St. Nikolaus, Nikolausspiele, Nikolaus-Liedchen und Sagen.

Im Winter sieht es in den Alpen gar traurig aus. Schwer lastet der Eispanzer dieses kalten Tyrannen auf den Bergen und herrlichen Almen, über dem prangenden Hochwald, wie auf den saftigen Wiesengründen im Tale, wo noch vor einigen Wochen das Alpenvieh sich ätzend herumtummelte. Und erst die freundlichen Dörfer! Tief gehüllt in den weichen Schneemantel stehen sie da, eingeschneit bis über die Ohren. Alles trägt weiße Kugelkappen, die Brunnensäule wie der Zaunpfahl; selbst der ehrwürdige Kirchturm-Hahn hat seine Mütze und schaut erfroren herab auf die lieben Dorfkinder und auf die Spatzen, die als echte Tagdiebe sich auf den schneeigen Wegen bettelnd und stehlend herumstreiten. Desto traulicher sieht es drinnen in den warmen Bauernstuben aus. Besonders, wenn der Abend kommt, und jung und alt sich zum gemütlichen Heimgarten versammeln, da würde mancher, der in einen solchen Kreis hineinlugen könnte, sagen, daß diesen glücklichen Leutchen der grobe Winter nicht sehr wehe tut. Gerade die Zeit um Nikolaus herum ist im Dorfleben eine äußerst bewegte und entbehrt nicht jener harmlosen ernstheitern Freuden, die wie Blumen das bäuerliche Jahr durchwirken.

Da kommt vorerst der "heilige Mann", jener begabende Kinderfreund, den das sinnige Gemüt des Älplers mit allem poetischen und unpoetischen Zauber ausgestattet hat. Er vertritt das Christkind des Städters und besucht in höchst eigener Person die Dorfstuben und erhöht so den Reiz und die Bedeutung seiner Gaben. Darum beten die Kinder, wenn es gegen die Nikolauszeit geht, inbrünstig vor dem Schlafengehen:

"Heiliger Nikolaus, du goldener Mann,
Bring uns allerhand Sachen zusamm'.
Allerhand "Gutthaten", kräftige Sachen,
Wirst mir heute die Schüssel voll machen."

Sie stellen wohl auch im frommen Glauben eine Schüssel oder einen Schuh mit Hafer oder Heu gefüllt vor's Fenster, für den Schimmel des "heiligen Mannes". Man denkt sich nämlich denselben auf einem Schimmel reitend, weshalb er auch an manchen Orten geradezu "Schimmelreiter" heißt. Sogar ein Gläschen Schnaps "für seinen Bedienten" wird häufig hinzugefügt. Er braucht es auch, denn er kommt ja in der kalten Dezembernacht weit weit "über's Gebirge her", und daß solche Leute, die mit dem Vieh umgehen, gern etwas Gebranntes lieben, hat sich das kleine Seppele schon vom "Fütterer" seines Vaters abgeguckt. Und welche Freude, wenn nun am andern Morgen Hafer und Schnaps fort sind! Denn nun hat es so ein Kinderherz schwarz auf weiß, daß abends der "heilige Mann" kommen wird.

Und er kommt auch. Nicht als unsichtbares Wesen, das sich wie das Christkind der Städter nur durch den strahlenden Lichterbaum und die daran hangenden Gaben verrät, sondern er kommt als leibhaftige Erscheinung in aller Pracht und Herrlichkeit, wie er auf dem Hochaltar so liebreich dargestellt ist, und wie ihn die "Nahnl" beim Kaminfeuer den zuhorchenden Kindern haarklein beschrieben hat. Um die Spannung zu erhöhen, tritt oft vor ihm so eine Art Herold ein, der sich in der Stube nach echter Bedientenmanier allerhand zu tun macht, den Tisch abfegt, den Boden kehrt und schließlich wieder abzieht. Schritt für Schritt verfolgt von den Augen der in banger Erwartung mäuschenstill dastehenden Kinder. Wie klopfen die kleinen unschuldigen Herzen unter den Kleidchen, wie schauen die Blicke unverwandt nach der Türe, ob sie sich nicht bald öffne. Jetzt - schwere Tritte - sie tut sich auf, und herein tritt der "heilige Mann", ein ehrwürdiger Greis in weitem, goldverbrämten Bischofsmantel, mit wogendem Haar und weit herabwallendem Flachsbart, auf dem Haupte die strahlende Inful, in der Hand den glänzenden Goldstab. Er legt den Kindern Fragen aus dem Katechismus vor, belobt die Fleißigen und beschenkt sie mit Gaben, Äpfeln, Nüssen, Lebzelten, Bildchen und ähnlichem, die der "Bediente" neben ihm in einem Korbe trägt. Die Unwissenden und Unfolgsamen ermahnt er und zeigt bedeutungsvoll auf den hinter ihm stehenden "Klaubauf", der schon lange auf eine Gelegenheit gepaßt hat, auch seine schreckeinflößende Aufgabe kund zu tun. Er ist dementsprechend auch herausgeputzt. Pelzwerk und rasselnde Ketten umhüllen ringsum die Zottelgestalt; auf dem Kopfe sitzen Bockshörner, aus der geschwärzten Larve glotzen zwei Feueraugen und aus dem Maul hängt eine schuhlange, feuerrote Zunge, In den Klauen hält er eine mächtige Rute, auf dem Rücken hängt ein Sack, über dessen schauerliche Bestimmung er von Zeit zu Zeit durch unzweideutige Handbewegungen Aufschluß gibt, was in der Regel ein allgemeines Geheul und schleunige Flucht der Kinder hinter den großen Eßtisch zur Folge hat. Nachdem so beide Teile, der" heilige Mann" und sein höllischer Begleiter, samt dem "Bedienten" ihre Schuldigkeit getan, entfernen sie sich mit einem gut-tirolischen "Schlaft's g'sund allerseits", um an einem andern Orte dieselbe kinderbeglückende Tätigkeit fortzusetzen.

