Das Hasenherz.
Auf einer Insel mitten in der Weichsel stand vor Jahren ein großes
Schloß, von Mauern rund umgeben, und viele Fähnlein wehten
darauf im Winde. Dort wohnte ein Ritter, ein tapferer und berühmter
Krieger, der in vielen Kämpfen Ruhm und Ehre erworben hatte.
In unterirdischen Kerkern waren die Gefangenen eingesperrt. Täglich
mußten sie zur Arbeit: die Mauern ausbessern, den Garten bestellen.
Ein altes Weib war unter ihnen, eine alte Hexe. Der Mann von dieser Hexe
war auch gefangen und gefesselt. Die Hexe nahm sich vor, den Mann zu rächen.
Einmal war der Ritter allein im Garten. Müde setzte er sich auf den
grünen Rasen und schlief ein.
Heimlich lauert dort die Hexe, schüttet Mohn auf seine Augen, daß
er nicht so früh erwache, und mit einem Fichtenzweige stößt
sie an die offene Brust ihn, wo das Herz des Menschen klopft.
Und die Brust tut sich auf. Man sieht das rote Herz, wie's beständig
schlägt und zittert. Teuflisch lächelt da die Hexe, streckt
die magern Arme aus, und mit ihren langen Fingern greift sie leise nach
dem Herzen; zieht es aus der Brust so leise, daß der Ritter nicht
erwacht.
Nimmt das Herz dann eines Hasen, das sie schon bereit gehalten, legt es
in die Brust des Ritters und verschließt die Öffnung wieder.
Geht dann selber auf die Seite, legt sich hin im dichten Busche, will
des Zaubers Folgen sehen.
Noch war der Ritter nicht erwacht, doch schon fühlte er das Hasenherz.
Er, der früher keine Furcht gekannt, er zitterte nun ängstlich
und warf sich von einer Seite auf die andre. Er erwachte. Seine Rüstung
schien ihm so schwer. Kaum hatte er sich erhoben, so hörte er das
Bellen der Hunde.
Wenn früher die muntre Meute das Wild im Walde verfolgte, so hüpfte
das Herz ihm vor Wonne. Jetzt aber flieht er erschrocken, - er flieht
wie ein furchtsamer Hase! Kaum ist er in seinem Zimmer, so erschreckt
ihn die eigene Rüstung, das Geklirr der silbernen Sporen. Daher wirft
er die Rüstung zu Boden und sinkt ermattet auf sein Lager.
Früher träumte er im Schlafe nur von Kampf und Siegesbeute,
jetzo stöhnt und ächzt er traurig; jedes Bellen seiner Hunde,
jeder Anruf seiner Wache, die am Feuer auf dem Walle sorglich schützt
vor einem Anfall, schreckt den Armen auf dem Lager. Wie ein Kind drückt
er das Antlitz tief hinein ins weiche Kissen.
Mächtige Scharen wilder Heiden umringten das Schloß. Die Ritter
und Soldaten erwarteten ihren Herrn, der sie immer zu Kampf und Sieg geführt
hatte. Aber sie warteten diesmal vergebens. Als der einst so tapfere Ritter
das Geklirr der Waffen und das Geschrei der Krieger und das Wiehern der
Rosse vernahm, lief er fort aufs Dach des Schlosses und erblickte von
dort aus das große Heer der Heiden.
Da gedachte er seiner alten Kriegsfahrten, seines Ruhms und seiner Siege.
Da meinte er bitterlich, seufzte tief und sprach:
"O Gott, gib mir doch meinen Mut wieder, die alte Kraft und die alte
Kühnheit! Dort auf dem Schlachtfeld wehen meine Fahnen, und ich stehe
da wie ein furchtsames Mädchen. Gib mir mein Herz wieder, daß
es nicht zittre, - gib mir die Kraft wieder, daß ich meine Rüstung
ertrage, belebe mich mit frischem Jugendmut und schenk mir den Sieg!"
Die Erinnerung weckt ihn gleichsam aus dem Schlafe: schnell kehrt er zurück
in sein Zimmer, legt die Rüstung an, besteigt das Roß und reitet
zum Tore hinaus. Der Torwächter begrüßt freudig seinen
Herrn und gibt den Kriegern ein Zeichen durch den Schall der Trompete.
Indessen reitet der Herr davon. Aber noch beherrscht die Furcht seine
Gedanken, und wie sich seine Ritter voll kühnen Mutes auf die Feinde
stürzen, da wendet der Schloßherr in tödlicher Angst den
schnellfüßigen Renner und flieht zurück in die feste Burg.
Atemlos kommt er im Schlosse an. Doch auch hinter den mächtigen Mauern
verläßt ihn die heimliche Furcht nicht. Eilig wirft er sich
vom Pferde, läuft in eine Kammer, die durch feste Eisentüren
gesichert ist, und kraftlos erwartet er den ruhmlosen Tod.
Seine Ritter haben den Feind geschlagen. Der Wächter verkündet
vom hohen Turme die Rückkehr der siegreichen Fahnen. Voll Verwunderung
suchen alle den Herrn des Schlosses. Endlich finden sie ihn halb tot in
der eisernen Kammer.
Er lebte nicht mehr lange. Den ganzen Winter hindurch wärmte er den
zitternden Leib am Kaminfeuer im Schlafgemach. Als der Frühling gekommen
war, öffnete er einmal ein Fenster, um frische Mailuft einzuschlürfen.
Da flog eine Schwalbe vorbei, und im Fluge streifte sie mit ihrem dunklen
Flügel das Gesicht des Ritters. Erschrocken und wie vom Blitz getroffen
sank er nieder und war tot.
Alle betrauerten den guten Herrn, doch keiner wußte, was ihn so
verwandelt hatte. Ein Jahr darauf aber verbrannte man alle Hexen, weil
sie den Regen zu lange aufgehalten hatten. Da bekannte jene alte Hexe,
daß sie das Herz des Ritters mit einem Hafenherzen vertauscht hatte.
So erfuhren alle Menschen, weshalb der einst so kühne Ritter so furchtsam
geworden war. Sie betrauerten ihn jetzt noch mehr, und auf seinem Grabe
verbrannten sie die böse Hexe bei lebendigem Leibe.
Quelle: Kasimir Wladislaw Woycicki, Polnische Volkssagen und Märchen. Friedrich Heinrich Lewestam, Berlin, 1839