3. Die Jäger von Waldzell

Vor sehr, sehr langer Zeit, im 8. Jahrhundert, stand in der Nähe des Ortes Neustadt das Jagdhaus Rorlach, von wo aus der fränkische Hausmeier Karl, den man heute als den Martell kennt, und der auf der Karlburg residierte, des öfteren mit seinem Gefolge auf die Jagd ging. Wenn eine solche beendet war, mußten stets die Bauern der Umgebung Feldfrüchte und Wein herbeischaffen, den sie mit viel Mühe der rauhen Witterung und dem kargen Boden abgerungen hatten. Die Herren von der Karlburg feierten dann wilde Gelage und vielen der Bauern, die bei den edlen Franken nicht viel galten, erging es schlecht. So schütteten sie einem, der nichts weiter als bloße Rüben brachte, seine ganze Wagenladung auf einen Misthaufen und lachten, er solle sie nun auch selber fressen, da sie doch nunmehr so fein gewürzet seien. Der so gedemütigte Bauer fluchte darob wild und drohte, er werd's dem Waldgeist sagen und der zahlt' es ihnen schon heim. Die Jäger aber höhnten, der könne ihm dann bei seinem Mahl Gesellschaft leisten und jagten den Bauern mit Stockhieben fort.

Die Strafe folgte jedoch auf dem Fuß. Noch während die Jagdgesellschaft zechte, erschien plötzlich ein merkwürdiger weißer Hirsch, der den dreistesten der Jäger immer tiefer in den Wald lockte. Plötzlich verfinsterte sich vor diesem der Himmel, ein mächtiger Riese erschien, und rief: "Wer tat hier meinem Schutzbefohlenen Unrecht?" Als er den Jäger sah, wußte er sogleich, wen er vor sich hatte und begann, mit großen Steinen nach dem Franken zu werfen, wovon man jetzt noch Löcher im Boden und viele Findlinge am Weg erkennt. Dann nahm er die Rüben, die man dem Bauersmann in den Dreck beworfen, und weil er bei jedem Wurfe "eins, zwei, drei", zählte, solte man ihn später Rübezahl nennen. Da sich der Jäger aber hinter den Bäumen versteckte, riß der Waldgeist einen nach dem anderen aus und warf sie nach dem Flüchtigen, als er ihn gewahrte, so daß man daselbst kaum noch einen Baum findet und der Ort noch heute Steinfeld heißt. Nichtsdestoweniger konnte sich der Jäger arg zerschunden zu seinen Genossen retten. Dort sank er vor seinen Genossen nieder und beschwor sie, Schutz vor dem Waldgeist zu suchen , bevor er sein Leben aushauchte.

Indessen bewarf der Riese die Jäger vom anderen Mainufer aus mit Steinen, die er, um sie fest zu machen, so fest zusammendrückte, daß aus ihnen das Wasser herauslief. Der Ort, von dem er die Steine nahm, heißt deshalb heute noch Triefenstein.. In höchster Not warfen diese sich an einem Ort bei Waldzell, wo Gertrudis, die Schwester des Meiers Karl, neben einer Quelle im Walde stets zu rasten und zu be-ten pflegte, der heiligen Gottesmutter zu Füßen und flehten um Rettung. Und wunderbarerweise wurden sie erhört: Einer der Jäger aus dem Ort, der heute Rodenbach heißt, stieg als Eule in die Lüfte, ein anderer aus dem heutigen Erlach als Rabe. Und so nennt man heute noch die Bewohner dieser Dörfer Kracken und Eulen. Der dritte aber ward zu einem irdenen Töpfchen, so unscheinbar, als hätte es schon immer dort zum Schöpfen gestanden.

Eine fromme Frau aus dem nahegelegenen Dorf, das heute Waldzell heißt, sollte es später finden und edles Öl hineinfüllen, warum die Bewohner dieses Dorfes heute "Ölhäfen" genannt werden.

Als der Riese die Gesuchten nicht mehr erblicken konnte geriet er in unmäßigen Zorn und riß zuerst alle Bäume um die Quelle herum und dann sein eigenes Auge aus und warf es mit so großer Wucht in den Quelltopf, daß das Wasser nunmehr in der Tiefe entspringt und nur noch über ein Trepplein zugänglich ist. Der Quelle sagt man heute aber eine heilkräftige Wirkung auf die Augen nach.

Der Waldgeist aber soll nach langem Umherirren, denn mit seinem Auge hatte er sich auch seines Sehvermögens beraubt, irgendwo im Riesengebirge seine neue Heimat gefunden haben. Auch wenn er sich vor den Menschen verbirgt, zeigen die gelichteten Wälder, daß er immer noch lebt und sein Zorn sich noch immer nicht gelegt hat.

Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Sage Nr. 3