Weihnachten.

Der Weihnachtstag selbst ist ein stiller Tag. Kein Wagen fährt, die Wirtshäuser stehen leer. Der Vormittag wird größtenteils vom feierlichen Gottesdienste ausgefüllt, bei dem die Kirche wie das Volk der Beter den größten Schmuck und Putz entfaltet im Gegensatze zum welterlösenden Kinde, das "nackend und bloß" auf Stroh gebettet in der Krippe am Seitenaltare zu sehen ist. Den Mittag beherrscht vollständig das Essen. Weihnachten ist einer der größten - "Eßtage" des Jahres. Es ist ganz unglaublich, was der Magen so eines Gebirgsbauern zu leisten im Stande ist. Das Hauptgewicht bildet natürlich das auf Weihnachten geschlachtete Schwein, welchen Bissen sich wohl selbst der "notigste" Bauer an diesem Tage vergönnt. Auch die äußere Form wird bei der Mahlzeit nicht außer acht gelassen. Die Hausmutter deckt das alte schöne Tischtuch mit rot eingewirkten Endstreifen auf und bringt die alten blanken Zinnteller mit Figuren von erhabener Arbeit aus dem Kasten. Nach dem Essen schlägt sie das Tischtuch mit den vier Zipfeln zusammen, trägt die Brosamen darin in den Garten und sät sie auf den Schnee. Daraus wachsen, wie das Volk glaubt, im Frühjahr schöne rote Blumen, "Blutstropfen" genannt, (blutroter Amarant, adonis auctumnalis). Der Bauer aber zahlt dem "Schafer", der gleich nach Tisch kommt, den Lohn aus; gewöhnlich sind es fünfzig Kreuzer (eine Krone) von jedem Besitzer.

Nachmittags findet dann an den meisten Orten die feierliche Prozession statt. In Brixen trug man früher hiebei das Bild des neugeborenen Heilandes in einer Wiege herum. Dann wurde es unter Glockenklang und Gesang vom Meßner oder von Buben gewiegt und dem Volk zum Küssen gegeben. Dieses "Kindelwiegen" geschah alle Tage von Weihnachten bis Lichtmeß. Es muß dabei oft etwas bunt zugegangen sein, denn in einer Amtsinstruktion des 18. Jahrhunderts wird dem Meßner der Rat gegeben: "Aber nimm fein einen Stock oder eine Ochfensehne, denn die Buben sind oft sehr ungezogen." Bei diesem "Wiegen", das übrigens in manchen Orten, z. B. im Oberinntal noch gebräuchlich ist, wurden noch vor kurzem die sogenannten "Wiegenlieder" gesungen, die oft von einer rührenden Innigkeit sind. Eines aus Inzing im Oberinntal beginnt:

Das Kind ist geboren, ich sag's ohne Scheu,
Es liegt in der Krippe auf Stroh und auf Heu,
Es liegt in der Krippe so zart und so mild.
Es thut ihm (!) schon quälen der Schnee und der Wind.
O göttliches Kindlein, was hast du gethan,
Daß jetzo das Leiden schon fangen thut an.

Überhaupt gehören die Weihnachtslieder nebst den Advent- und Herbergliedern zu den schönsten und interessantesten Blüten des Volksgesanges. Aus ihnen entwickelten sich dann zum Teil die Weihnachtsspiele, welche den Hauptstock des geistlichen Dramas ausmachen. Die Sänger und Sängerinnen der Weihnachtslieder sind meist junge Leute, welche um diese Zeit von Tür zu Tür ziehen und ihre Gesänge gegen eine kleine Entlohnung herableiern.

