Boruta.
Boruta ist ein berüchtigter Teufel, der noch bis auf den heutigen
Tag unter den Trümmern des Schlosses von Lenczyca in Masowien hauset.
Er ist schon alt, denn schon seit Jahrhunderten kennt man ihn. Doch ist
er jetzt wahrscheinlich schon ein bißchen gesetzter geworden, da
man in neuester Zeit nicht mehr viel von ihm zu hören bekommt. Früher
aber war sein Name weit und breit gefürchtet, und wer mit seinem
Nachbar in Feindschaft lebte, der führte wohl den Fluch im Munde:
"Mag ihn Boruta erdrosseln oder ihm das Genick brechen!" - Und
der Teufel war immer willig, solche Wünsche zu erfüllen.
Nicht weit vom Schlosse von Lenczyca wohnte ein Edelmann von ungeheurer
Körperstärke. Niemand wagte es, sich im Zweikampf mit ihm zu
messen, denn gleich beim ersten Zusammenstoß schlug er dem Gegner
mit einem kräftigen Hieb den Säbel aus der Hand. Hatte er einmal
mit dem Rücken an der Mauer des Hauses Stellung genommen, so konnte
die ganze Nachbarschaft nichts gegen ihn ausrichten.
Deshalb wurde dieser Edelmann ebenfalls Boruta genannt. Man glaubte, daß
ihm der Teufel Boruta beistehe, weil niemand seiner Stärke widerstehen
konnte. Zum Unterschiede von dem wirklichen Teufel jedoch, und weil er
eine graue Kappe zu tragen pflegte, wurde er Grau-Boruta genannt. Niemand
wagte ihn zu reizen, jeder ging ihm von weitem aus dem Wege. Sogar im
Weinhause - wenn da die betrunkenen Edelleute in wildem Streite schon
nach den Säbeln griffen und zufällig Grau-Borutas Stimme hörten,
gingen sie entweder in den Hausflur oder auf den Hof und färbten
sich dort ihre kahlen Köpfe blutig.
Das machte den Edelmann stolz, und in kühnem Selbstlob drohte er
häufig, er wolle dem wirklichen Boruta, sobald er ihn treffe, den
Hals umdrehen und ihm seine Reichtümer entreißen. Dann erschallte
oft, wie man bald bemerkte, im Ofen oder hinter dem Ofen ein höhnisches
Gelächter.
Grau-Boruta trank nicht übel: der beste masurische Edelmann konnte
ihn nicht zu Boden trinken; und wenn er trank, pflegte er den ersten Humpen
auf das Wohl seines Namensvetters, des Teufels Boruta, zu leeren; und
sogleich hörte man eine tiefe gedehnte Stimme "Danke, Herr Bruder!"
vernehmlich aussprechen.
Grau-Boruta hatte viel Geld, aber bald war alles in wüstem Leben
verpraßt. Er beschloß daher, von seinem geliebten Herrn Bruder
(so nannte er den Teufel) einige Säcke Gold auf unbestimmte Zeit
zu borgen. Um Mitternacht zündete er seine Laterne an und ging mit
gezogenem Säbel in die tiefen Kellergewölbe des Schlosses. Zwei
ganze Stunden irrte er in den Gängen umher. Endlich entdeckte er
eine verborgene Tür. Mit einem Schlage machte sie sich auf, und vor
den Augen des Edelmannes erschienen glänzende Schätze, und im
Winkel, auf einem mächtigen Klumpen Goldes, saß der Teufel
in Gestalt einer Eule mit feurig blitzenden Augen. Der Edelmann erblaßte
und zitterte, der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn; doch faßte
er sich bald, verbeugte sich demütig und sagte: "Meines geliebten
Bruders ergebenster Diener!"
Die Eule nickte mit dem Kopfe, und das gab unserem Grau-Boruta wieder
einigen Mut. Er verbeugte sich nochmals, und dann begann er seine Taschen
und Säcke mit Gold und Silber zu füllen. Das ward ihm bald so
schwer, daß er sich kaum noch von einer Seite auf die andere drehen
konnte.
Schon fing es an zu tagen, und immer noch langte der Edelmann mit gierigen
Händen nach den goldenen Schätzen. Endlich waren alle seine
Taschen gefüllt, und er fing an, sich den Mund vollzustopfen; und
da dieser eben nicht klein war, so bekam er noch ein ordentlich Teil hinein.
Dann verbeugte er sich wieder vor dem Geiste und verließ das Gewölbe.
Kaum war er jedoch auf der Schwelle, da fiel die Tür von selbst mit
Gewalt ins Schloß und zerhackte seine rechte Ferse in zwei Stücke.
Hinkend und blutend brachte der Edelmann die Schätze in seine Wohnung.
Jetzt hatte er viel Geld, aber seine Gesundheit war dahin. Sein ganzes
Leben war nur noch ein Siechtum. Einmal geriet er wegen eines Feldrains
mit einem Nachbar in Streit und forderte ihn zum Zweikampf. Früher
hätte ihn Grau-Boruta mit seinem kleinen Finger umgeworfen; jetzt
aber konnte der Nachbar leicht fertig werden mit dem reichen Geizhals
und schlug ihn tot.
Sein Haus blieb nun für immer unbewohnt. Man erzählt sich, daß
der Geist Boruta oft auf einem Weidenbaume saß, der auf dem Hofe
wuchs. Und manchmal wurde der Teufel auch gesehen, wie er durch die verfallenen
Gänge und Zimmer lief.
Quelle: Kasimir Wladislaw Woycicki, Polnische Volkssagen und Märchen. Friedrich Heinrich Lewestam, Berlin, 1839