Die Fastenzeit. Der Kas- oder Funkensonntag.

Der Aschermittwoch als Beginn der Bußzeit trifft die mutwilligen Dorfburschen durchaus nicht in fastengemäßer Stimmung. Zwar knien sie beim Morgengottesdienste scheinbar zerknirscht in den Kirchenstühlen und lassen sich vom Pfarrer die Scheitel "einäschern", aber ihre Gedanken sind nicht sowohl mit der kirchlichen Verrichtung, als vielmehr damit beschäftigt, wie sie den am Aschermittwoch üblichen Brauch des "Faschingeingrabens" möglichst aufsehenerregend in Szene setzen sollen.

Diese Sitte, die noch gegenwärtig, wenn auch abgeschwächt, ziemlich im Schwunge ist, geht auf verschiedene Weise vor sich. Im unterinntalischen Dorfe Hochfilzen wird dasselbe durch einen Strohmann dargestellt, den man in den Schnee wirft und darin vergräbt; jetzt tun dies gewöhnlich nur mehr die Kinder. In dem nun mit Innsbruck vereinigten Dorfe Wilten ist der Stellvertreter des Faschings eine - tote Maus, die in tragikomischem Leichenzuge durch die Gasse getragen wird. Dabei sind fünf Burschen beteiligt; der erste trägt eine Art Kreuz voran, der zweite folgt mit einer Laterne, der dritte trägt in einer Drahtfalle die Maus, der vierte hat einen Besen und der fünfte ein Grabscheit. Schließlich wird mit allem Zeremoniell und unter großem Zulauf Schaulustiger die Maus beerdigt. So war es wenigstens vor etlichen Jahren und ist es vielleicht noch heutzutage. An anderen Orten des Inntales ist das "Faschingsuchen" üblich. Am Aschermittwoch laufen die Burschen mit Schaufeln, Pickeln und einer Laterne wie besessen in den Dorfgassen herum, hacken überall den gefrorenen Boden auf, leuchten unter jeden Wagen und in jede Scheune hinein und gehen schließlich ins Wirtshaus. Auch in Alpach scheint früher eine ähnliche Sitte geherrscht zu haben, seit aber das vierzigstündige Gebet eingeführt ist, schickt sich das nicht mehr, nur die Schulbuben werfen einander am Aschermittwoch in den Schnee und nennen das "Fasching eingraben".

Am allerwenigsten aschermittwochmäßig benahmen sich ehemals die Burschen des lustigen Zillertales, in dessen Dörfern das "Pflugziehen" aufgeführt wurde, ein Brauch, welcher aber jetzt seit ungefähr dreißig Jahren abgekommen ist. Sie zogen nämlich mit großem Hallo einen Pflug durch die Gassen des Dorfes und rannten denselben an allem an, was just im Wege lag. Hier fiel polternd eine Holzlege um, dort krachte eine umgestoßene Tür oder klirrten ein paar Fensterscheiben zum Schrecken der Hausfrau, die den durch die Sitte geheiligten Unfug ruhig erdulden mußte. Als einigen Entgelt durften die Zuschauer etwas vom Pflug entwenden, d. h. wenn sie es unbemerkt zu tun vermochten. Der glückliche Dieb hatte dann das Recht, ins Wirtshaus zu gehen und sich auf Kosten der Pflugzieher so lange gemütlich zu tun, bis diese ihn auslösten 1).

Dieser lärmende Aufzug steht übrigens zum Aschermittwoch in gar keiner Beziehung, er soll vielmehr eine freudige Bewillkommung des Frühlings ausdrücken, wie schon der dabei verwendete Pflug als erstes Ackergerät beweist. Freilich, wenn Ostern früh im Jahre fällt, so merkt man zu Anfang der Fastenzeit von seinem Herannahen kaum mehr als den wachsenden Tag.

