Die Frühlingsboten im Sprichwort.

Kaum hat die lebenspendende Sonne am 21. Dezember die winterliche Wende überschritten, so richtet sich das sehnsüchtige Auge des Menschen schon dem nahenden Lenz entgegen und späht nach den ersten Regungen desselben. Besonders der Älpler, den der grimmige Tyrann Winter so lange in Bann hält, achtet mit scharfem Sinne auf das leiseste Zucken des wiedererwachenden Naturlebens; kein noch so unbedeutender Zug entgeht ihm, und jeden begrüßt er jubelnd und kleidet ihn in passende sprichwörtliche Bezeichnung.

Seine erste Beobachtung gilt dem wachsenden Tage; ist ja in der Tat diese tröstliche Erscheinung das früheste Kennzeichen, daß es wieder dem Frühlinge zugeht. Freilich erweitert sich die Sonnenbahn anfänglich kaum merklich, so daß das Wachsen des Tages nahezu verschwindend ist und erst gegen Lichtmeß augenfällig wird; aber der Sinn des Älplers spürt es doch und verleiht den einzelnen Stufen desselben ebenso treffenden als originellen bildlichen Ausdruck. Wir haben schon im Abschnitte "Lichtmeß" den weitverbreiteten Spruch gehört:

Weihnachten wachst der Tag um an' Muggengamezer,
Neujahr um an' Hahnentritt,
Dreikönig um an' Ochsenschritt,
Lichtmeß um an' Hirschensprung.

Eine wirklich ganz klassische Stufenleiter. Kann das kaum merkbare Wachsen des Tages bezeichnender ausgedrückt werden als durch das Gamezen (Gähnen) einer Mücke? Dann folgt der schon größere Hahnentritt, der stärker ausschreitende Ochsenschritt (Spielart: Mannschritt) und endlich um Lichtmeß der weitausgreifende, das nun eintretende rasche Wachsen des Tages verbildlichende Hirschensprung, oder, wie die entsprechende blasse Kalender-Lesart sagt: "Lichtmeß um eine ganze Stund'."

Aber so gering auch die zunehmende Kraft der Sonne im Jänner ist, so übt sie trotzdem schon die belebende Wirkung auf die vom Winter umschlossene Natur. Wie die Vögel schon um die Zeit der winterlichen Sonnenwende zu singen beginnen, welche Wahrnehmung jeder machen kann, der Zimmervögel hält, so merkt den eingetretenen Umschwung auch der Baum und das zarte Pflänzchen. Schon um Sebastian (20. Jänner), wo die Kälte bekanntlich am größten ist, aber auch zugleich "bricht", heißt es:

Sebastian
Läßt den Saft in die Bäume gan,

oder wie der Kärntner sagt:

Sebastian
Fangt der Baum zu wachsen an.

Ja, die Südtiroler haben es leicht. Im tieferen Süden ist um diese Zeit der größten Kälte schon der helle Frühling angebrochen, der seine duftenden Sterne in die Matten stickt:

San Sebastiano
Colla viola in mano.

Bei uns jedoch im kalten Norden blinkt noch überall der eisige Glast des Winters, nur die Waldvögel, wie in angeborenem Vorgefühle des nahenden Lenzes, jubilieren ihre Brautlieder. Nach dem Glauben der Wipp- und Eisaktaler sowie der Etschländer heiraten am Agnestage, d. i. am 21. Jänner, die Vögel; im Inntale läßt man dieses freudige Ereignis erst zwei Tage später, um Maria Vermählung, eintreten, zu welcher Grenze wohl auch der Name des Festes beigetragen haben mag. Jedenfalls soll am Vinzenziustage (22. Jänner) der Boden schon so viel auffrieren, daß die Vöglein ihren Durst löschen können. Dieses zarte Sprichwort hat für Südtirol, wo es umläuft, seinen guten Sinn, Denn um diese Zeit soll die Erdscholle der Weinberge schon so weit trocken sein, daß sie sich "rührt". Der Etschländer wünscht daher an diesem Tage warmes, sonniges Wetter, eingedenk des Spruches:

Vinzenz Sonnenschein
Bringt viel und guten Wein.

