Blick vom Rabenspitz

Allmählich tut sich um die westlichen Felsenecken des Rabenspitz herum der Blick über den ganzen See auf. Da liegt das dunkle, wellenbewegte Wasser in der gewaltigen Felsenwanne. Man hat unsern See oft neben den Königssee gestellt, und es ist nicht zu leugnen, daß einzelnen seiner Partien, wie die Aussicht auf den Hintergrund der Pertisau und auch auf die Felsgrate, die zwischen dem Sonnwendjoch und dieser Bucht liegen, der erhabene Charakter, welcher die Ufer des Königssees auszeichnet, nicht ganz abgesprochen werden kann. Aber schon ein Blick auf die Höhenverhältnisse lehrt uns, daß die Gebirgswelt, in deren Höhlung der Bartholomäussee flutet, einen andern Eindruck machen muß als die Felswände, zwischen denen der Achensee liegt. Am Königssee ist alles großartiger, wilder, öder, gefährlicher, und der Achensee mag in seiner Gesamtwirkung zu ihm in dem Verhältnis stehen wie Vorberge zur hochalpinen Landschaft. Namentlich das Theater, welches für die Szenen aller Schrecken der Alpenwelt im Süden des Königssees gegen den Funtensee und das Steinerne Meer zu in die Wolken aufgerichtet ist, fehlt dem Tiroler See ganz. Auch das menschenscheue Schweigen jenes versteckten Wassers kennen die Ufer des Achensees nicht.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 287 - 290.