2. Das Pfäfflein und der gülden Reif
In einem Dörflein zwischen Lohr und Karlstadt lebte einst ein Mägdlein,
das hatte einen goldnen Reif, den liebte sie über alles.Tagaus, tagein
warf sie ihn in die Lüfte, so hoch, dass er bald im Himmel entschwand,
und doch kehrte er immer wieder zu ihr zurück und sie fing ihn mit
sicherem Gespür wieder auf. Und als sie schon eine stattliche Jungfrau,
so mochte sie sich doch nicht von ihm trennen, auch wenn ihr Bräutigam
darob sich sehr verwunderte und sie des öfteren frug, ob sie denn
noch ein Kindlein sei. Immer wieder zog sie die Wege entlang und warf
ihren Reif empor und trällerte ein fröhlich Liedlein dabei.
An einem Tage aber, als sie an der Mauer des Pfarrhauses entlangsprang,
da geriet ihr ein Wurf zu hoch und der Reif senkte sich hinter der hohen
Mauer nieder. Darob ward das Mägdlein gar sehr betrübet und
bittere Tränen vergoß sie, ob denn niemand ihr hülfe,
wieder zu ihrem geliebten Reiflein zu gelangen.
Da aber öffnete sich das Tor in der Mauer, heraus trat ein kleines,
rundes Pfäfflein, das sprach, "Warum weinst Du so, holde Jungfer?"
Und die Maid sprach, "ach ich achtete beim Spiel mit meinem Reiflein
nicht auf die Mauer und so liegt es jetzt dahinter und mein geliebtes
Spiel geht mir nun ab." Da schalt sie das Pfäfflein erst, weil
sie so leicht bekleidet, aber dann wollt er sich doch erbieten, ihr das
Reiflein wieder zu holen. So sie es aber sich wieder nehmen wollte, da
frug er, ob er von nun an sie begleiten dürfe, und sie dacht sich
nichts dabei und willigte schnell ein, denn, so sagte sie sich, was wird
mir das Pfäfflein schon groß wollen. Und sie warf ihr Reiflein
wieder fröhlich in die Lüfte und sprang frohen Mutes nach Hause.
Am nächsten Abend indes, als die Familie ihr Abendbrot einnehmen
wollte, klopfte es mächtig an das Tor ihres Hauses; der Vater öffnete
und das Pfäfflein stand davor und meldete sein Begehren ein, bei
der Jungfrau verweilen zu dürfen. Groß war der Schrecken des
Mägdleins, denn es hatte wohl nur im Scherz ihre Begleitung zugesagt
und bat nun den Vater, ob nicht er dem hochwürdigen Herren seine
Gesellschaft anbieten wollte. Der Vater aber schalt sie und sprach, wem
man das Wort gegeben, dem müsse man es auch einhalten. Und dem Pfäfflein
ward an der Tafel ein Platz neben der Jung-rau gegeben. Nun sprach er
zu dieser, "Ich will von deinem Tellerlein essen", und die Mutter
gab dem geistlichen Herrn das saftigste Stück von dem Braten nebst
einem großen Korbe duftigen, frischen Brotes. Das Pfäfflein
indes hatte schon bald alles verzehret und verlangte noch etliche Male
nach einem weiteren Stück des Bratens und gab nicht eher Ruhe, als
bis von dem reichlichen Mahle alles aufgegessen und auch noch et-liche
der Schinken und Käselaibe im Vorratsraume aufgetischt und von ihm
verspeist. Sodann verließ er die Behausung, und man hörte anderntags
voll Verwunderung die Meßdiener sprechen, sie hätten ihm bei
der letzten Messe statt des Weins bei der Messe einen Krug schäumenden
Bieres reichen müssen und an die Mägde und Knäblein hätte
er beim heiligen Mahle Gummibären verteilt.
Am nächsten Tage beehrte er die Behausung der Maid wieder, ließ
sich erneut festlich bewirten und sprach dann zu ihr,"Ich will aus
Deinem Becherlein trinken". Dann ließ er sich den besten Wein
eingießen und ließ nicht eher ab, als bis von den edelsten
Tropfen auch die letzte Flasche geleeret. Dann sank er unter den Tisch
und gab durch ein lautes Rülpsen sein Wohlgefallen kund. Vater und
Tochter schickten sich nun an, den geistlichen Herrn wieder in seine geweihte
Behausung zu verbringen, wo die Leute kopfschüttelnd von einer Leichenfeier
sprachen, die der Pfaff gehalten, wo er stets nur ein Nachtgebet gesprochen
und dann die Kindlein hätt Ringelreihen um das Grab tanzen lassen.
Auch am nächsten Tage war der hochwürdige Herr Gast der Jungfrau
und sprach dann zu ihr: "Ich will in Deinem Bettlein schlafen".