Das Landvolk feiert die Wiederkehr der schönen Jahreszeit durch verschiedene Gebräuche. Ein Seitenstück zu dem beschriebenen Pflugziehen ist das im Vinschgau übliche "Langaswecken" (Lenzwecken) um Petri Stuhlfeier (22. Februar). Dabei hängen Buben große Schellen und Kuhglocken an den Hals und laufen unter dem gellenden Rufe: "Peter Langas, Peter Langas!" johlend und schellend durch das Dorf. Als Hauptspaß schleichen sie sich in die Häuser und fangen vor der Stubentür ein entsetzliches Gepolter und Geschelle an daß die Hausbewohner nicht wenig erschrecken. In der Umgebung von Bozen feiert man das Wiedererwachen der Natur durch das "Kornaufwecken" am Kässonntag, d. i. am ersten Sonntag in der Fasten. Abends tragen die Buben große Haufen Stroh und Reisig auf den Wiesen und Äckern zusammen und zünden sie an, wobei sie vorzüglich darauf sehen, daß die Flammen recht hoch auflodern. Wenn nun überall im Tal und auf den Höhen die roten Feuer durch das Dunkel strahlen, so lassen die größeren Burschen ihre Büchsen und Pistolen knallen, wählend die kleineren mit Schellen und Glocken wie rasend durch das Feld laufen. Das dauert bis gegen Mitternacht. Auch in den deutschen Gemeinden Wälschtirols Palu und Luserna bestehen ähnliche Gebrauche. In ersterem Orte bereiten die Knaben einer jeden Häusergruppe einen großen Strohhaufen und zünden ihn bei einbrechender Dunkelheit an, indes sie mit Schellen und Sensen den größtmöglichsten Lärm machen. In letzterem brennen am letzten Sonntag im März die sogenannten Märzenfeuer, d. h. auf hohen Stangen befestigte Reisigbüschel. Dazu schreien die Kinder und läuten mit Schellen und Glocken. Das "Marzenbrennen" entspricht dem oben erwähnten "Langas"- und "Kornaufwecken". Im Wipptale und im obersten Vinschgau nennt man den Strohbund, den man brennend den Hügel hinabrollen läßt "Wespe". Auch im Ultmertale herrscht ein ähnlicher Gebrauch. Im Etschtal heißt der erste Fastensonntag, wie wir schon hörten, "Käs- oder Holepfannsonntag" und die Feuer, die bei einbrechender Nacht auf allen Hügeln angezündet werden "Holepfannen".

Ihm müssen mir eine besondere Beachtung schenken.

Den Namen hat er von dem großen Käsmarkt, der tags vorher am sogenannten Kässamstag in Bozen, Meran und an anderen Orten abgehalten wird. An diesem Tage bringen nämlich die Bauern der Umgegend ihre Käsevorräte, die sie über den Winter ablagern ließen, in die Stadt auf den Markt, damit sich die ehrsamen Bürgersfrauen für die kommende Fastenzeit "einrichten" können. Er führt auch noch andere Namen, welche teils die hohe Bedeutung dartun, die man ihm beilegt, teils von den festlichen Gebräuchen herrühren, die man um diese Zeit übt. Zu ersteren gehören die Namen: Große Fastnacht, Herrenfastnacht, Allermannsfastnacht; zu letzteren: Holepfannsonntag, Funkensonntag, Küchlesonntag und Schafsonntag.

