DER DANKBARE ZWERG

Im Harzgebirge, wo jetzt Andreasberg liegt, standen früher nur einige einsame Hütten. In einer derselben wohnte der stille Sepp, ein alter Bergmann. Dieser führte mit seiner Frau Margarete ein fast dürftiges Leben, denn sie konnten kaum so viel verdienen, als sie zur höchsten Not brauchten. Die anderen Bergleute waren auch nicht fleißiger, hatten noch dazu mehrere Kinder und befanden sich doch wohler. Sepp klagte oft darüber gegen seine Frau und wurde ganz mißmutig. Die gute Frau konnte den geheimen Kummer Sepps kaum noch ertragen.

Einst sprach sie: »Ich weiß, Mann, was uns fehlt.«

»Ich auch«, erwiderte Sepp, »uns fehlt viel Geld, für welches wir uns kaufen können, was uns fehlt.«

»Ach«, rief Margarete, »Geld macht's nicht allein; hab' geträumt, daß wir durch Kinder glücklich werden, darum laß uns den lieben Herrgott bitten, er möchte uns doch bald einen Sohn schenken! Kinder, sagte meine Großmutter, Kinder bringen Segen ins Haus!«

Sepp fand in diesen Worten etwas Wahres und schloß seinen Wunsch stets in das Abendgebet mit ein. Seit dieser Zeit wurde er heiterer, und die Arbeit ging ihm besser von Händen. Einst trat er aus seiner Hütte, wanderte nach der Silbergrube, fuhr in den dunklen Schacht hinab und begann sein schweres Tagewerk. Als er unten mit seinem Fäustel frisch auf das harte Gestein loshämmerte, da trat zu ihm ein kleiner brauner Berggeist und sprach: »Sepp, in einem Jahre wirst du mehr haben, als ihr euch gewünscht habt!« Sepp war ganz überrascht, wollte reden, aber im Nu war das Männchen wieder verschwunden. Als er nach Hause kam, erzählte ihm seine Frau, daß sie im Bodetale gewesen wäre und daß ihr dort ein Zwerglein erschienen sei, welches ihr dasselbe gesagt habe.

Die beiden Leute waren innig vergnügt, obgleich sie die Worte nicht recht verstanden, welche ihnen so geheimnisvoll mitgeteilt wurden. Sie arbeiteten nun wacker, um für ihr Söhnchen wenigstens ein Kleidchen und ein Bettchen zu verdienen, und Sepp strengte sich an, damit er auch einige Groschen übrig behielt, um sie anwenden zu können, wenn seine Frau mehr zu Hause bei dem kleinen Sohn bleiben würde.

Das Jahr war noch nicht ganz vorüber, als Sepp von einem Marsche über das Gebirge zurückkam und das steinige Bodetal betrat. Es fing schon an zu dämmern, und Sepp sputete sich, um nach Hause zu kommen, denn in der Nacht über die vielen Felsblöcke zu wandern war ein beschwerlich Ding. Eine Viertelstunde mochte er im Tale hingegangen sein, da hörte er im Wasser eine kindliche Stimme flehentlich um Hilfe rufen. Der Ruf drang ihm ans Herz; er übersprang einige große Steine und sah in der Dunkelheit ein kleines Wesen - wie es schien, einen sechsjährigen Knaben — mit den Wellen kämpfen. Sepp half dem Kinde schnell heraus und fragte, wohin es wollte. Es erzählte vieles von einem reichen Herrn und von goldenen Kleidern und von vielen Dienern, aber Sepp konnte aus der Erzählung nicht klug werden; er sprach vor sich hin: »Vielleicht bist du das kleine Söhnlein, das mich glücklich machen soll!« nahm dann das Kind auf seinen Arm und beschloß, es seiner Margarete zu bringen.

Eiliger als erst wanderte er nun heimwärts und kam in tiefer Nacht an seiner Hütte an. Er trat hinein und malte sich schon im stillen die Freude aus, die seine Frau empfinden würde, wenn er ihr das Kind übergeben werde. Aber wie erstaunte er, als er in seinem Stübchen seine Margarete in der höchsten Geschäftigkeit fand: Gott hatte den guten Leuten während Sepps Abwesenheit zwei Knaben geschenkt. Die fröhliche Mutter war zugleich in großer Not, denn sie wußte nicht, was sie mit beiden Knaben anfangen sollte. Dem einen hatte sie ein Linnenhemdchen angezogen, und den ändern mußte sie nackt ins Bett legen.