Voller Bekümmernis flehte diese nun den Vater an, ob er sie nicht
von dieser Last befreien könnte, doch der sagte nur, "Versprochen
ist versprochen" und geleitete das Pfäfflein mit der Maid zu
ihrem Lager. Dort machte sich der Pfaff erst so recht breit und ergötzte
sich wohl die ganze Nacht an ihrem Fleische, so dass sie am nächsten
Morgen jedes Knöchlein und jedes Haar spürte. Nun aber wähnte
sie sich des Pfäffleins bald entledigt, denn der mußt ja die
Messe halten. Um sich von den Beschwernissen der Nacht zu reinigen, ließ
sie sich heißes Wasser in einen Zuber ein, um ein erfrischendes
Bad zu nehmen, doch als sie darinnen saß, rief der hochwürdige
Herr, "Ich will in deinem Wännlein baden", und er begab
sich zu der Maid in das dampfende Wasser, wo sie ihn bis in die letzte
Falte und hinter das letzten Härlein zu reinigen und zu pflegen hatte.
Als dieses geschehen, sprach der hochwürdige Gast , "Ich will
auf Deinem Töpflein sitzen", holte das Nachtgeschirr unter ihrem
Bette hervor und machte Anstalten, sich von dem schweren Mahle des vorangegangenen
Abends Erleichterung zu verschaffen.
Nun aber geriet das Mägdlein in unbändigen Zorn, stieß
dem Männlein das Geschirr unter seiner Sitzfläche hinfort, nahm
ihn am Kragen und warf ihn mit aller Kraft an die hölzern Wand ihrer
kleinen Stube. Da glitt das weiße Haar von seinem Haupte, die lange
Soutane öffnete sich und ein stattlicher Herr mit Beinkleidern aus
feinstem Linnen und seidenem Rocke stand vor ihr und rief aus, "Nun
endlich bin ich erlöset, oh Jungfrau! Jahrelang musst ich in diesem
engen, schwarzen Frack ausharren, Messen lesen und alten Hutzeln Trost
spenden. Jetzund aber bin ich von dem Fluche befreit und stehe vor Euch
als Euer wahrer Liebhaber und Gemahl!" Und er breitete seine Ar-me
aus, um das Mägdlein, das ihm zu die-sem Glück verholfen, in
dieselben einzuschließen.
Da aber öffnete sich die Tür und der Bräutigam der Maid
stand unversehens im Zimmer. Und so er die gar peinliche Lage seiner Versprochenen
übersah, nahm er sogleich einen Degen von der Wand, zwang das unselige
Pfäfflein auf die Knie, hielt ihm die Klinge vor seinen Hals und
hätte ihm wohl kurzum das Lebenslicht ausgeblasen. Doch dieses hub
an zu sprechen, der Brautleute Vorhaben könnte schwerlich zu ihrem
Vorteil gereichen. Wenn sie gedächten, hier im Orte ihre Hochzeit
zu feiern, müßten sie wohl noch seine Dienste in Anspruch nehmen,
denn mit einem massakrierten Pfäfflein fänd sich nicht einmal
ein Schreiber, der ihr Begehren nach Verehelichung könnt aufnehmen.
Und so gelang es dem Männlein, sich von dannen zu schleichen.
Zum Behufe der Verehelichung, aber auch, um vom seltsamen Treiben des
hochwürdigen Herrn zu berichten, begab sich am nächsten Tage
das junge Paar zum Kirchenamte; dort aber zeigten sich die Schreiber über
die Maßen verwundert, denn die Pfarrei des Dorfes sei seit vielen
Wochen verwaist. Ein Nachfolger oder Stellvertreter aber wäre nicht
dorthin beordert worden. Und sie fragten die Braut und die Leute im Dorfe,
wie der Herr Pfarrer hätte ausgesehen, was er gebetet und ob einer
gesehen, wo er hergekommen.
Derselbe aber saß in einem Eisenbahnwagen, der unterwegs in die
Bischofsstadt Würzburg, und erfreute sich, vertieft in sein Brevier,
am lustigen Treiben der Kinder auf den Sitzen und Bänken. Und da
die Alten ihn fragten, wohin des Wegs, gab er freudig zur Auskunft, er
sei berufen in ein Wallfahrtskirchlein nahe bei der Bischofsstadt, um
sich der Seelen der Pilger anzunehmen. Die Kindlein indes verwunderten
sich gar sehr um die vielen bunten Bildchen in seinem Brevier, zu denen
er die Erläuterung gab, auf ihnen sei die Sünde dargestellet.
Darob nahmen die Alten ihre Kindlein zu sich, damit sie dem hochwürdigen
Herrn nicht bei seinem Streit gegen das Laster beschwerlich wären.
Und das Pfäfflein gab allen seinen Segen und den guten Rat, sich
vor dem Bösen zu bewahren, das immer und überall sei.
Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Trilogie/2