Eine besondere Weihnachtsfreude für groß und klein ist die "Krippe". Sie besteht gewöhnlich aus einem stufenweise sich erhebenden, mit beflimmerten Hadern überkleideten Gerüste, auf dem der Vorgang der Geburt Christi bildlich dargestellt ist. In der Regel hat sie das Ansehen einer Gebirgslandschaft. Im mittleren Vordergründe befindet sich der bethlehemitische Stall mit darüber gepflanztem Stern und "Gloria in excelsis"; rings herum ist die "heilige Familie", dahinter Ochs und Esel mit den Hirten und Herden gruppiert. Im Hintergrunde erblickt man die Stadt Bethlehem. Das ganze "Krippelebergl" umgibt ein Kranz von Fichtenzweiglein mit roten Taffetbändern und goldgelben Äpfelchen verziert. Den Winkel unter dem Brett verhüllt die Taufdecke mit "hohen Namen" und bunten Blumen von bäuerlicher Hand zierlich gestickt. Solche Krippen findet man fast in jeder tirolischen Bauernstube und das "Aufmachen" derselben am heiligen Abend bildet eine Hauptfreude der Kinder und des alten "Nähnls" (Großvaters), der mit feinen zitternden Händen mithelfen muß.

Außer diesen einfachen Darstellungen der Geburt Christi gibt es aber auch in Kirchen und Privathäusern "Krippen" von großem Werte, mit wächsernen in Samt und Goldstickerei gekleideten Figuren, Wasserkünsten und beweglicher Staffage, Diese können oft in ihrer Art kleine Meisterstücke mechanischer Kunstfertigkeit genannt werden, die in manchen Gegenden Tirols, wie im Oberinntale, Vinschgau und Gröden gemeiniglich sich fortvererbende Anlage ist. Eine derartige Krippe umfaßt in haarsträubenden Zeitverstößen so ziemlich alles, was den naiven Gesichtskreis eines Gebirgskindes ausmacht oder in seiner Phantasie hängen geblieben ist. Da prangen in den Städten Jerusalem und Bethlehem Moscheen und Minnarets neben christlichen Kirchen. Aus dem Tore rückt soeben eine Truppe Kaiserjäger hervor. Weiterhin erblickt man Kapellen, Einsiedeleien mit herrlichen Gartenanlagen und Springbrunnen, vor allem einen kleinen See mit Schiffen, Auf den schneeigen Zacken springen ohne Berücksichtigung der Fernschaulichkeit Hirsche, Rehe und Gemsen herum, die der Jäger mit dem "Stutzen" verfolgt. Gewöhnlich sind auch schon die "heiligen drei Könige" im Anzüge, die mit ihren Kamelen und dem goldstrotzenden Gefolge einen Glanzpunkt der ganzen Darstellung bilden. Aber all diese Ungeheuerlichkeiten und Zeitverstöße stören den frommen Betrachter nicht im geringsten und er legt willig und mit gehobener Stimmung die paar Kreuzer auf den Opferteller, der dem Eigentümer oder Verfertiger die Mühe und Instandhaltung lohnen soll. Derartige schöne Krippen sind in den Kirchen von Götzens, Birgitz, Axams, Taur, Zirl etc. Berühmt war auch die Mosersche Kunstklippe in Bozen, die des Steixner in Wilten und die des Tischlers Brugger in Innsbruck. Viele solcher Krippen, wie z. B. die obengenannte Moser'sche, sind außer Land an Museen und Privatsammler verkauft worden. Sie tragen auch nicht den kindlichen schlichten Charakter, wie die Hauskrippen, sondern überladen mit allem unnötigen Flimmer und Flitter, voll von ganz unpassendem beweglichen Beiwerk tragen sie mehr die Kunstfertigkeit des Verfertigers zur Schau, als den frommen Sinn, dem die Landlrippen ihre Entstehung verdanken.

