte es der Frau, dass sie schon seit Tagen nicht mehr bedacht hatte, dem Waschwasser ihre duftendes Flauschwässerchen zuzugeben und sie nahm sich fest vor, der Wäsche am nächsten Tag wieder ihre gewohnte Pflege zukommen zu lassen.

Als nun die Bürgersfrau am nächsten Abend zum Brunnen trat, da sah sie auf dem Wasser nur noch einen feinen, weißen Schaum schwimmen, und fast schien es, als formte er sich zu einem Zeichen des Dankes, bevor er sich auflöste.

Von da an konnte das Weib und seine ganze Familie wieder des Nachts sich ungestört zur Ruhe begeben und weder ein Spuk noch ein Laut noch ein unerledigtes Geschäft störten den Schlaf der Bürgersfrau, ihres Ehegatten und ihrer Kinder.

Und mehr noch versüßte seitdem das Leben der Bürgersfrau: Da ihr Gewissen im Schaum entschwunden war, kümmerte es sie nunmehr wenig, wenn sie einen Armen an der Tür abwies, ihrem Wasser Unrat beimischte, so dass die Fische tot im Bache schwammen oder wenn sie ihr Steuerscherflein auch dann nicht entrichtete, wenn der Amtmann harte Worte über sie sprach und auch der Pfarrer in der Sonntagspredigt ihre Hartherzigkeit rügte. Wer mit ihr ein Geschäft machte, mußte sehen, wie er an sein Geld kam und die Nachbarn wußten Ihr Leid zu klagen wenn sie sie um eine Gefälligkeit hatten bitten wollen. So kam die Bürgersfrau zu beträchtlichen Wohlstand und genoß ihr gnädiges Schicksal allein, ohne unnütze hungrige Mäuler zu füttern. Und so lebt sie noch heute in Glück, Wohlhabenheit und hohem Ansehen und viele folgten ihrem Beispiele.


Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Sage Nr. 7