Was nun den Küchlesonntag betrifft, so hat er ohne Zweifel seinen Namen von den Riesenschichten schmalziger Küchel, die an diesem Tage vertilgt weiden. Sie kommen abends auf jeden Tisch. Hat man selbst keine im Hause, so geht man darum betteln. Manche Küchelbettlerin bringt auf diese Weise eine solche Menge zusammen, daß sie dieselben im "Ruckkorbe" heimwärts schleppen muß und die ganze Woche hindurch daran zu zehren hat. Sitte in allamannischen Bezirken ist auch, daß der Geliebte eines Mädchens Küchel erhält, zum Dank, daß er es während des Faschings zum Tanz geführt hat. Hiebei spielt das sogenannte "Küchlestehlen" eine große Rolle und bildet einen Hauptspaß der lebenslustigen Burschen. Ebenso bewirtet man die Hirten, die an diesem Tage "aufgedingt" werden - daher wohl der Name Schafsonntag - mit Kücheln. Im Oberinntal werden die "Kasküchel" gebacken. Sie lassen sich wie Kautschuk halbmeterlang auseinanderziehen und sind eine recht liebliche Speise für einen, dessen Magen mit Leder ausgeschlagen ist. Wenn ein Mädchen so einen zähen Teigpatzen "brühwarm" dreimal ums Haus trägt, so erscheint ihr im Traum der künftige Bräutigam.

Weit bedeutungsvoller sind Bräuche, welche uns die beiden anderen Namen "Funkensonntag" und "Holepfannesonntag" erklären. Sie lenken uns zur näheren Betrachtung jener großartigen Bergbeleuchtung, die am Abend dieses Tages von der Landbevölkerung veranstaltet wird, so prächtig und eindrucksvoll, wie sie kein Fürst der Erde bei seiner Huldigung erhalten kann.

Bei einbrechender Dunkelheit entzünden sich auf allen Höhen unzählige Feuer, die wie Sternlein durchs Tal leuchten. Sie sind besonders in alamannisch-schwäbischen Gegenden im Schwung, also in Schwaben, in der Schweiz, Vorarlberg, im obersten Oberinntal und Vinschgau, während im bajuvarischen Gebirge mehr die Sonnwendfeuer üblich sind. Wenn man von einem erhöhten Punkt aus, etwa vom Gebhardsberg bei Bregenz, das Auge über das dunkelnde Rheintal sendet oder von Mariagrün bei Feldkirch, so gewahrt dies besonders in lauer Frühlingsnacht einen ganz feenhaften Anblick. Feuer um Feuer loht auf; der Gebirgszug des bayerischen Algäu bis zum Pfänder, das Liechtensteinsche Hügelland, die St. Galler und Appenzeller Bergkette bis weit ins Glarner und Bündnerland sind mit "Funken" besäet, desgleichen das Vorarlberger Hinterland mit seinen Seitentälern Montafon und Walsertal. Ja, würden wir uns in einem Ballon über den Alpengrat erheben können, so würden wir auch im Oberinntal, an den Flanken des Vinschgaus und im Kessel des Burggrafenamtes diese "Funken" ausgestreut sehen.

Diese "Funken" nun erscheinen, von der Ferne aus betrachtet, nur als kleine Sterne, in Wirklichkeit aber sind es riesige Feuer und bilden den Mittelpunkt des "Funkenbrennens", eines höchst anziehenden und äußerst lebhaften Volksfestes. Der "Funke" besteht in der Regel aus einer schlanken Tanne, die mit Stroh umwickelt und bis weit hinauf mit Reisig und Scheitern förmlich ummauert ist. Am Wipfel trägt sie einen in Lumpen gehüllten Strohpopanz, die "Hexe" genannt. Meist ist diese mit Schießpulver gefüllt. Ringsum steht und lagert das junge Volk, Kinder, Burschen und Mädchen, voll Erwartung, bis der "Funke" entzündet wird.