Ein besonders wichtiger Wendepunkt zum Besseren ist der 25. Jänner. Zwar heißt es von ihm:

Paul Bekehr,
Der halbe Winter hin, der halbe her,

woher er auch den Namen "Halbwintertag" hat, aber die tröstende Spielart lautet:

Paul Bekehr
Dreht sich das Wurzel um in der Erd',

zum Zeichen, daß sich nun auch im kalten Norden der Boden "rührt". Noch eine frohe Botschaft verkündet dieser Tag, nämlich:

Paul Bekehr
Bringt die Lichtmeß fertig daher.

Was aber das für den Bauern zu bedeuten habe, belehrt uns der auf den 3. Februar fallende St. Blasiustag, denn:

Der heilige Blasius
Macht den Winter aus.

Mit dem freundlichen Feste Maria Lichtmeß oder, wie es ursprünglich hieß, Lichtmissen, ist der Lenz auf der eisten Stufe seiner Siegeslaufbahn angelangt. Die Hauptmacht des Winters ist nun gebrochen. Der Tag wächst bereits um eine Stund', so daß es nicht umsonst heißt:

Lichtmiß! bei Tag iß
Und das Spinnen vergiß.

Das heißt, von diesem Tage an wird das Früh- und Nachtmahl nicht mehr bei Licht eingenommen, ebenso hört das Schnurren der Spinnräder in der Stube auf. Die Tätigkeit der Hausbewohner richtet sich schon teilweise nach außen auf die Vorbereitungen zur Frühlingsarbeit. Um diese Zeit "zieht auch die Kälte hinauf", es wird im Tale herunten warm und die Sonne hat bereits Kraft.

Als ersten Frühlingstag eigentlichster Art sieht hingegen das Alpenvolk erst den 22. Februar an, auf den das Fest Petri Stuhlfeier fällt. An diesem Tage sind auch schon die Finken angelangt und singen ihr:

Zi - zi zi Brautigia, Bräutigam zieh,
Sollst Hochzeit halten und kommst (Spielart: gehst) nie.

Er hat besonders für Südtirol Wichtigkeit. An diesem Tage geht man nämlich zum ersten Male in den Weinberg arbeiten. Von nun an erhalten auch die betreffenden Dienstleute ein Krüglein mehr Wein, daher auch der scherzhafte Beiname des Heiligen: Peter Pitterle oder richtiger geschrieben: "Bütterle", weil der Wein den Arbeitern in einem flaschenähnlichen Gefäß, Bütterle genannt (Verkleinerungswort von Butte), mitgegeben wird. Mit dieser Erklärung dürfte der "rätselhafte" Beiname des Heiligen, der den Mythologen so viel Kopfzerbrechen machte, hoffentlich endgültig gelöst sein. Von nun an geht es rasch dem Frühling entgegen:

Matheis (25. Februar)
Brichts Eis,

und

Kunigund (3. März)
Macht warm von unt'

sagen deutlich, daß der winterliche Eispanzer gebrochen und die Erde die belebende Wärme der Sonne in sich aufgenommen habe. Es ist auch höchste Zeit, denn mit dem letztgenannten Tage sind wir bereits in den März und damit in die Frühsaison des eigentlichen Lenzes eingerückt. Einen Hauptabschnitt desselben bildet der berühmte Gregoritag (12. März), von dem es heißt:

Gregori macht
Den Tag gleich der Nacht.