Je stiller der Weihnachtstag verrinnt, desto lauter geht es am darauffolgenden Stephanstage (26. Dezember) zu. In der Kirche findet früh morgens die Salz- und Wasserweihe statt. Die Leute bringen das Wasser in großen "Brennten" (Wasserschäffern), Flaschen und Fläschchen zum Gotteshaus und stellen es an der Seitentür nieder. Für das Salz ist im Presbyterium ein langer Tisch hergerichtet. In früheren Zeiten, wo es noch in jedem Hause schönes blankes Zinngeschirr gab, brachte man das Salz in reichgeformten "Modeln" oder ähnlich den Butterklössen in zierliche Form gepreßt und mit Grünzeug garniert dahin. Nach der Predigt weiht der Priester mit dem Sprengwedel beides. Mit dem geweihten Wasser, dem sogenannten "Steffeswasser", besprengt der Bauer Speisen, Scheune und Felder gegen den Einfluß der Hexen und bösen Geister oder, wie man sagt: Es ist gut gegen die "Vermoan" (Verhexung). Auch dem Vieh wird, wenn man es am Pfingstmontag zum erstenmale "austreibt", ein in dieses Wasser eingetunktes Stück Brot und "Weihsalz" gegeben. Häufig setzt man es mit dem geweihten Wasser zum sogenannten "Salzstein" an und modelt diesen zu einem Kuchen. Es dient in erster Linie als "Lecksalz" für das Vieh. Man gibt es ihm beim Auftrieb und beim Abzug von der Alpe; aber auch der Bauer genießt davon etwas, bevor er eine größere Wanderung, z. B. eine Wallfahrt unternimmt. Zieht ein drohendes Gewitter herauf, so wirft es die Bäuerin in das Herdfeuer, um die Gewalt der Hagelhexen zu bannen. An Orten, wo Pferdezucht betrieben wird, z. B. im kärntnerischen Lavanttal und Gailtal findet am Stephanstage unter großem Gepränge die Pferdeweihe statt. St. Stephan gilt nämlich als Patron dieses Haustieres. Im erstgenannten Tale kommen in aller Frühe die Burschen des ganzen Tales auf ungesattelten Pferden daher, reiten im Wettstreit zwölf- bis fünfzehnmal um die Kirche und dann schnell nach Hause. Mit diesem Vorgang ist eine kirchliche Feier verbunden, welche darin besteht, daß die Pferde während des Reitens gesegnet und mit Weihwasser besprengt, kurz exorzisiert werden. Gar schön ist die Sitte im Gailtale. Da sind die Pferde mit Blumen und bunten Bändern geschmückt und werden von den Burschen in ihrer malerischen Nationaltracht im Wettlauf um die Kirche geritten. Der Sieger bekommt von seinem Mädchen ein Sträußchen.

In Tirol hat sich von dieser Pferdeweihe und Pferderennen meines Wissens nichts erhalten. Dafür ist der Stephanstag an andern gemütlichen Sitten und Bräuchen reich. Nachmittags nach der Vesper findet nämlich im bäuerlichen Familienkreise das feierliche Anschneiden des Hauszeltens statt, der mit Butter und Schnaps verzehrt wird. Knechte und Dirnen nehmen selten daran teil, denn die find schon vormittags mit ihren Zelten aus dem Hause gegangen. Es ist üblich, daß die "Ehehalten" über die drei aufeinander folgenden Feiertage: Stephan, Johannes und "Unschuldige-Kindertag" zu ihren näheren und entfernteren "Leuten", entweder Eltern oder Verwandten, gehen und dort ihre Zelten verzehren. Man nennt dies "plättern". Dieser Besuch des Elternhauses ist besonders bei jenen Dirnen wichtig, die ein Verhältnis mit einem Burschen haben oder besser gesagt, eines eingehen wollen. In diesem Falle darf ihr derselbe den "Zelten nachtragen". Die Anfrage zu diesem Ritterdienst ist zugleich seine Liebeserklärung, die Zusicherung von Seite des Mädchens Beweis ihrer Gegenliebe. Zum Danke darf ihr dann der Bursche am Dreikönigstage den "Zelten anschneiden" oder "anstechen". Am Stephanstage werden an vielen Orten sogenannte Zeltenschießen abgehalten, wobei es sehr fidel hergeht und die "Beste" nebst Geld in Weihnachtszeiten bestehen.

