Das Land der Jugend
23. SPRINGWASSER

Wenn man aus der Stadt Cork geht, unweit der Galgenwiese, liegt ein großer See, auf dem sich winters das Volk mit Schlittschuhlaufen ergötzt, aber die Lust über dem Wasser ist nichts in Vergleich mit der, die darunter ist, denn auf dem Boden dieses Sees stehen Gebäude und Gärten, die prächtigsten, die man je gesehen. Wie sie dahin kamen, hat sich folgendermaßen zugetragen.

Lange bevor ein sächsischer Fuß irischen Grund betrat, lebte ein großer König namens Corc; sein Schloß stand da, wo jetzt der See ist, in einer grünen, meilenbreiten Aue. Mitten im Burghof befand sich ein Springbrunnen so reinen, klaren Wassers, daß es ein Wunder war. Der König freute sich auch nicht wenig, eine solche Merkwürdigkeit in seinem Schlosse zu besitzen; als aber die Leute in Haufen herbei kamen von fern und von nah, das köstliche Wasser dieses Brunnens zu schöpfen, fürchtete er, daß es mit der Zeit versiegen möchte. Er befahl eine hohe Mauer rundherum zu bauen und wollte niemand mehr zu dem Wasser lassen, was ein großer Schaden für die armen Leute war, die in der Gegend wohnten. So oft er aber selbst Wasser brauchte, sandte er seine Tochter hin, es zu holen und vertraute den Schlüssel zu der Quelltüre keinem seiner Diener, aus Besorgnis, sie könnten etwas davon weggeben.

Eines abends feierte der König ein großes Fest, viele Fürsten waren zugegen, Grafen und Edelleute ohne Zahl, das ganze Schloß war voll Herrlichkeit, Freudenfeuer stiegen in die Wolken auf, der Tanz drehte sich und so süße Musik ging dazu, daß sie die Toten aus ihren Gräbern hätte wecken mögen; Speisen standen für jeden bereit, der hereinkam und niemand wurde von dem Schloßtor zurückgewiesen, jedem rief der Pförtner "willkommen, herzlich willkommen!" entgegen.

Nun geschah es aber, daß bei diesem großen Feste auch ein junger Prinz erschienen war, lieblich von Ansehen, so schlank und gerade, wie sich ihn nur ein Auge wünschen möchte zu erblicken. Recht lustig tanzte er den Abend mit des alten Königs Tochter auf und nieder, federleicht und die Füße so zierlich setzend, daß es allgemeine Bewunderung auf sich zog. Die Musikanten spielten aufs beste, um einem solchen Tanze Ehre zu machen und jene tanzten, als stände ihr Leben darauf. Nach dem Tanz folgte das Abendessen, der junge Prinz saß seiner schönen Tänzerin zur Seite und so oft er mit ihr sprach, lächelte sie ihm zu, er tat es aber lange nicht so oft, als sie wünschte, denn er mußte sich vielmals zu der Gesellschaft umdrehen und für die Komplimente danken, die seiner schönen Tischgefährtin und ihm gemacht wurden.

Mitten in der Mahlzeit sagte einer von den großen Herrn zu dem König Corc: "Mit eurer Majestät Erlaubnis, alles ist hier im Überfluß, was das Herz sich wünschen mag, beides zu essen und zu trinken, nur kein Wasser."

"Wasser!" sagte der König mit Wohlgefallen darüber, daß jemand das forderte, woran absichtlich Mangel gelassen war: "Wasser sollt ihr gleich haben und von so köstlicher Art, daß ich die ganze Welt auffordere, ein gleiches vorzuweisen. Tochter", rief er, "geh, hole welches, in dem Goldeimer, den ich dazu habe machen lassen."

Die Königstochter, welche Fior Usga (Springwasser) hieß, schien eben nicht zufrieden damit, heute vor so vielen Leuten diese gemeine Hausarbeit zu übernehmen. Sie wagte nicht ihres Vaters Geheiß zu widerstreben, aber sie zögerte, auf den Boden schauend. Der König, welcher seine Tochter sehr liebte, merkte ihre Verlegenheit und es tat ihm leid, daß er es von ihr begehrt hatte, doch sein königliches Wort durfte er nicht zurücknehmen, er sann auf ein Mittel, sie gleich dahin zu bringen, daß sie das Wasser holte und fiel auf den Gedanken, der Prinz, ihr Tischgesell solle sie begleiten. Mit lauter Stimme sagte er: "Meine Tochter, mich wundert nicht, daß du dich fürchtest allein auszugehen so spät in der Nacht, der junge Prinz dir zur Seite, hoffe ich, wird dich begleiten." Der Prinz hörte das mit Vergnügen und den Goldeimer an die eine Hand nehmend, mit der andern die Königstochter aus dem Saal führend, zog er die Blicke aller Gäste auf sich.