Jetzt züngelt die Flamme empor, erst klein, dann mit gewaltiger Lohe den Baum umleckend, bis er endlich wie eine Riesenfackel prasselnd und funkensprühend dasteht, die Gegend weitum mit rotem Widerschein erhellend. Jetzt kommt der feierliche Moment - die Flamme ergreift den Wipfel. "Die Hexe brennt, die Hexe brennt!" jubelt alles, und pumps fliegt der Strohpopanz krachend in die Lüfte. Nun geht der Spektakel los, das einem Hexensabbat wie ein Ei dem andern gleicht. Alles stürzt sich johlend und schreiend auf den allmählich einbrechenden Holzstoß, reiht die brennenden Scheuer heraus, schwingt sie im Kreise oder wirft sie als Flammenpfeile in die Höhe, dabei singt man:

"Flack (Flamme) us, Flack us!
Über alle Spitz und Berg us!
Schmalz in der Pfanna,
Korn in der Wanna,
Pflug in der Erda!
Gott Alls g'rota lot (läßt)
Zwischet (zwischen) alla Stega und Wega,"

Manche binden die brennenden Scheiter an lange Hanfschnüre, schwingen sie und erzeugen so riesige Feuerräder; Andere hüpfen im Ringeltanz wie besessen um den Holzstoß. Ist er niedergebrannt, so beginnt der Sprung über die Flamme. Einzeln und paarweise, meist Bub und Mädel, springen Hand in Hand singend durch das Feuer:

"Untern Kopf, übern Kopf
Tu i mei Hütl schwingen.
Maol, wenn d' mi gern hast,
Mußt mit mir durchs Feuer springen."

So sprang man noch in den verflossenen fünfziger Jahren über das beim Schlosse Goien, ober Meran, entzündete Feuer. Je höher der Sprung ist, desto höher wachst im Sommer der Flachs.

Noch prächtiger gestaltet sich das Schauspiel in jenen Gegenden, wo beim "Funkenbrennen", beziehungsweise den "Holapfannfeuern" zugleich das "Scheibenschlagen" üblich ist. Im bajuwarischen Unterinntale, Eisak- und Pusteltale ist dieser Brauch längst verschwunden oder, besser gesagt, er hat sich auf den sommerlichen Sonnwendtag verschoben, hingegen in dem zum Teil alemannischen Oberinntal, in Südtirol und besonders im Vinschgau besteht er noch in voller Kraft. In letzterer Gegend wird fast in jedem Dorfe "Scheiben geschlagen", so im Bezirk von Eyrs, Schluderns, Langtaufers und wie diese Ortschaften alle heißen, ja selbst die Bewohner höher gelegener Einzelhöfe beteiligen sich daran, wie z. B. die vom Polsterhof bei Schteis und auf dem zu Bürgnis gehörigen Pramajurahof, ebenso die von Muntatschinig, oberhalb Kortsch.

Dieses feurige Spiel beschäftigt die Dorfburschen schon lange vorher. Die Haselstöcke, in Tirol Rodler genannt, zum kunstvollen Hinausschleudern der Scheiben und Scheibchen schneidet man bereits im vorhergehenden Herbste und verwahrt sie den Winter über im Stalle, damit sie recht weich bleiben. Sie haben meist die Länge von 1 1/2 - 2 Meter. Die Scheiben selbst werden aus Zirben-, Erlen-, Binsen- oder Birkenholz geschnitten und erhalten in der Mitte ein Loch zum Durchstecken des Haselstockes. Meist werden sie auf diese Weise verfertigt, daß man entweder von einem Ast die Scheibchen herabschneidet und sie durchbohrt, oder daß man einen Ast der Länge nach durchbohrt und dann die einzelnen Scheibchen absägt. Ein Bursch hat oft 20 bis 30 Stück, die er an einem Strick gleich einem Feigenkranze über die Achsel geworfen trägt. Ihre Form ist meist rund, doch hat man auch viereckige, die gegen die Mitte zu etwas verdickt sind. Selbst sechseckige, in Gestalt der Bienenwaben sind üblich. Die Größe schwankt von 3 - 6 Zentimeter. Die eigentlichen "Kasscheiben", so benannt vom Kassonntag, sind größer und auf einer Seite sternförmig bemalt. Diese werden nicht im Feuer angeglüht, sondern noch vor einbrechender Dämmerung den Mädchen "geschlagen" und von diesen aufbewahrt.

