Davids Weihnachtsfeier im Armenhaus - Karl Heinrich Waggerl

Und es kommt der Heilige Abend, der einzige Tag im Jahr, den man rein vergeudet und der erst mit dem Dunkelwerden beginnt. Auf der ganzen Welt gibt es sicher keinen Christenmenschen, der diese Stunde nicht feiert. Mag er auch selbst ganz arm und einsam sein, er wird doch an irgendeine selige Zeit seines Lebens zurückdenken, oder er kann an einem Fenster stehen und Kinder lachen hören, und wenn er sich nur in einen fremden Hausflur drückt, so kommt gewiß jemand vorbei, der ihm freundlich zunickt und gute Feiertage wünscht.

Denn an diesem Abend sind alle Menschen freundlich und gut. Friede, sangen die Engel, Friede den Menschen auf Erden!

Auch die alten Leute im Armenhaus ziehen ihr bestes Gewand an, sie stecken ein Tannenreis hinter das Bett, und nach dem Aveläuten kniet jedes vor einem Stuhl und hat sein eigenes Wachslicht brennen. Der Pfarrer kommt herüber und kniet auch hin und betet den freudenreichen Rosenkranz mit ihnen.

David steigt indessen in die Kammer hinauf und entzündet die Lichter an seinem Baum, Kerzenstummel von den Altären. Nüsse hängen im Geäst, Sterne und Kugeln aus Stanniol, vergoldete Lärchenzapfen und ein paar Zuckerstücke, es sieht sich festlich an. Zuletzt schleicht er auf den Zehenspitzen hinaus, schließt die Kastentüren und wartet eine Weile auf dem finsteren Dachboden.

Kling, kling, sagt David, dann macht er die Türen wieder auf und steht überwältigt vor der gleißenden Pracht. Summend und voll Staunens geht er um den Baum herum und schlägt die Hände zusammen und betrachtet alles, was er sich selbst beschert hat, die Äpfel und die Uhr, und das hölzerne Roß auch, ja, das Pferdchen!

Singen kann er leider nicht gut, sonst würde er jetzt ein Lied anstimmen, vielleicht das vom armen Krippenkind, wie es in der kalten Nacht geboren wurde:

Warum, o herzigs Kindlein,
liegst du so arm und bloß
und nur in schlechten Windlein
in deiner Mutter Schoß?

Ja, David ist selbst um diese Zeit zur Welt gekommen, es steht in seinem Sparbuch. Aber daß es eine böse Nacht war, ohne einen Stern am Himmel und ohne Engelgesang, daß der Wind durch die Magdkammer pfiff, Schnee und eisiger Wind, davon steht nichts in dem Buch. Das hat ihm erst die Mutter erzählt.

Beinahe wären wir erfroren, sagte sie, wir beide. Und dann, am dritten Tag, kam das Fieber dazu. Aber weil es Sonntag war, tat der Knecht ein gutes Werk und zog uns auf dem Heuschlitten in das Tal und noch einen halben Tag weit bis in das Krankenhaus.

Die Mutter erzählt das wunderschön, wie sie also dieser Knecht aus der Kammer heruntertrug und ins Heu bettete und mit Stricken festband. Er war ein riesiger Mensch, schwer und viereckig wie ein Kasten.
Und auf dem ganzen Weg sprach er kein Wort. Er schnaufte nur und legte sich in die Gurten mit seiner Bärenkraft, der Schnee lag knietief auf der Straße, und es schneite immer noch, er aber ging gleich einem Pflug hindurch. Schritt für Schritt, Stunde um Stunde. Manchmal blieb er stehen und blies den Schnee aus dem Bart, dann ging er um den Schlitten herum und stäubte auch die Mutter ab, so zart er es konnte mit seinen schwieligen Händen. Wie ein Vater umsorgte er sie, wie Joseph seine Familie auf der Flucht. David schlief die ganze Zeit im Schoß der Mutter, er hatte es dort warm und gut, denn die Mutter glühte im Fieber. Und alles kam ihr so seltsam vor, sie erinnert sich noch gut, wie sonderbar alles war. Die hohen Wipfel im Wald zogen über ihr vorbei, sie sahen wie geflügelte Wesen aus, wie weißbeschwingte Engel am Himmel, und sie sangen auch. Es war ja nur der Wind, der oben durch die Bäume fuhr, aber ihr schien es doch, als schwebte der Schlitten und würde auf und ab getragen, und die Engel summten und sängen lieblich dazu. Und sie sah den Mann vor dem Schlitten hergehen, er hatte seinen runden Hut ins Genick geschoben, der Schnee sammelte sich in der Krempe, und das sah wunderlich aus, wie ein Heiligenschein um seinen Kopf. Dabei kannte ihn die Mutter kaum, er war ein ganz einfältiger Mensch. Nur so ein Knecht, vier Gulden Jahrlohn hatte er, David, solche Menschen gibt es. Das darf man nie vergessen, meinte die Mutter. Den ganzen Tag mühte er sich ab, der Doktor schalt ihn noch aus, weil er ihm Schnee ins Haus schleppte, als er uns vom Schlitten hob und in dem Spital durch die sauberen Gänge trug. Und am anderen Morgen stieg er dann wieder mit seinem Ziehschlitten in den Holzschlag hinauf.