Im Lechtal vereinigt der "Saneklos" beide Rollen in einer Person. Er erscheint in Pelzwerk und kettengegürtet und sagt einen Spruch auf. Die Paznauner, die überhaupt ein seltsames Völklein sind, gesellen dem Bischof Nikolaus sogar ein schöngekleidetes Weib bei, die Klasa, welche aus ihrem Korb die Geschenke verteilt. An anderen Orten hingegen wird dem Klaubauf mehr Aufmerksamkeit zugewendet, als dem Nikolaus selber; so von den Vinschgauern. In diesem Tale ziehen die Kinder am Vorabend des Nikolausfestes mit Schellen behangen auf einen nahegelegenen Hügel. Dort hüpfen sie nach dem Takt fortwährend in die Höhe und verursachen so einen wahren Heidenlärm. Man nennt diesen sonderbaren Gebrauch "Klaubauf-Wecken". Nachts erscheint dann auch der also Eingeladene in der ganzen oben beschriebenen Pracht seines höllischen Anzuges. In Pitztal und an einigen Orten des Oberinntales laufen am Nikolaustage mehrere sogenannte "Santiklausen" und "Klaubaufe" herum, die in die Häuser gehen und wechselseitig Reime aufsagen.

Freundlich und in vieler Beziehung interessant sind die in Tirol häufigen "Nikolausspiele", welche die Erscheinung des "heiligen Mannes" in dramatischer Weise vorführen. Man unterscheidet eigentliche "Nikolausspiele" und sogenannte "Unterkomödien". Letztere sind fast in allen größeren Ortschaften Tirols im Schwunge und können als Vorstufe zu den ersteren angesehen werden. Die Hauptfigur bildet ein als - Esel verkleideter Mann, der, die Stimme des Tieres nachahmend, die Stuben besucht und, ähnlich dem Nikolaus, die Kinder befragt und beschenkt. In seiner Gesellschaft befinden sich Hirten, Jäger und Musikanten, vor allem aber der unentbehrliche "Duxerfranzl" mit seinem Schnapsfäßchen auf dem Rücken. Er ist ein Geschöpf des tirolischen Volkshumors und ungefähr dasselbe, was auf größeren Bühnen der "Kasperl" oder der "Hanswurst" ist. Er bildet daher den Brennpunkt des ganzen "Spieles", und helles Gelächter erschallt, wenn er nach dem examinierenden Esel endlich auftritt, und, begleitet von allerlei komischen Grimassen und Spässen, sein Leiblied singt:

"Duidum! Frisch in die Welt,
Ich bin der Duxerfranzl,
Heut' lös' ih wacker Geld
Hun Branntwein in mein' Panzl (Fäßlein) usw."

Nach Absingung des Liedes tanzt er mit den Begleitern einigemal in der Stube herum, dann entfernen sich alle, um im nächsten Hause dieselbe Komödie aufzuführen. Die Darsteller sind gewöhnlich arme Talleute, die sich mit diesem Spaß ein paar Kreuzer herausschlagen.