Als sie zu dem Wasserbrunnen im Schloßhof kamen, schloß die schöne Usga das Tor sorgfältig auf, bückte sich mit dem Goldeimer und wollte Wasser schöpfen, aber das Gefäß wurde ihr so schwer, daß sie das Gleichgewicht verlor und in den Brunnen stürzte. Vergeblich strebte der junge Prinz sie zu retten, das Wasser stieg und stieg so mächtig, daß es schnell den ganzen Schloßhof einnahm, außer sich eilte er zurück zu dem König.

Das Brunnentor war offen geblieben und das lang verschloßne Wasser, froh über die erlangte Freiheit, rauschte unablässig herein, stieg jeden Augenblick höher und war in dem Gastsaal so schnell wie der junge Prinz selbst, dergestalt, daß, wie er versuchte mit dem König zu reden, er bis an den Hals im Wasser stand. In die Länge stieg das Wasser zu solcher Höhe, daß es die ganze grüne Aue, in welcher des Königs Schloß lag, erfüllte und so wurde der jetzige See von Cork gebildet.

Aber der König und seine Gäste ertranken nicht, noch seine Tochter, die schöne Usga, sondern die nächste Nacht nach dem schreckenvollen Ereignis kehrte sie zum Festgelag zurück und seitdem jede Nacht geht das Fest und der Tanz an in dem Boden des Sees und wird so lange dauern, bis es einem gelingt, den Goldeimer heraus zu bringen, der die Ursache des Unheils war.

Und niemand kann zweifeln, daß dies Gericht darum über den König erging, weil er den Brunnen im Schloßhof den armen Leuten verschlossen hatte. Wer aber der Sage nicht glaubt, gehe hin an den See, wenn das Wasser niedrig und hell steht, so wird er mit guten Augen die Turmspitzen und andere Häuser in der Tiefe erblicken.

Anmerkungen:

Im westlichen Irland erzählte ein Bauer eine ähnliche Sage. Geht man an einem schönen Sommerabend, wenn die Sonne gerade hinter die Berge sinkt, zu dem See und kommt man zu einem kleinen Überhang auf der Westseite, so hat man, wenn man sich bückt und in das Wasser schaut, den schönsten Anblick von der Welt, denn man sieht unter dem Wasser ganz deutlich eine große Stadt mit Palästen, langen Straßen und Plätzen.

Giraldus Cambrensis (aus dem 12ten Jahrhundert) gedenkt der Sage, daß der See Neagh vormals eine Quelle gewesen, welche das ganze Land überschwemmt habe: "piscatores aquae illius turres ecclesiasticas, quae more patrio arctae sunt et altae, necnon et rotundae, sub undis manifeste sereno tempore conspiciunt et extraneis transeuntibus reique causas admirantibus frequenter ostendunt."

Waldron hat eine Sage von der Insel Man, wonach ein Taucher in eine Stadt unter dem Meer kam, deren Pracht er nicht genug beschreiben kann und wo der Boden der Zimmer aus Edelsteinen zusammengesetzt war.

Es gibt auch in Deutschland und sonst genug Sagen von Seen, die an der Stelle ehmaliger Städte und Burgen stehen, vgl. z. B. Deutsche Sagen Num. 131.

Quelle: Thomas Crofton Croker, Fairy tales and traditions of the South of Ireland, London 1825;
in der Übertragung der Brüder Grimm, Irische Elfenmärchen, Jakob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1826

Fior Usga

A little way beyond the Gallows Green of Cork, and just outside the town, there is a great lough of water, where people in the winter go and skate for the sake of diversion; but the sport above the water is nothing to what is under it, for at the very bottom of this lough there are buildings and gardens, far more beautiful than any now to be seen, and how they came there was in this manner.