Der Knecht schlug nicht etwa an die Brust und sagte, seht, was für ein guter Mensch ich bin, was für ein Wohltäter! Sondern er vergaß alles wieder. Und wenn Gott einmal seine Werke aus dem Buch liest und sagt: selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen, so wird der Knecht gar nicht verstehen, wofür ihn Gott liebt. Herr, wird er antworten, das hat leicht geschehen können, das war weiter nichts . . .

David löscht die Kerzen an seinem Christbaum wieder aus, dann wickelt er die Spanschachtel und den Blumenstock in Papier und begibt sich in das Dorf zur Krämerin. Auch er hat sein gutes Gewand angezogen, in diesem Jahr feiert er den Heiligen Abend dreifach. Denn später wird er noch beim Pfarrer einkehren und die Handschuhe unter den Baum legen, ganz im geheimen natürlich. Agnes braucht nicht zu erfahren, wer sich ihrer Blöße erbarmt hat. Und nur wenn sie vor Freude außer sich wäre und es durchaus wissen wollte, könnte er vielleicht ein Wort fallenlassen - nun ja, sie seien nicht ganz schlecht. Er habe zwar schon bessere Fäustlinge gesehen, aber immerhin, für die Not taugten sie gerade.

Aus allen Fenstern fällt warmer Kerzenschein auf den Dorfplatz. Im Vorübergehen sieht David die Leute in den Stuben vor dem Christbaum beisammenstehen. Das Jüngste hat der Vater auf dem Arm, es hopst und kräht und greift nach den Lichtern. Und die Mutter hat keinen Augenblick Ruhe, eins zerrt an ihrer Schürze, damit sie ihm endlich in die neuen Schuhe hilft, und indessen wird sie vom ändern beinahe erwürgt, weil sie die Puppe noch nicht genug bewundert hat. Anderswo kommt die Sache erst in Gang. Eine Tür öffnet sich eben, ein Rudel Kinder stolpert herein, und dahinter steht wiederum der Vater, es ist überall derselbe hemdsärmelige Mann, der wohlwollend lacht und die Zigarre zwischen den krummen Fingern dreht, und es ist auch die gleiche Mutter, die irgendein Paketchen in den Händen hält und den Kopf dazu schüttelt. Denn es ist ja alles reine Verschwendung, was man ihr schenkt!

Auch in den früheren Jahren ging David um diese Stunde über den Dorfplatz, stand vor den erleuchteten Fenstern und drückte seine Nase an die Scheiben. Auf diese Weise konnte er an allem ein wenig teilnehmen, an der Bescherung im ganzen Dorf. Er selbst hatte ja nicht viel zu erwarten, ein paar Äpfel und Dörrbirnen vom Pfarrer, eine Handvoll Zuckerzeug oder etwas Nützliches, ein Paar Strümpfe vielleicht. Und oft verging er fast vor Aufregung und Ungeduld, wenn er mitansehen mußte, was zum Beispiel dieser Peter mit seiner Mundharmonika anstellte. Rein gar nichts brachte er heraus, während er, David, sicher auf das erste Mal einen flotten Marsch aufgespielt hätte.

Aber heuer ist es anders, diesmal ist er nicht mit leeren Händen unterwegs, nicht Zaungast vor fremden Häusern. Ach Gott, wie freut sich die Mutter über ihre Schachtel, wie bestaunt die Krämerin den schönen Begonienstock! Wird er nun weiß oder rot blühen? Rot, sagt David prophetisch. Wenn nicht Gott ein Wunder wirkt, um des Friedens willen.

David geht stolz und schwitzend in der Stube auf und ab, trägt Fäustlinge an den Händen und einen Wollschal um den Hals, und alles ist so überaus prachtvoll und festlich. Der Lichterbaum, die Kerzen und das Backwerk und das glitzernde Engelhaar über und über, und ganz oben der gläserne Stern, der sich in der warmen Luft langsam dreht.