Von größerer Bedeutung, weil sich aus ihnen zum Teil das geistliche Drama entwickelt hat, sind die eigentlichen "Nikolausspiele", vollständig in Wechselgespräch gehaltene Bauernkomödien, die von bestimmten Gesellschaften ausgeführt werden und sich durch köstlichen Humor und Witz, freilich auch durch große Plattheit im Ausdruck auszeichnen. Die Truppe, oft dreißig bis vierzig Mann stark, zieht von Ort zu Ort; der Schauplatz der Darstellung ist gewöhnlich der Dorfplatz. Der Stoff ist der Legende entlehnt, aber von allem möglichen nicht geistlichem Beiwerk überwuchert. Leider gestattet es der Raum nicht, den oft wirklich kräftig wirkenden, mit Urkomik gewürzten Inhalt eines solchen Spieles auch nur der Anlage nach anzuführen, ich muß mich daher mit der bloßen Vorstellung des Personals begnügen. Dieses ist allerdings bunt genug zusammengewürfelt. Voraus erscheint auf einem Schimmel, überladen mit Gold und Flitterwerk, der heilige Nikolaus. Er kündet seine Ankunft in hochtönenden Knittelversen feierlich an. Hinter ihm kommt zu Roß und zu Fuß ein abenteuerliches Gefolge von Hirten, Jägern, Einsiedlern, Mohren, Türken, Ölträgern, den "heiligen drei Königen", Hexen, Zigeunern, Dörchern; dazu kommen Quacksalber, Klaubaufe, Engel, Teufel und versteht sich auch der lustige "Duxerfranzl".

Daß ein solcher Aufzug das mit einem derartigen Spektakel beglückte Dorf in vollen Aufruhr bringt und auch die Nachbargemeinden herbeilockt, ist leicht zu begreifen; weniger faßbar dürfte es scheinen, wie ein solches Kunterbunt von Rollen auch nur in einen losen Zusammenhang gebracht werden kann. Eine Probe. Ein alter und ein junger Einsiedler treten auf. Der alte mit brauner Kutte und weißem Barte betet laut das "Vaterunser" und die "offene Schuld", beides auf die derbste Weise lächerlich umgestaltet. Unterdessen schlägt der junge Einsiedler mit dem Weihrauchfasse Rad und Purzelbäume, worauf folgender Wechselgesang beginnt:

Junger: 's Einsiedlersein ist halt nit mei' Freud!

Alter: Du mußt dir halt denken, 's gibt mehr solche Leut'!

Junger: Wär' i nit ins Kloster gangen! Hätt i a schön's Madel g'nommen. Mi ruit's, mi ruit's. (Mich reut's, mich reut's.)

Alter: Mi aa, mi aa. (Mich auch, mich auch.)

Dann schlagen sie ihre Kutten in die Höhe und springen unter Absingung travestierter Gebetsformeln davon. Moral wird in diesen Stücken gerade nicht gepredigt. Doch darf man solche Ausartungen des Volkshumors nicht als Gradmesser der Sittlichkeit gelten lassen; das Volk trägt eben keine Glacéhandschuhe und findet einmal die Travestierung der eigenen Überzeugung mit seinem sonstigen religiösen Bewußtsein ganz gut vereinbar.

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Im Anschlusse an diese dramatischen Aufführungen will ich einige der bezeichnendsten Spielarten von Nikolaus-Liedchen aus meiner Sammlung mitteilen, sei es auch nur deshalb, um diese spärlichen Reste der im Absterben begriffenen Nikolausfeier der Vergessenheit zu entreißen. Denn dieser volkstümliche Nikolaus-Kult, der früher in ganz Deutschland und besonders in den österreichischen Landen fast ausschließlich im Schwange war, weicht vor dem poetischer begabenden "Christkind" mit seinem lichtstrahlenden Bäumchen immer mehr zurück, so daß der "heilige Mann" in den Städten fast ganz verschwunden ist und bald nur mehr in den abgelegenen Talwinkeln noch die Kinderherzen beglücken wird. Sind nun auch diese Nikolaus-Reime nicht von hohem, lyrischem Schwung, sondern mehr Ausfluß kindlich gläubiger und naiver Denkweise, so enthalten sie doch mitunter Züge, welche teils den Vorgang der Feier beleuchten, teils Streiflichter auf den mythologischen Gehalt derselben werfen. Eines der ältesten dürfte wohl das Tegernseer Liedchen sein, das uns der Codex germanicus Monacensis aus dem fünfzehnten Jahrhundert überliefert hat:

Heiliger sanct Nicolas
In meiner not mich nit verlas,
Komb heint zu mir und leg mir ein
In mein kleines schiffelein.
Darbey ich Ewr (Euer) gedenken kan,
Das ir seit ein frommer Man.

