Der Salzsee

Das enge Salztal, wohl auch Halltal genannt, welches sich ober Absam zwischen dem Spekkor und dem Zunderkofel in das graue Kalkgebirge hinein erstreckt, gibt ein Urbild der landschaftlichen Erscheinungen des nördlichen Kalkgebirges. Über den Buchen und Ahornen des Tales ziehen sich die Legföhren in das weiße Geröll hinauf, in welchem, gar nicht sehr hoch über der Talmulde, die letzten Spuren grünen Pflanzenwuchses verschwinden. Weiter oben ist alles steil, grau, oft blendend weiß, abgewaschen, verwittert, jäh und kahl.

An einem Sommermorgen machte ich mich nach dem Salztal auf. Die Luft lag so tauig und verklärt da, daß die Kalkwände vor meinen Augen und der felsige Eingang des Tales, welcher scheinbar in eine enge Schlucht leitet, mir dunkel und hart entgegentraten. Dort, wo der Weißenbach zu einer Klause aufgestaut ist, erkennt man die türkischblaue Färbung der Wasser, welche aus dem Kalk kommen. Die Arbeiter, welche an einer verfallenen Brücke oder an den Stämmen der Wasserleitung zimmern, der glitzernde Strahl, welcher, der Gefangenschaft entledigt, unbändig aus einer der bloßgelegten Röhren rauscht, die Rauchsäule, die sich vom Feuer der Männer erhebt, das fromme Bild an der Felswand über dem Brunnen, welches die vorübergehenden Bergleute zur Andacht in den feuchten Schatten ruft, das sind Bilder, welche dem Gedächtnis oft wiederkehren. Endlich erreicht die weiße Straße das Berghaus.

Die 'Berger' lieben es, wenn man sich ihnen mit dem alten Spruche 'Glück auf !' nähert. Ihre Kleider stellen eine geognostische Musterkarte des Gesteins im Berginnern dar. Krusten von Kalkschlamm und Salz bedecken den Rücken und die Füße. Es ist selbstverständlich, daß wohl niemand im Berghause gewesen sein wird, den sie nicht in die Nacht ihrer Gruben hinabgezogen hätten.

Der Führer schreitet voran, der Fremdling atmet den brenzligen Rauch der flackernden Ölflamme, welche bald die überrieselten Wände erhellt. Es herrscht in der Grube weder Winter noch Sommer, sondern die Luft bleibt jahraus, jahrein unveränderlich und ohne die geringste Schwankung etwa zehn Grad über dem Gefrierpunkt. Um den Zug der heraustretenden und eindringenden Strömung, deren Wettkampf eine völlige Windsbraut bewirken möchte, abzuhalten, haben die Bergleute in geringer Entfernung vom 'Tag' eine 'Wettertür' angebracht.

Vom Eingang an ist der Stollen eine Strecke weit gemauert. Nach einem gewölbten Teile folgen abwechselnd die rauhen unbedeckten Wände des Gesteins, dann wieder Strecken, welche mit Brettern und Balken ausgezimmert sind, damit das Salzgestein der Wandungen nicht, von der eindringenden Luft angefeuchtet, gefahrbringend zerfließe. Überall aber zieht sich auf dem Boden eine mächtige Asphaltröhre hin, durch welche die Wasser zum Tage laufen.

In der Ferne wanken manchmal dunkelrote Sterne, die Grubenlichter der Arbeiter, welche still mit ihrer Hacke das Gestein von den Wänden ablösen. Schritt für Schritt heimelt es den Wanderer mehr an in den finsteren Gängen, deren erste Erscheinung ihn vielleicht abschreckte. Endlich gelangt man zu einem Orte, an welchem die Berger eine Ruhebank angebracht haben. Die Tür neben derselben erschließt einen senkrecht abfallenden Abgrund, in welchen man auf etwa hundertundsechzig Staffeln hinabsteigt. Ein Berger hat eine Anzahl von Lampen angezündet, die den großen Salzsaal erhellen. Denn es ist ein mächtiger, gewaltiger Saal, den wir nunmehr erreicht haben. Die Lampen in der weiten Runde leuchten in ein stilles Gewässer, durch welches er zum größten Teile ausgefüllt wird.

Der nun folgende Vorgang kann nicht vergessen werden. Man wird eingeladen, auf ein Schiff zu treten, welches am Ufer liegt, die Fahrstangen setzen sich in Bewegung, das Wasser plätschert, und du dringst auf ihm weiter in die Nacht hinein. Aus scheinbar unermeßlicher Tiefe schwankt, von der Bewegung der Wellen angeregt, der Widerschein des weiten Lampenkreises. Die Höhe dieses Saales steht in keinem Verhältnis zu seinem Umfang. Denn nur wenige Fuß über den Köpfen der Seefahrer zieht sich die ebene graue Decke des Salzgesteins hin, nicht eine Wölbung, sondern eine feuchte, nur durch geringe Rauheiten unterbrochene Fläche. In der Mitte des Sees zieht sich von der Decke eine breite graue Gesteinsmasse zum Boden des Sees herab, welche aus Gips und anderen Kalken besteht, die das Wasser nicht auflöst und die ohne Zweifel den Tragbalken der weiten Decke darstellt. Schließlich werden die Lampen eine nach der anderen ausgelöscht, und der Fremdling unternimmt einen Rundgang um das Gewässer, an dessen Gestaden er vorher hingefahren ist. Nur mehr von der streifenden Lichtsäule des einzigen Öldochtes beleuchtet, wird der schwarze Spiegel, dessen Ende nicht mehr abzusehen ist, sicherlich ein nicht minder seltsames Bild darstellen als der Lichterkranz in der zitternden Runde, der aus der Tiefe zum Nachen heraufschien.

Vom Berghaus wird gewöhnlich zur 'Franzenssäule' emporgestiegen, einer weißen Pyramide, welche auf einem Vorsprung der ins Inntal abfallenden Kalkkette zum Andenken an die Tatsache errichtet wurde, daß erwähnter Kaiser einmal sich zu jenem Punkt hinauffahren ließ. Es ist das wohl einer der am meisten lohnenden Gänge auf das Kalkgebirge des Inntales.

Da wird der breite Zickzackweg vom Berghaus zur Jochhöhe von breiten Geröllströmen durchsetzt, dort überschattet ihn die Wettertanne, hier bilden Alpenrosenbüsche seine Ränder. Das Denkmal ist eine Pyramide von etwa drei Klaftern Höhe. An den abschüssigen Rand, der mit übereinandergelegten Fichtenzweigen verwahrt ist, vortretend, gewahrt man unten die weißen Städte Hall und Innsbruck, den Zusammenschluß der Sill und des Inn, die dunklen Linien der Brücken, die das schillernde Wasser durchschneiden, die Dörfer Thaur im weiten Obstanger, Absam mit dem Gnadenbilde, den Turm des hochgelegenen Judensteins und zahlreiche andere Ansiedlungen.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 306 - 309.