8. Die Römer in Obernburg
Vor langer, langer Zeit hausten bekanntlich die Römer am Main. In
Obernburg unterhielten sie ein größeres Lager, von wo aus sie
die ringsum verteilten Legionen mit Nach-schub aus dem römischen
Reich versorgten. Hierbei gerieten sie oft in große Bedrängnis
durch einen Stamm der wilden Alamannen. Diesen gelang es immer wieder
unter ihrem listigen Führer Späthus Teile des römischen
Grenzwalls, des Limes, zu übersteigen und den römischen Truppen
in den Rücken zu fallen, wobei sie jedes Mal große Mengen Kriegsgerät
erbeuteten.
Besonders im Winter hatten die Römer ar-ges zu leiden, weil ihre
Verpflegung knapp wurde. Das Mehl wurde ein Opfer dar Würmer, die
Milch verdarb, bevor sie von Rom hierher gelangte und das Jagen im Schnee
war keine Sache der wärmegewohnten Römer. Die Alamannen schienen
jedoch im Winter sogar nach an Kraft zu gewinnen und ihr wohlgenährter
Eindruck rief bei den Römern Ratlosigkeit hervor.
Als die Römer in einem besonders strengen Winter, in dem sie dem
Hungertod nah waren, bei einem Überfall der Alamannen auch noch ihr
letztes Brot verloren, beschlossen sie, dem Geheimnis der Germanen auf
die Spur zu kommen. Ein Spähtrupp schlich sich in das nahegelegene
alamannische Heerlager und dort konnten die Krieger wundersames erblicken
und auch ihrem Centurio vorzeigen: Die Alamannen pflegten ihr Mehl zu
langen Teigfäden umzuarbeiten, die sie nach ihrem Führer "Späthsle"
nannten und trocknen ließen. Die sauer gewordene Milch warfen sie
nicht, wie die Römer, weg, sondern formten aus dem Rahm einen gelblichen,
ranzig riechenden Brocken, den sie aßen, ohne daran Schaden zu nehmen.
Einen solchen, der schon alt und hart geworden war, nannte der Centurio
später nach seinem Land "Romadurus". Aus Späthsle
und Romadurus konnte in kürzester Zeit eine nahrhafte und durchaus
wohlschmeckende Mahlzeit zubereitet werden.
Derart gekräftigt war es für die Römer ein leichtes, die
Alamannen bei einer ihrer nächsten Überfälle
entscheidend zurückzuschlagen. Den Sieger über den Alamannenführer
Späthus, besagten Centurio, nannte man in Rom dann Spadolinus. Späthsle
werden auch heute noch in Italien unter dem Namen "Spaghetti"
zu fast jeder Mahlzeit gereicht.
An der Stätte ihres Triumphs richteten die Römer daraufhin eine
Stätte zur Herstellung ihres Romadurus ein. Von dort aus belieferten
sie bald den ganzen Norden des Reichs damit, so dass bald ein grausiger
Geruch durch die Landschaft zog. Und da einem solchen Ort auch andere
Düfte nicht mehr wahrgenommen wurden, ließen sich daselbst
noch viele andere Produktionsstätten nieder, die an ihrem Stammsitz
verjagt worden waren, weil sie dort zu strenge Gerüche verbreitet
hatten.
Dieses aber bereitete den Siedlern im Umlande großen Verdruß
und sogar viele der tapferen Römer verließen in großen
Scharen das Land. Als nun ein braver Bürger der Stadt, der sich um
das Wohl seiner Angehörigen sorgte, schließlich den Obersten
der Römer aufsuchte, um ihm sein Leid zu klagen, schüttelte
der indes nur den Kopf. Der Geruch, so sprach er, sei wohl zuweilen lästig.
Aber das Geld, das so eingenommen werde, stinke nicht. Und wenn er dieses
schätze, müsse er wohl mit den Düften des Landstrichs leben.
So bereichern auch heute noch würzige Düfte die beschauliche
Gegend im Süden der Römerstadt. Und von dem großen Reichtum
der Nachfahren der Römer wurde ein Ort gegründet, der nach dem
Ton fallender Münzen Klingenberg heißt. Die Glücklichsten
aber sind die Elsenfelder. Bei ihnen soll es bereits als kräftige
Würze genügen, wenn sie einen Teller "Späthsle"
kurze Zeit vor das Fenster stellen.
Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Sage Nr. 8