Dieses seltsam klingende Sprichwort versetzt uns mit einem Schlage fast
um ein halbes Jahrtausend zurück, nämlich ins 16. Jahrhundert, zu welcher Zeit die Tag- und Nachtgleiche nicht wie gegenwärtig auf den 21., sondern wirklich auf den 12. März fiel. Im Kalender war freilich auch damals das Äquinoktium am 21. März eingezeichnet. Während es aber jetzt tatsächlich an diesem Tage durchschnittlich eintritt, fiel es vor der durch Gregor XIII. unternommenen Kalenderreform in je 128 Jahren um einen Tag früher und war im 16. Jahrhundert bereits zum 12. März vorgerückt 1). Es darf uns daher nicht wundern, daß wir an diesem Tage, als dem Verkünder des nahenden Lenzes, eine Anzahl von Belustigungen und Vorgängen antreffen, welche sämtlich den Kampf des Frühlings mit dem Winter und den schließlichen Sieg des ersteren zum Inhalte haben 2).

Dieser Gregoritag ist auch ein Hauptlostag für den Bauern, besonders hinsichtlich des Windes:

Gregoriwind
Geht, bis Jörgen kimmt

Mit dem "Gregoritag" tritt nämlich gewöhnlich ein sehr scharfer Ostwind ein, der bis zum Georgitag (24. April) weht. Der Landmann sieht ihn gern, weil er dem zu sehr auftrocknenden "warmen Wind" (Scirocco - Föhn) die Stange hält und die zu rasche Entwicklung des Pflanzenwuchses hemmt. In früherer Zeit stieg man sogar auf die Bäume, um das ersehnte Eintreffen dieses Windes zu erhorchen. Zu den beliebtesten Frühlingsbotinnen gehört zweifellos die heilige Gertrud, deren Fest auf den 17. März fällt. Mit diesem Tage ist das winterliche Stubenhocken endgültig vorbei, denn:

Gertraud mit der Maus
Treibt die Spinnerinnen aus.

Dementsprechend findet man diese Heilige schon in den ältesten Bauernkalendern mit einem Spinnrocken abgebildet, an dem zwei Mäuse hinauflaufen. Das obige Sprichwort bezieht sich übrigens nicht so sehr auf das Spinnen als solches, das ja schon zu Lichtmeß eingestellt wird, sondern will nur sagen, daß mit diesem Tage die winterliche Arbeit im Hause aufhöre und die außer dem Hause, nämlich die Feldarbeit, beginne. Daher auch der Satz:

Gertraud
Lauft die Maus
Go (gegen) Feld aus.

Noch deutlicher spricht sich dies in einem anderen Sprichwort aus:

Gertraud
Führt die Kuh zum Kraut,
Das Roß zum Zug,
Die Bienen zum Flug.

Das heißt, das Grünfutter beginnt bereits zu sprossen, und das Pflügen der Äcker nimmt seinen Anfang. Zugleich beginnen auch die Bienen ihren Ausflug. Darum herrscht auch an vielen Orten die Sitte, an diesem Tage die Bienenstöcke aufzustellen. Um diese Zeit ist auch der Boden schon durchwärmt und die Erddämpfe gehen, oder, wie der Älpler in seiner kräftigen bildlichen Ausdrucksweise sagt:

Gerd (Gertraud)
Steckt den Brand in die Erd'.

Aber auch die Hausfrau bekommt zu tun. Gertraud war nämlich nach der Überlieferung die erste Gärtnerin und ist so die Patronin des bäuerlichen Hausgartens. Deshalb will es der Brauch, daß jede ordentliche Bäuerin am St. Gertraudentag mit "Garteln" beginne, d. h. ihr Krongut, den Hausgarten, bestelle, damit die Schwalben, die lieben Hausgenossen, bei ihrer Rückkehr alles in schönster Ordnung finden. Diese Vordertruppe des Frühlings rückt am 25. März ein:

Maria Verkündigung
Kommen die Schwalben wiederum.

Sind aber einmal diese da, dann ist auch Ostern nicht mehr weit, wenn nicht der seltene Fall eintritt, daß die beiden Festtage zusammentreffen.

1) Das Sprichwort verrät uns zugleich die Zeit seiner Entstehung.

2) Sie sind in meinem nunmehr vergriffenen Buche: Das Tiroler Bauernjahr (Innsbruck, Wagner. 1899), Seite 21 ff. beschrieben.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 38 - 44.