Wenn nun der Abend naht, meist aber schon nach der Vesper, eilt alles, was Beine hat, zum Scheibenbühel oder Scheibenknot hinaus, um dem erwarteten Schauspiele zuzusehen. Diese "Scheibenböden" befinden sich stets außerhalb einer Ortschaft auf einer passenden Anhöhe, am besten mit felsigem Grund. Ist der Boden weich und nicht in der richtigen Steigung, so wird noch eine Scheibenbank oder ein Scheibenstuhl, d. i, ein Brett mit nur zwei Füßen aufgestellt, so daß eine schiefe Ebene entsteht, auf die man die Scheibe zur Verstärkung des Schwingens aufschlagen kann. Im Hintergründe brennt das Feuer zum Anglühen der Scheiben. Unten am Bergabhang, oft ziemlich weit entfernt, ist das zuschauende junge und alte Volk gelagert. Wie schon erwähnt, werden zuerst die bemalten Scheiben geworfen und erst bei eintretender Dämmerung die feurigen. Dies geschieht aber so. Ein Bursche nach dem andern macht seine an den Stock gesteckte Scheibe am Feuer glührot und tritt dann an den Rand des Bühels. Hier wird die Scheibe unter dem beständigen Rufe: "I reib', i reib', i reib' . . ." in immer stärkere Schwingungen versetzt und endlich durch schleifendes Aufschlagen auf dem Felsen oder auf der Bank kraftvoll hinausgeschnellt, daß sie in weitem Bogen kreisend und funkensprühend entfliegt. Dabei singt der Bursche je nach der Gegend:

Die Scheibe, die Scheibe
Will ich itz treibe,
Schmalz in der Pfanne,
Küchle in der Wanne,
Pflug in der Erd,
Schaug, wie die Scheib außiröhrt (hinaussaust).

Dann folgt, oft in Verbindung mit dem Verse, der Name deren oder dessen, dem die Scheibe gilt, zum Beispiel:

Scheib aus, Scheib ein.
Flieg über'n Rain,
Die Scheib, die Scheid
Soll meiner allerliebsten N. sein.

oder:

0 du liebe Scheib'n,
Wo muß ich dich hintreib'n?
In die Mittenwalder G'moan,
I weiß schon, wen i moan.

In erster Linie sind es natürlich die Mädchen, denen die Scheiben geschlagen werden. Je weiter die Scheibe fliegt, desto größer ist die Ehre für den Schläger, aber auch für das betreffende Mädchen. Sie muß ihm dafür zu Ostern ebenso viele gefärbte Eier als Gegengabe bescheren. Wenn viele Scheiben stiegen, so gewährt dies von der Ferne einen ganz zaubervollen Anblick, besonders wenn ein Wasser in der Nähe ist, in dem diese fliegenden Feuerräder sich spiegeln, ehe sie darinnen zischend versinken. Da ist dann des Jubels der Zuschauer kein Ende. Schlimmer verläuft es, wenn "Schimpfscheiben" geschlagen werden, bei denen die Burschen in langen Reimereien ärgerliche oder lächerliche Vorkommnisse des abgelaufenen Jahres behandeln. Da wird dann weder Heiliges noch Weltliches geschont. So wurde im Jahre 1845 in Landeck dem Landrichter P. zur Strafe, daß er den Bauern im Fasching das beliebte "Blochziehen" verboten hatte, ein Sündenregister herabgesagt, das ihn einen andern Wirkungskreis zu suchen veranlaßte. Ist der "Scheibenboden" zu weit und hoch gelegen, so bedienen sich die Burschen wohl auch eines Sprachrohres aus Pappendeckel oder Blech, um ihre Verse verständlich zu machen. So geht es fort bis zum Feierabendläuten.

