2. Der Trompeter von Steinbach
Wenn es in unseren Tagen irgendwo brennt, sind wir gewohnt, dass die
Feuerwehr in Windeseile zur Stelle ist und mit Hilfe vieler Leute und
Wagen auch große Brände löschen kann. Das war nicht alle
Tage so, weil man sich mit einfachem Gerät behelfen mußte und
so manche Nachricht nur unter großen Schwierigkeiten zu den Feuerwehrleuten
drang. In dem kleinen Ort Steinbach, der jetzt zu Lohr gehört, war
der Wehr nichts weiter als eine Handpumpe zu eigen, die von den Leuten
selbst oder von Pferden gezogen wurde. Das Wasser förderte diese
Pumpe aus einem Löschweiher am Rande des Orts. Brach ein Brand aus,
blies ein Trompeter ein Signal und alarmierte so die Mitglieder der freiwilligen
Feuerwehr, bevor Glockengeläut auch den umliegenden Gemeinden und
den übrigen Leuten im Ort verkündete: Es brennt!
Nun entstand aber einst ein Brand in einem Gehöft der Gemeinde just
zu einem Zeitpunkt, als der erste Trompeter der Wehr auf einem Urlaub
weilte. So verständigte man den Ersatztrompeter, der zwar ein braver
Bläser war, sich aber unglücklicherweise nicht mehr an das rechte
Signal erinnern konnte. So zog er durch die Straßen und Gassen des
Orts und blies die Melodie des al-ehrwürdigen Kirchenlieds "Düster
sank der Abend nieder", das man in der Passionszeit in der Dorfkirche
oft sang. Da nun aber das Osterfest schon lange zurücklag, schüttelten
die Steinbacher die Köpfe, als sie die wehmütige Weise vernahmen,
und sagten:"Er ist irre geworden." Einigen der Leute, die ihn
nach der Bedeutung seines Spiels fragten, antwortete er in sichtlicher
Verzweiflung: "Es brennt!", worauf diese sich erschrocken abwandten
und sprachen:"Er ist schwerer krank, als man denkt. Man muß
einen Arzt holen."
Eine Schustersfamilie nahm schließlich den weinenden Mann zu sich,
bewirtete ihn mit Milch und frischem Brot und bereitete ihm das Lager.
Mittlerweile hatte man aber in den umliegenden Gemeinden den Feuerschein
gesehen und alle ihre Feuerwehren waren zum Brandherd ausgerückt,
bevor die Steinbacher als letzte kam.
Zu löschen gab es allerdings nicht mehr viel, weil der betroffene
Hof bis auf die Grundmauern niedergebrannt war.
Bei den Feuerwehren der Lohrer Gegend achtet man deshalb heute sehr darauf,
daß man in den Reihen mehrere gute Bläser hat, die alle richtige
Brandlieder beherrschen und nicht mehr "Düster sank der Abend
nieder" spielen. Diese Leute erwiesen sich indessen auch bei anderen
Anlässen als so unterhaltsam, daß sie inzwischen überall,
wo es lustig zugeht, aufspielen müssen und die meisten Feuerwehren
als so gut gelten, wie sie Feste feiern können. Dabei sehen alle
Wehren zu, daß sie in der Übung bleiben. Hierdurch entstand
jedoch die Gefahr, daß mancher echte Alarm nicht mehr ernst genommen
wurde. Deshalb gibt es nach jedem Einsatz tüchtig Freibier, damit
auch jeder Feuerwehrmann kommt. Das Löschen des Durstes scheint so
inzwischen bei vielen eine größere Rolle zu spielen als das
von Bränden, es müßte aber wenigstens keiner der wackeren
Männer, wenn er einen Brand meldet, befürchten, daß man
ihn auf der Straße alleinläßt.
Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Sage Nr. 2