DIE PSYCHOLOGIEPRÜFUNG

Am Institut für Psychologie der Universität Innsbruck überraschte Professor R. seine Studenten mit einer delikaten Prüfungssituation:

Die Prüfung von fünf Kandidaten war um 9 Uhr Morgens im Hörsaal angesetzt. Da die Hörsaal-Türe offenstand, haben die eben herangeeilten Kanditaten gleich ihre Plätze in der ersten Hörsaalreihe eingenommen, schliesslich ist es in Prüfungssituationen nicht unerheblich, den richtigen Platz zu erlangen.

Nachdem zuerst Belanglosigkeiten, wie etwa das verpatzte gemütliche Frühstück, besprochen werden, vergeht die Zeit und der Professor taucht nicht auf.

Die Kanditaten nutzen die Zeit und loten ihre Vorbereitungen aus, nicht zuletzt, um sich gegenseitig bei Versäumtem zu ertappen und in dieser Konkurrenzsituation untereinander Nervosität zu stiften.

Da der Prüfer auch nach einer Stunde immer noch nicht kommen will, wird die Atmosphäre wieder persönlicher und in der gemeinsamen Diskussion wird langsam deutlich, dass ohnehin alle die gleiche Strategie verfolgt hätten, nur den Stoff der letzten Vorlesung vorzubereiten, denn der ältere Professor könne sich unmöglich an den Vorlesungsstoff des ganzen Semesters erinnern.

Und überhaupt, der Professor kann sich nicht einmal an den kurzfristig vereinbarten Prüfungstermin erinnern und schon übertreffen die Kanditaten einander lautstark mit heftiger Kritik und Flüchen über den Professor.

Das geht so einige Zeit, bis plötzlich Professor R. hinter dem Hörsaal-Schreibtisch hervorklettert, sich höflich für den Stoff für sein umfangreiches Prüfungsprotokoll bedankt und allen Kanditaten den Wiederholungstermin für das Ende des darauffolgenden Semesters festsetzt.

Quelle: mündliche Erzählung an den Autor.
© Wolfgang Morscher