Beim letzten Schlag des Aveglöckleins tritt die Feier in ein neues Stadium. Da wird nämlich die "Lärmstange" angezündet und dann die "Hexe" oder "Kasfangga" abgelassen. Die "Lärmstange", die dem "Funken" des Rheintals entspricht, besteht aus einer langen, aufrecht stehenden Stange mit einem Querholz. Das Gestell ist von unten bis oben mit Stroh überkleidet, so daß das Ganze einer Figur mit ausgestreckten Armen nicht unähnlich sieht. Der Kopf des Popanz wird durch Zusammenschnüren des Strohbündels hergestellt; sogar die Zöpfe werden mit großer Mühe geflochten. Das Stroh wird von zwei Burschen im Dorfe herum zusammengebettelt. Jeder, selbst der "notigste" Kleinhäusler, gibt gern sein Teil aus Furcht vor einem schlechten Jahr. Das Entzünden der "Lärmstange", beziehungsweise des Popanz, bildet den Höhepunkt der Feier. Sofort flammen überall im Tal, in Laatsch, Schleis, Schluderns, Wald diese Feuergarben auf. Nun wird gejauchzt, gejohlt, gesungen, dazwischen krachen die Flinten, daß alles widerhallt. Fast gleichzeitig wird dann auch die "Hexe" oder "Kasfangga" über die Höhe abgelassen. Diese besteht entweder aus "zwei kreuzweise ineinandergesteckten Faßreifen, die mit Stroh überzogen und mit Pech ausgestopft sind, oder einfach aus einem pechgesättigten Strohwulst, der durch zwei Reifen zusammengehalten wird. Die erste Art ist kugelig, die zweite walzenförmig. Daneben hat man noch mit Pech ausgegossene Holzblöcke, die man hinabrollen läßt. Während nun die "Lärmstange" mächtig aufloht, wird, wie gesagt, auch die "Hexe" entzündet und rollt in feurigem Gange, überall Streifen von brennendem Pech zurücklassend, den Rain hinab. Dann nimmt das Scheibenschlagen wieder seinen Fortgang, oft bis Mitternacht. Jetzt zwar erreicht das aufregende Schauspiel meist schon mit dem Aueläuten sein Ende.

Über die Mitternachtsstunde hinaus zu bleiben wagt man nicht aus Furcht vor dem Bösen, mit dem um diese Zeit überhaupt nicht zu spassen ist. Beleg hiefür nur ein paar Beispiele. So schlug einmal in Schönwies ein betrunkener Bursche dem Teufel eine Scheibe. Sofort kam von der andern Seite des Tales ein Reiter auf weißem Roß herbeigesprengt, ritt zum Feuer und warf die Scheiben unter Gebrüll stundenweit über die Dörfer und Gehöfte, so daß man den höllischen Scheibenschläger mit Weihbrunn und Ciborium zu Leib rücken mußte. Der Bursche aber verfiel in Siechtum und starb bald darauf. Ähnliches ereignete sich in Perjen im Oberinntale. Dort schlugen auch die Burschen auf dem Leitenbichl Scheiben. Einer von ihnen mußte in einer dringenden Angelegenheit nach Landeck und legte daher die Scheiben unterdessen beiseite, um sie nach seiner Zurückkunft allein schlagen zu können. Leider versäumte er sich und kam erst spät nachts wieder zurück. Zu seinem freudigen Erstaunen bemerkte er schon von weitem, daß das Spiel noch im besten Gange sei, ja, daß die Scheiben heute bis auf den fernen Krahberg, also wohl eine Stunde weit, flogen. Er eilte hinauf, aber wie erschrak er, als er oben beim Feuer einen einäugigen riesigen Mann mit gewaltigen Hörnern antraf, der seine zurückgelegten Scheiben mit übermenschlicher Kraft hinausschleuderte. Der Bursche verzichtete auf diese Gesellschaft und eilte nach Hause. Schlimmer erging es dem Wurzensepp von Langtaufers. Dort wurde nämlich früher etwas außerhalb des Ortes auf dem sogenannten Endkopf "Scheiben geschlagen". Da frevelte einmal ein Bursche, indem er sagte, er wolle seine Scheibe bis in den Grauner See, der bis zum Fuße des Abhanges reicht, schlagen, "sonst soll sie der Teufel selber hinunter tragen". Kaum gesagt, holte er ihn. Seit dieser Zeit werden die Scheiben nicht mehr auf dem Endkopf, sondern im Langtauferer Tal selbst auf einem Berghang geschlagen. Aus einem ähnlichen Grunde soll auch der "Scheibenboden" von Tschengels gewechselt worden sein, angeblich weil auf dem früheren einmal der "Lorgg" erschienen sei. Dies ist ein tückischer Berggeist, der oberhalb des "Scheibenbodens" seine Behausung hat. Die sogenannte Lorggenhütte, zwei riesige in Dachform aneindergelehnte Steinplatten.