Long before Saxon foot pressed Irish ground, there was a great king called Corc, whose palace stood where the lough now is, in a round green valley, that was just a mile about. In the middle of the court-yard was a spring of fair water, so pure, and so clear, that it was the wonder of all the world. Much did the king rejoice at having so great a curiosity within his palace; but as people came in crowds from far and near to draw the precious water of this spring, he was sorely afraid that in time it might become dry; so he caused a high wall to be built up round it, and would allow nobody to have the water, which was a very great loss to the poor people living about the palace. Whenever he wanted any for himself he would send his daughter to get it, not liking to trust his servants with the key of the well-door, fearing that they might give some away.

One night the king gave a grand entertainment, and there were many great princes present, and lords and nobles without end; and there were wonderful doings throughout the palace: there were bonfires, whose blaze reached up to the very sky; and dancing was there, to such sweet music, that it ought to have waked up the dead out of their graves; and feasting was there in the greatest of plenty for all who came; nor was any one turned away from the palace gates-but "you're welcome - you're welcome, heartily," was the porter's salute for all.

Now it happened at this grand entertainment there was one young prince above all the rest mighty comely to behold, and as tall and as straight as ever eye would wish to look on. Right merrily did he dance that night with the old king's daughter, wheeling here, and wheeling there, as light, as a feather, and footing it away to. the admiration of every one. The musicians played the better for seeing their dancing; and they danced as if their lives depended upon it. After all this dancing came the supper; and the. young prince was seated at table by the side of his beautiful partner, who smiled upon him as often as he spoke to her; and that was by no means so often as he wished, for he had constantly to turn to the company and thank them for the many compliments passed upon his fair partner and himself.

In the midst of this banquet, one of the great lords said to King Corc, "May it. please your majesty, here is every thing in abundance that heart can wish for, both to eat and drink, except water."

"Water !" said the king, mightily pleased at some one calling for that of which purposely there was a want: "water shall you have, my lord, speedily, and that of such a delicious kind, that I challenge all the world to equal it. Daughter," said he, "go fetch some in the golden vessel which I caused to be made for the purpose."

The king's daughter, who was called Fior Usga, (which signifies, in English, Spring Water,) did not much like to be told to perform so menial a service before so many people, and though she did not venture to refuse the commands of her father, yet hesitated to obey him, and looked down upon the ground. The king, who loved his daughter very much, seeing this, was sorry for what he had desired her to do, but having said the word, he was never known to recall it ; he therefore thought of a way to make his daughter go speedily and fetch the water; and it was by proposing that the young prince her partner should go along with her. Accordingly, with a loud voice, he said, "Daughter, I wonder not at your fearing to go alone so late at night; but I doubt not the young prince at your side will go with you." The prince was not displeased at hearing this; and taking the golden vessel in one hand, with the other led the king's daughter out of the hall so gracefully that all present gazed after them with delight.

When they came to the spring of water, in the courtyard of the palace, the fair Usga unlocked the door with the greatest care, and stooping down with the golden vessel to take some of the water out of the well, found the vessel so heavy that she lost her balance and fell in. The young prince tried in vain to save her, for the water rose and rose so fast, that the entire court-yard was speedily covered with it, and he hastened back almost in a state of distraction to the king.

The door of the well being left open, the water, which had been so long confined, rejoiced at obtaining its liberty, rushed forth incessantly, every moment rising higher and higher, and was in the hall of the entertainment sooner than the young prince himself, so that when he attempted to speak to the king he was up to his neck in water. At length the water rose to such a bb, that it filled the entire of the green valley. in which the king's palace stood, and so the present lough of Cork was formed.

Yet the king and his guests were not drowned, as would now happen, if such an awful inundation were to take place; neither was his daughter, the fair Usga, who returned to the banquet hall the very next night after this dreadful event; and every night since the same entertainment and dancing goes on in the palace at the bottom of the lough, and will last until some one has the luck to bring up but of it the golden vessel which was the cause of all this mischief.

Nobody can doubt that it was a judgment upon the king for his shutting up the well in the courtyard from the poor people : and if there are any who do not credit my story, they may go and see the lough of Cork, for there it is to be seen to this day; the road to Kinsale passes at one Bide of it; and when its waters are low and clear, the tops of towers and stately buildings may be plainly viewed in the bottom by those who have good eyesight, without the help of spectacles.

Quelle: Thomas Crofton Croker, Fairy tales and traditions of the South of Ireland, London 1825;