Wir ersehen daraus, daß die ursprüngliche Sitte darin bestand, Schiffchen aus Papier vor das Fenster zu stellen, damit sie während der Nacht St. Nikolaus mit all den süßen Geschenken fülle, nach denen das Kind verlangt und welche es unzählige Mal im Verslein mit nachfolgendem Vaterunser vor dem Schlafengehen hergezählt hat:

Heiliger Nikolaus, leg' mir ein
Aepfel, Birnen, Nüsselein,
Strümpf' und Schuhe muß ich haben,
Kann ich den Winter Schlitten fahren.

oder:

Nikolaus fahr' fort
In ein unbekanntes Ort,
Fahr nicht zu hoch und nicht zu nieder,
Bring' eine frühe Botschaft wieder.
Bring' Äpfel, Birnen, Nuß,
Das macht mir kein' Verdruß,
Und sollt' es etwas mehrer sein,
So will ich desto braver sein.

Diese unverblümte Andeutung, mit den Gaben ja nicht zu karg zu sein, wird indes durch zwei andere bescheidenere aus Vorarlberg und Meran gemildert:

Heiliger Niklaus, leg' uns ein,
Was dein guter Will' mag sein,
Äpfel, Bira (Birnen), Schnitz' und Nuß',
Mach uns nur doch kein' Verdruß.

Das zweite recht kindliche aus Meran lautet:

Heiliger Niklaus mit grauem Bart
Setz' dich nieder, du stehst so hart,
Ich will nit viel begehren.
Daß du nicht sollst unwillig wer'n.
Vaterunser ...

Wie oben bemerkt, war es früher sicher überall üblich, daß die Kinder ein Schiffchen hinausstellten. Erst später trat an dessen Stelle der ihm ähnelnde Schuh, der mit Hafer gefüllt für das Rößlein des "heiligen Mannes" vor's Fenster gestellt wurde, und schließlich die Schüssel, welche nur mehr teilweise an die Schiff-Form erinnerte. Erhalten hat sich meines Wissens das Schiffchen als Gefäß für die zu empfangenden Gaben nur noch im Ennstale, doch trägt sie da merkwürdiger Weise einen vom gewöhnlichen Brauche abweichenden Charakter.

Während nämlich überall das Nikolausfest ein Tag der Freude für die Kinder ist, nehmen oder, besser gesagt, nahmen im Ennstale auch die Erwachsenen daran Anteil und zwar in sehr lärmender Weise. Es zogen nämlich die Darsteller, Niklo und sein Geselle Barthel, unter Vorantritt einer lustig aufspielenden Musikbande, begleitet von rot, gelb, schwarz, kurz in allen Farben geschmückten Nebenpersonen und gefolgt von einer lärmenden und johlenden Jugend, durch die Gassen und warfen durch die geöffneten Fenster Obst, Lebzelten und Ähnliches hinein. Dann ging es ins Wirtshaus. Da wurde mit den Dorfschönen getanzt und geschäkert. Zugleich wurden Spottlieder auf den Barthel gesungen, welche dieser selbstverständlich in ebenso derber Weise erwiderte. Plötzlich erloschen auf einen Augenblick die Lichter, und beim Wiederanzünden sah man auf manchem weiblichen Wangenpaare rote, gelbe, schwarze Male, wahrend manches Männergesicht scharfe "Kratzer" aufwies.

Überhaupt besitzt das Ennstal, vorzüglich die Seitengegend von Maria-Zell und Weichselboden eine ganz eigene Form der Nikolaus-Begabung, die entschieden sehr alt ist und als Bestätigung des eingangs Gesagten dienen mag. In dieser Gegend ist nämlich am Nikolaus-Abend das sogenannte "Schiffsetzen" üblich. Die Kinder und auch Erwachsene kommen mit ihren aus Papier oder Holz verfertigten Schiffchen, die oft mit Blumen und Bändern und einem Verslein geziert sind, zu den Häusern ihrer Paten oder Verwandten sowie wohlhabender Leute und suchen diese eigentümlichen Behälter unbemerkt durch die Tür oder durch's Fenster hineinzuschmuggeln. Die also Bedachten müssen nun diese Schiffchen mit Obst und Naschwerk füllen. Am folgenden Tage werden sie von den kleinen "Schiffsherren" wieder abgeholt. Da diese "Schiffsetzer" sehr zahlreich sind und sogar fünf bis sechs Stunden weit herum wandern, um auf diese Art zu einem Nikolaus-Geschenk zu kommen, haben besserstehende Leute oft ihre liebe Not, um die kleinen und großen Dränger zu befriedigen. Die Verse, welche an der Außenseite des Schiffchens mit Namensfertigung angebracht sind, zeigen eine sehr moderne Form, welche mit der naiven Fassung der alten Nikolaus-Liedchen wenig mehr gemein hat. So lautet eines:

Ich fahr' mit meinem Schifflein aus
Und fahre her und fahre hin
Und komme endlich vor Ihr Haus,
Da dacht' ich so in meinem Sinn:
In diesem Hause kehr' ich ein,
Da werd' ich g'wiß willkommen sein.

