Die Ziege und die Ameise

Ein Bauer hatte eine Ziege, die er über alles liebte. Da sprach er eines Tages zu seinem Sohn Karl: »Halt ma di Goaß owa guat, sunst wird da da Kopf ogschlagn.«

Der Knabe tat, was ihm befohlen war, ließ von der Ziege Wiesen abfressen, Wald abfressen, den Teich aussaufen usw. und trieb dann frohen Mutes seine Ziege nach Hause.

Hier angekommen, fragte der Bauer die Ziege: »No, Goaß, hast di heit agfressn?«

Die Ziege antwortete: »Hob a Lawablattl gfressn, hob a Trinkerl Wassa tan, hob mi am hoatn Stoan gsetzt. Mäh.«

Der Bauer erzürnte ob dieser Antwort so sehr, dass er seine Drohung in Erfüllung gehen ließ. Nun schickte er seinen anderen Sohn.

Wenn auch dieser der Ziege alles Mögliche tat, so antwortete sie doch auf die Frage des Bauern: »Hob a Lawablattl gfressn, hob a Trinkerl Wassa tan, hob mi am hoatn Stoan gsetzt. Mäh.«

Der Bauer hieb ihm ebenfalls den Kopf ab und warf ihn in den Keller. Diesem Kopf des Knaben folgte bald der seiner Schwester und dann der seiner Mutter nach; denn auch diese konnten die Ziege nicht befriedigen und erlagen der Drohung des Bauern: »Halt's ma mei Goaß owa guat, sunst wird enk da Kopf agschlagn; i kann enk nacha net helfa.«

Nun trieb der Bauer seine Ziege selbst aus. Er ließ ihr »Bama ofressn, Wiesn ofressn, Deichterl aussaufn« und alle möglichen Freiheiten.

Als er nun zu Hause ankam, antwortete die Ziege wie gewöhnlich auf die Frage des Bauern: »Hob a Lawablattl gfressn« usw.

Kaum hatte dies der Bauer gehört, als er voll Wut und Zorn außer sich rief: »So, jetzt host mi um meine drei Kinda und mei bravs Wei bracht, jetzt geht's da a aso.« Nach diesen Worten schürte er ein Feuer an, stellte einen Topf mit Erbsen auf dasselbe und schickte sich an, die Ziege zu schlachten. Er steckte ihr ein Messer in den Hals und schor die Haut. Da merkte er einen eigentümlichen Geruch, »wäu seine Erbsn ham si anbrennt ghobt«. Er eilte nun zu seinem Topf, um die Erbsen zu retten.

Diese Gelegenheit benützte die Ziege und lief, teilweise geschoren und das Messer im Hals, zur Tür hinaus und dann in ein Fuchsloch, aus dem sich der Fuchs soeben entfernt hatte, verhielt sich dort ruhig, bis der Fuchs nach Hause kam, und freute sich über den glücklichen Ausgang.

Als der Fuchs nun erschien, roch er, dass etwas in seiner Höhle sein müsse, und fragte daher, indem er vor dem Eingang der Höhle stehenblieb: »Was is in meina Lucka?«

Die Ziege antwortete mit kläglicher Stimme: »A oame Goaß, de vo da Welt nix woaß, halb gschundn, halb gschorn, a Messa in Krogn, kummst ma rein, stich i da's nein.«

Bei diesen Worten wurde dem Fuchs bang zumute, und er entfernte sich traurig. Da stieß er auf eine Kuh, welche ihn fragte, was ihm fehle. Der Fuchs erzählte ihr nun, was ihm widerfahren war worauf sich die Kuh anbot, ihn zurückzubegleiten. Allein auch sie fuhr erschrocken zurück.

So gingen nun beide jammernd weiter, als eine Ameise sie mit den Worten anredete: »Wos trenzt's denn, ös sad's do boade groß und stark?«

Nun erfuhr auch die Ameise die grausige Geschichte, und der Fuchs sprach noch besonders die Worte: »Soll ma si da net fiachtn, schreit s' allaweil: 'Kummst ma rein, stich i da's nein.'«

Nun ging die Ameise mit beiden zum Fuchsloch, hörte die Ziege an, ging aber dann mutig in die Höhle, setzte sich auf den Rücken der Ziege und kitzelte sie, soviel sie konnte. Um sich dieser Plage zu entledigen, sah die Geiß kein anderes Mittel, als sich aus der Höhle zu entfernen.

Das tat sie denn auch »und is auf und davon grennt«.

Quelle: Theodor Vernaleken, Kinder- und Hausmärchen in den Alpenländern, Wien 1863.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Sabine Strasser, Februar 2006.
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