Sepp machte ein langes Gesicht und merkte bald, daß er mit einem dritten Kinde hier wahrlich nicht gelegen kam. Margarete sah den Knaben, den der Vater brachte, mit großen Augen an, fand sein Gesicht schon ziemlich alt, stieß einen Schrei aus, drängte ihren Mann nach der Tür und rief: »Fort, fort! ein Zwerg! fort mit dem Zwerg!« dann sprang sie nach den beiden kleinen Knaben und legte sich über dieselben weg, um sie zu schützen. Sepp stand verwundert an der Tür, sah nun seinen Findling genau an und merkte wohl, daß derselbe kein Kind von sechs Jahren war. Der Zwerg sprang ihm vom Arm, ließ ein Päckchen fallen und schlüpfte zur Tür hinaus, während Margarete sich immer noch mit verstörtem Blicke umsah und dann den Mann bat, daß er nachsehen möchte, ob die Tür auch wirklich zu wäre.

Als Sepp sie beruhigt hatte, rief sie ihn ans Bett und sprach: »Sieh doch die kleinen Pausbacken! Gott gab uns zwei, das eine ist noch nackt, aber ich geb' keins wieder her und wenn wir auch die Nacht hindurch arbeiten müssen! Es ist nur gut, daß der Zwerg fort ist. Warum, lieber Sepp, brachtest du ihn denn herein? Weißt du nicht, daß die Zwerge die kleinen Kinder stehlen und dafür elende, gebrechliche, schreckliche Wesen ins Bett legen? Da, sieh nur unsere lieben Bübchen; ach, wenn der Zwerg eines genommen hätte, ich wäre trostlos! Sprich nur gleich die Taufworte über sie aus, dann können ihnen die Zwerge nichts Böses tun!«

Sepp erfüllte den Wunsch der besorgten Mutter und taufte die Kinder, und dann erst war es ihm möglich zu erzählen, wie er zu dem Zwerg gekommen war. Als Margarete endlich alles wußte, meinte sie: »Ja, wenn's so ist, dann hätte uns der Zwerg wohl nichts getan; auch sah er braun aus, und braune und weiße Zwerge sind nicht böse, aber die schwarzen - prr, prr! vor denen furcht' ich mich!«

»Mußt auch nicht gar so ängstlich sein!« erwiderte Sepp und hob dabei das Päckchen auf, das in der Stube lag. »Was ist das?« fragte er. Margarete stutzte auch und bat ihren Mann, das Päckchen zu öffnen. Dieser tat es. In dem Päckchen lagen sechs Hemden, sechs weiße Tücher, sechs Röckchen und zwei Perlenschnüre, an welchen ein Kräutlein hing.

»Das hat der Zwerg gebracht!« rief Sepp, und Margarete dankte mit stillem Herzen dem guten Wesen und bat gerührt um Verzeihung ihrer mütterlichen Hast. »Auch das Kraut Orant!« rief sie und nahm schnell die Perlenschnürchen und hing sie ihren Kindern um den Hals, indem sie sprach: »Da, ihr Bübchen, nun tut euch kein schwarzer Zwerg etwas; Kraut Orant schützt euch, bis der Pfarrer kommt und euch ordentlich tauft!«

Nach acht Tagen wollte der Pfarrer zur Taufe kommen, und drei Bergleute, die in der Nähe wohnten, sollten Gevatter stehen. Den Tag vorher aber wußte Sepp noch nicht, woher er einige Speisen nehmen sollte, um seinen Gästen wenigstens etwas vorzusetzen. In seiner Sorge besprach er sich mit seiner Frau und meinte: »Ja, wenn ich den Zwerg wieder erwischen könnte, ich liefe gleich noch einmal ins Bodetal, der würde uns gewiß helfen; aber es wird vergebens sein; denn die Zwerge sind nur zu sehen, wenn sie ihre Hütchen oder Nebelkappen verloren haben, und so war es meinem kleinen Findling im Wasser ergangen. Doch, mir fällt etwas ein.«

Sepp konnte nicht weitersprechen; denn die Türe tat sich plötzlich auf, und in das Stübchen flogen drei Schinken, hinter welchen vier Brote hereinkollerten und zwei große Säcke machten den Beschluß, dann schlug sich die Türe wieder von selbst zu. Keine Hand war zu sehen, welche die Sachen herbeischleppte. Die vergnügten Eltern wußten nicht, was sie vor Freuden angeben sollten. »Siehst du«, sprach Sepp, »wie gut es ist, wenn man auch für andere ein Herz hat! Hält' ich dem guten Zwerg nicht geholfen, wir säßen jetzt in Kummer und Sorgen!«

»Hast recht!«, entgegnete die Frau, »doch schau auch, was in den Säcken ist!« Sepp öffnete diese und zog verschiedene Pakete Mehl, Gemüse, Fleisch, Grütze und viele andere Dinge heraus, von denen eine Familie ganze Wochen lang leben konnte. Er nahm nun einiges von dem reichen Vorrat, um es draußen in einen alten Schrank zu legen, lief nach der Türe, konnte aber nicht hinaus. Als er jedoch Gewalt brauchte, da öffnete sich die Türe, und Sepp fand hinter derselben ein großes Faß Bier.