Manche zeichnen sich, wenn sie anders echt sind, durch einen sehr derben Ton aus:

Daß 's Schifflein jetzt leer ist, ist ohne Zweifel,
Wenn's morgen nicht voll ist, hol' Euch der Teufel.

Dieses "Schiffsetzen" wird aber auch benützt, um gewisse Herzenswünsche Liebender an die rechte Adresse zu bringen. Da nun solche auf dem Wasser zugeführte Liebesboten oft ohne Namensunterschrift sind, so befindet sich der Empfänger in Verlegenheit, wie er das Schifflein entsprechend dem Wunsche des Absenders füllen soll. In solch zweifelhaften Fällen hilft man sich durch Hineinlegen eines ausgeschnittenen Herzens aus kirschroter Rübe, welches dem heißblütigen ungenannten Schiffsetzer die richtige symbolische Deutung gibt, für den Spender aber unter keinen Umständen verfänglich werden kann.

Von eigentlichen Nikolaus-Sagen hat sich, wenn wir von den Legenden absehen, wenig erhalten. Es sind mir in den Alpen nur zwei bekannt, welche beide in Vorarlberg, wo der Nikolaus bei dem Volke in hohen Ehren steht, vorkommen. Die eine knüpft sich, wie Vonbun in seinen "Beiträgen zur deutschen Mythologie" berichtet, 1) an das Dorf Braz im Klostertale. Vor vielen Jahren, wird erzählt, schwoll bei einem heftigen Ungewitter der Bach furchtbar an und riß hoch oben im Gebirge eine gewaltige Rüfe (Muhr) los, die unaufhaltsam gegen die unten gelagerte Häusergruppe losstürzte. Ein schadenfroher Mann sah dies und rief dem tosenden, ofengroße Steinblöcke mit sich reißenden Wildbach zu: "Laß nu wacker laufen!" Da scholl ihm aber aus der Rufe die Stimme entgegen: "Der Saniklos (St. Nikolaus) hebt." Und sieh, der Muhrbruch kam zum Stehen und verschonte das Dorf. Zum Danke erwählten die Brazer, als sie die neue Kirche bauten, den heiligen Nikolaus zum Kirchenpatron und stellten sein Bildnis, zierlich gemalt, am Hochaltar auf.

Einen humoristischen Anflug hat die zweite Sage, die mir ein alter Silbertaler Bauer vor wenigen Jahren erzählte und die meines Wissens noch nirgends gedruckt ist. Das uralte Silbertaler Kirchlein, 2) das dem vom Kristberg ins Montafon Absteigenden freundlich entgegenschimmert, gehört auch zu den zwölf Vorarlberger Kirchen, die den heiligen Nikolaus zum Patron haben. Wie in allen katholischen Gotteshäusern brennt auch hier die ganze Nacht das "ewige Licht". Da bestand nun in früherer Zeit der Brauch, daß die Leute von den Gehöften des Tales Butter brachten, um das Licht in der Lampe zu nähren. Es war aber einmal, erzählt die Sage, ein eigennütziger Meßner angestellt. So oft nun der um fünf Uhr früh zum Morgengebet läuten ging, nahm er sich immer ein Stück Brot mit und tunkte es in die flüssige Butter der Lampe ein. Zuvor aber wendete er sich stets zum heiligen Nikolaus auf dem Hochaltar und sagte: "Nikolaus, darf ich tunken?" Da nun der Heilige nichts entgegnete, so tunkte er getrost zu. Einmal aber, als er wieder fragte: "Nikolaus, darf ich tunken?" sagte der Heilige: "Nein!" Der habgierige Meßner jedoch tunkte trotzdem seine Schnitte ein und fiel zur Strafe tot nieder.

1) Vergleiche die Sagen Vorarlbergs. Gesammelt und erläutert von F. J. Vonbun, 2. verm. Ausgabe von Herrn Sander. Innsbruck, Wagner. 1889, S. 48-50.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 209 - 218.