Weniger gemütlich ist das "Zeltenziehen", das die Burschen des Oberinntales in der Stephansnacht vornehmen. Diese seltsame Sitte besteht darin, daß sie von den näher und ferner gelegenen Höfen alles, was nicht niet- und nagelfest ist, forttragen, ja ganze Wagen damit beladen und das so Zusammengeschleppte auf dem Kirchplatz oder am größten Brunnentroge des Ortes aufstellen. Am andern Tage können sich die Bauern das Entwendete, meist Schlitten und Karren, Rückkörbe, Zimmerböcke, Leitern, Ackerwalzen, Backofengeräte, Besen, Mädchenhemden und Unterkittel etc. wieder abholen und heimschaffen. Überhaupt geht es in der Nacht vom Stephanstag auf den folgenden Johannistag toll her. Die ganze Nacht wird getrunken, gesungen, getanzt und schließlich gerauft, besonders im Pustertal. Kommen ja die Burschen aus den Dörfern eigens deshalb nach Bruneck, um die Bewohner zu frotzeln, dann geht die Rauferei los. Auch im Ahrntale wird um diese Zeit "geranggelt".

Am darauffolgenden Johannistage (27. Dezember) wird in der Dorfkirche "Johanniswein" geweiht und nach dem Meßopfer am Kommuniongitter den Anwesenden gereicht. Er hilft gegen das "Vermeintwerden" und hat nach dem Glauben der Leute die "ärgste Weih". Man füllt ihn auch in Flaschen, wo er sich, da es gewöhnlich guter Wein ist, lang hält. Er wird bei Krankheitsfällen für "Vieh und Leut" verwendet. Einer originellen Sitte, die in manchen Gegenden Tirols, so im Brixentale herrscht, will ich noch erwähnen. Am Johannistage nimmt jeder verheiratete Bauer sein Weib nachmittags mit ins Wirtshaus. Da fragt sie den Mann, ob er sie "aufs nächste Jahr wieder ‚dingen' wolle". "Ja, will's wieder probieren", ist die Antwort. Hierauf wird gesungen und getrunken bis Mitternacht. Man nennt dies die "Weiberdingete". Die Zeche muß sie bezahlen, so will es die Sitte.

Den Schluß der eigentlichen Weihnachtsfeiertage macht der "Unschuldige-Kinder-Tag" (28. Dezember). Er bietet wenig Merkwürdiges, höchstens für die Kinder, welche an diesem Tage ins "Frisch und g'sund geb'n" gehen. Dieser in den Alpen weitverbreitete Brauch besteht in Tirol darin, daß Knaben und Mädchen mit Stangen oder Ruten Vorübergehenden oder auch Hausbewohnern einen kleinen Schlag versetzen und dabei einen Segenswunsch hersagen, so z. B. in Oberinntal: "G'lobt sei Jesus Christus zur Bluiet" (bläuen - schlagen), im Zillertal: "Gömmachten und bössar Broad", im Ötztal: "Glückseligs nuis Jahr a die Gömmacht" usw. Man sieht aus letzterem Spruche schon, daß diese Sitte sich nicht bloß auf den "Unschuldig'n-Kindelstag" allein beschränkt, sondern auf die ganze Zeit der "Zwölften" bis "Gömmachten" oder Heilig-Dreikönig erstreckt. Sehr verbreitet ist dieser Brauch in Kärnten und Steiermark, wo auch alte Leute "Schuppen" oder "Pließnen" gehen.

Der letzte und der erste Tag des Jahres, Sylvester und Neujahr, welche im bürgerlichen Leben eine so große Rolle spielen, lassen das bäuerliche fast unberührt. Sieht man von dem Vorgang des "Räucherns" am Sylvestertag abends als der zweiten Rauchnacht ab, so verlaufen diese zwei Tage, soweit nicht städtisches Treiben auf die nächste Umgebung eingewirkt hat, ziemlich eintönig und werktäglich. Nur in der Gegend von Meran ziehen in der Neujahrsnacht Burschen und Mädchen singend und musizierend zu den Häusern wohlhabender Bauern um für ihre Glückwünsche sich eine gute Bewirtung oder etwas Geld herauszuschlagen. Das Neujahr des Bauern trifft erst sechs Tage später ein, nämlich am "Perchten"- oder Dreikönigstage.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 234 - 240.