Nach dem Scheibenschlagen wählen - so war es wenigstens früher Sitte - die Burschen einen sogenannten Knittelmeister und schwärzen denselben mit Ruß. Er hat die Aufgabe, die Gesellschaft durch verschiedene Spässe zu unterhalten. Dafür wird er im Wirtshause auf Gemeindekosten mit Wein, Brot und Käse belohnt. Überhaupt meiden oder wurden die Burschen gleich den neuaufgenommenen Viehhirten, dem Kühger, Ober- und Untersenner etc. an diesem Abend von der Gemeinde bewirtet. In Graubünden bleiben die müden Scheibenschläger nicht im Gasthause vereint, sondern sie schleichen die ganze Nacht einzeln und in Gruppen vermummt zu den Häusern der Mädchen, denen sie stammende Grüße gesendet haben, und bitten mit verstellter Stimme um Kuchen, Äpfel und Nüsse. Dieses Nachspiel hat viel Spaß und Schabernak im Gefolge. Weigern sich die Mädchen, das Haus zu öffnen, so wird mit den Scheibenstöcken so lange an die Fensterläden getrommelt, bis sie sich öffnen. Dieses Schlagen an Scheunentore und Haustüren hat sich auch im Vinschgau bis auf die Gegenwart als unverstandener Brauch erhalten.

Es mag jedenfalls bei dieser nächtlichen Feier früher viel Unfug mitgelaufen sein. Wenigstens klagt schon der alte Imster Dekan Eggenstain im Jahre 1631, daß daselbst "amb Sonntag in der Fasten etliche Scheiben schlagen im namen des Teufels mit großer Ergernus, Insolenz und Geschrai". Ausartungen, sowie nicht minder die Feuergefährlichkeit des Scheibenschlagens haben diesen Brauch in manchen Tälern, z. B. Lechtal, Außerfern, Kalterer Gegend, teils ganz verdrängt, teils abgeschwächt. Die Verordnungen dagegen reichen weit zurück. So wurde es bei Innsbruck bereits 1560 verboten. Wie lange noch und es wird dieser schöne Brauch gleich anderen untergegangenen nur mehr in der Erinnerung des einen oder anderen alten Mannes leben, der in der Jugend seiner Herzallerliebsten die Scheibe geschlagen hat.