Die sonst so armen Leute fühlten sich jetzt überreich und waren wegen der Speisen der Gäste außer Sorge. Nur wegen der Küchengerätschaften waren sie noch in Verlegenheit. Als sie davon redeten, versprach Sepp, Rat zu schaffen. Er erzählte, daß er von der Höhle gehört habe, wo die Zwerge in ihren prächtigen Gemächern wohnen, wo Gold liegt wie Sand am Meere, wo Edelsteine an den Wänden blitzen und wo die Zwerge ihre Spiele und Schmausereien halten. »Dorthin gehe ich heute«, rief Sepp getrost, »ich weiß den Platz, wo die guten Männchen abends herumschwärmen und m ihren Nebelkappen tanzen, ohne von den Menschen gesehen zu werden; dort ist auch der Eingang zu ihrer Höhle. Ich klopfe an und bringe meine Bitte vor!«

Gegen Abend machte Sepp sich wirklich auf die Reise, kam ungestört an dem bewußten einsamen Plätzchen an und klopfte am Eingang der Höhle, indem er seine Wünsche vortrug. Die Türe tat sich auf und Sepp konnte in einen langen, finsteren Gang hinuntersehen, an dessen Ende ein kristallener Saal sichtbar wurde, aus welchem eine wunderbare Musik herausschallte. Der erstaunte Bergmann hatte dabei nicht bemerkt, daß in der Dämmerung derselbe kleine Zwerg zu ihm getreten war, welchen er aus der Bode gerettet hatte. Erst als jener seine Fackel erhob, erkannte ihn sein Retter. Der Zwerg bestellte den Sepp für den folgenden Morgen wieder, schwang mit der rechten Hand seine Nebelkappe nach dem Kopfe und war augenblicklich verschwunden, auch der Eingang zur Höhle hatte sich wieder geschlossen.

Sepp kam in Ungewißheit nach Hause, erschien aber auch, ehe der Morgen graute, wieder an der Höhle. Schon in der Ferne sah er es funkeln und blitzen, und als er näher trat, bemerkte er allerhand blanke Gerätschaften: Schüsseln, Teller, Gläser und vieles andere in großer Menge. Er nahm, so viel er nötig zu haben glaubte, und trug seine Last nach Hause, wo nun alles auf den fröhlichen Kindtaufsschmaus vorbereitet wurde. Die Gäste kamen bald und fanden bei dem armen Bergmann viel mehr, als sie erwartet hatten. Als der Pfarrer getauft hatte, meinte er, solche schönen Buben habe er lange nicht gesehen und es konnte etwas aus ihnen werden, und als die Gevattern mit ihm fortgingen, da sprachen sie zueinander, daß sie noch nie so eine heitere Kindtaufe mitgemacht hätten.

Sepp legte sich mit seiner Margarete fröhlich nieder, und am ändern Tage griffen sie sogleich nach ihren Gerätschaften, reinigten und putzten sie, füllten einen Krug mit Bier und eine Schüssel mit Speisen, und Sepp nahm alles und trug es den Zwergen wieder hin und setzte es mit stillem Dank vor die Höhle. Gern hätte er seinen lieben Helfern auch ein Geschenk gemacht, aber er wußte, daß sie so etwas von den Menschen übel aufnehmen, daß sie es wohl nicht zurückweisen, aber es zugleich als Abschied betrachten und dann nichts wieder von sich hören lassen. Mit stillem Dank zog sich Sepp zurück und schritt in größter Zufriedenheit seiner Hütte zu.

Die kleinen Buben wuchsen kräftig auf. Als sie ein Jahr alt waren und die gute Margarete sie an ihrem ersten Geburtstag beglückwünschen wollte, da fand sie auf dem Bettchen der Kinder sechs schöne Goldstücke. Der liebe Zwerg hatte sie in der Nacht gebracht, und er vergaß die kleinen Lieblinge auch später nicht; denn er erschien an jedem Geburtstage und beschenkte sie auf dieselbe Weise, bis sie zwölf Jahre alt waren. Als der dreizehnte Geburtstag kam, hörte Sepp in der Nacht seinen Knaben, den er Job nannte, derb husten und brannte Licht an, um ihm einen guten Kräutertee zu kochen. Indem er mit dem Licht nach der Türe zulief, tat sich dieselbe auf und der Zwerg trat herein, sah aber das Licht und wich zurück und ist nie wieder gekommen; denn irdisches Licht können die Zwerge nicht vertragen.


Quelle: Märchenzauber - Märchenwelt, Berlin 1893