So reich nun der Beginn der Fastenzeit an echt volkstümlichen, meist im heidnischen Glauben der Vorzeit wurzelnden bäuerlichen Bräuchen ist, so nüchtern und farblos gestaltet sich, wenn wir von der Karwoche absehen, ihr weiterer Verlauf. Das Fastenpatent tut dem Bauern nicht weh. Fleisch kommt ohnehin selten auf seinen Tisch und einen stärkeren Abbruch von Nahrung verbietet schon die in den März fallende schwere Frühlingsarbeit. In früheren Zeiten wurde es in dieser Hinsicht allerdings strenger genommen und noch herrscht in manchen alten Häusern die patriarchalische Sitte, sich während der ganzen Fastenzeit des Fleischgenusses zu, enthalten. Sehr fromme Leute versagen sich selbst das Tabakrauchen bis zum Karsamstagabend. Ein origineller Brauch herrscht oder besser gesagt herrschte in vielen Ortschaften des Oberinntales am Josefitag (19. März). An diesem Landesfesttage setzt sich Bauer und Gesinde im Festkleid früh morgens an den großen Eßtisch. Die dampfende Suppenschüssel wird hereingetragen; man betet, wünscht sich gesegnete Mahlzeit und ergreift die Löffel. Aber in dem Augenblicke, als man anpacken will, nimmt die Bäuerin dem eßlustigen Kreise die Suppenschüssel "vor der Nase weg" und trägt sie in die Küche. Die Leute müssen nun fasten bis zum Sonnenuntergang. Sobald aber die letzten Strahlen die Bergspitze röten, fängt es in der Küche an zu prasseln und zu schmoren. Da kocht die Bäuerin eine riesige Schüssel voll Bretzensuppe, gut geschmalzen und mit Käse, Mohn oder Honig übergossen. Für das religiöse Bedürfnis der Bauern sorgen verschiedene Andachten, Predigten und Rosenkränze, die besonders beim frommen Stamme der Oberinntaler im Brauche sind.

Sehr beliebt ist auch der Besuch der sogenannten Kalvarienberge. In der Nähe des Ortes von einem Hügel oder Felsvorsprung blinkt das kleine Kirchlein herunter, zu dem ein Zickzackweg mit den Stationenbildern oder Kapellen hinanleitet. Solche Kalvarienberge trifft man fast bei jeder größeren tirolischen Ortschaft. Sie bilden oft eine reizende Zier der Gegend; ich erinnere nur an den von Imst, Zirl, Arzl, Taur, Bozen etc. An schönen Fastensonntagen nun wimmelt es von Besuchern, die einzeln und in Gruppen die Anhöhe hinaufklimmen, um vor den Stationenbildern ihre Andacht zu verrichten. Am Wege kauern Bettler und Bresthafte, die das Mitleid der frommen Waller in Anspruch nehmen. Im Kirchlein selbst trifft man gewöhnlich einen sogenannten heiligen Ölberg, Christus im Garten von Getsemane, vorn die schlafenden Jünger, im Hintergrunde die nahende Schergenrotte mit Judas an der Spitze. Manche dieser meist plastischen Darstellungen sind nicht ohne künstlerischen Wert, die meisten allerdings von entsetzlicher Plattheit, worüber sich jedoch der fromme Sinn des Volkes nicht im geringsten ärgert. Eine gewöhnliche Sitte, richtiger Unsitte der Wallfahrer ist es, bei jenen Stationenbildern, welche Christus in den Händen der peinigenden Juden darstellen, letztere auf barbarische Weise zu verstümmeln oder zu verunreinigen, um so ihrem Ingrimm gegen die Henkersknechte des Heilandes Luft zu machen.

Nach dem Besuch des Kalvarienberges sind natürlich die Wirtshäuser überfüllt. An manchen Orten gibt es auch während dieser Zeit sogenannte Fastenkrippen, zu denen das andächtige Volk zieht. Sie werden am Ende des Faschings errichtet und bleiben bis zum Palmsonntag stehen, wo sie dann das heilige Grab ablöst. Berühmt ist die Fastenkrippe in dem oberländischen Dorfe Zirl, wo unter anderem der hinter dem Judas stehende Teufel in Frack und Zylinder der tiefgewurzelten Abneigung des Landvolkes gegen die "Herrenleut" kräftigen Ausdruck verleiht.

1) Auch im Kalsertal war früher das Ziehen eines Pfluges durch die beschneiten Fluren üblich; ebenso wird in Kitzbühl ein Pflug durch die Stadt geführt, doch geschieht dies schon am Faschingmontag.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 25 - 38.