Wie 's Seppele auf die Welt kommen ist.

Es war ein sommerblauer Augusttag; nach langem Landregen in schwerem Golde stand das Korn. Obwohl es höchste Zeit gewesen wäre, dasselbe einzutun, war doch auf den Feldern weit und breit kein Bauer zu sehen. Was war denn das? Das hatte seinen besonderen Grund. Die Bauern waren nämlich alle im Wirtshaus. An einem Werkeltag? Das hatte wieder seinen besonderen Grund. Die Bauern hatten nämlich heut' Festtag. Festtag? Warum? Das hatte wieder seinen besonderen Grund. Dem Dorf war'nämlich eine besondere Gnad' widerfahren. Eine besondere Gnad'? So hör' einmal auf zu fragen, ich erzahl's ja eh'. Dem Kloatzenseppelstrineleshannes — hast in Kloatzenseppel no' kennt?

Mei der - Gott hab ihn selig — tät heut' a Freud' haben ... Ja freilich hast'n kennt — mir zwei hab'n ja auf der Hochzeit von ihm und 'n Trinele g'rafft. — Also da hat sich der Segen Gottes lang, lang nit einstell'n wöll'n. Aber der Kloatzensepp'l hat sich tröstet und g'sagt . . . wenn's aber amal etwas werd, werd's etwas B'sunders ... Er hat's freilich nimmer derlebt . . , aber wenn er heut' hom Himmel aberschaugt, hat er a sei' Freud'. Auf oamal war's Hannesie da und hat in der Wieg'n g'strampelt und hat bald mit die Tannenzapfen g'spielt — vier Hölzel'n hat's dreing'steckt und das sein dann seine Küh' g'wesen — auf oamal ist's schon auf die Kerschbäum oben g'wesen und ist mit an schwarzen Maul hoamkommen . . . und auf oamal hab'ns den Vater — Gott treast'n, aus'n Wald trag'n — a Larchbaum hat 'n troffen g'habt und 's Trinele und 's Hannesle sein alloan dag'wesen und freilich bluetarm.

Und 's Hannesle hat Vögel g'fangt mit die Schlag'In und ist im Herbst auf'n Feld hüt'n g'wesen und ist in Gras g'Ieg'n und hat mit'n off'nen Maul in Himmel einig'schaugt . . . und in Winter ist's in d' Schual gangen zum langen Lehrer Kassian und zum Pfarrer Nikodemus und der Pfarrer hat g'sagt, 's Hannesle hat an guat'n Kopf, 's Hannesle mueß zur Studi.

Das war' halt freilich eine Gnad', wenn's die heilige Familie zulass'n wollt', sagte das Trinele und faltete die Hände auf dem Bauch und lief gleich zur Bas Regina und diese zur Färberzenz und diese zur Lourdesmuttergottes und versprach dort drei Messen mit vier Kerzen . . .

Die Pfrentenseph aber sagte still glücklich — mei i' wer's nimmer derleb'n, aber wenn mir der Herrgott die Gnad' schenkt . . . wenn i' 'n nur so no' oamal die Hand bussen kann.

Am wenigsten zufrieden war 's Hannesle selber, das dacht' d'rüber nach, was für ein End'sunterschied zwischen seinem Schädel und den vom Stierjörgele sei. Es konnte es aber nicht auskopfen und sagte nur: Wenn i' nur koan so guet'n Kopf hätt'.

Wie's Herbst 'worden ist, hat's Hannesle müssen fort, die Bas Negina brachte Strumpf' und Pulswärmer, die Färberzenz ein Paar Schuh mit Holzsohlen, die Pfrentenseph an Rosenkranz für die Versuchung und die Josefsseraphinesjörgelesmarie einen frischgebackenen Gugelhupf für . . . Halt auch für die Versuchung.

Der Gugelhupf ist freilich schon fertig g'wesen, vor sie nach Brixen kommen sein . . . nämlich in Brixen, da wer'n die Geistlichen g'macht und wenn dort oaner koaner werd, noar ist dös schon ganz a schiecher, a Liberaler oder so eppes.

Und acht Jahr hat's dauert, nachher hat er Maturi g'macht und 's nächste Jahr hätt' er soll'n eintreten. Aber da hat er uns gar nit g'fallen, alleweil ist er auf die Jagd 'gangen, auf die Tanzböden und oamal hat man ihn gar beim Schwarzbarbele ihren Kammerfenster g'sehen.

Mein Gott, 's Trinele war woll g'storben, wenn der Johannes nit Geistlich wor'n war' . . . aber die Gnad' hat ihn nicht verlassen, heut' hat er die nui Meß, drum sein heut' die Bauern am hellichten Werkeltag im Wirtshaus und das ist die b'sundere Gnad', die dem Volk widerfahren ist. —

Das Dorf ist geschmückt mit Tannenreisig und Fahnen und Heiligenbildern. An den weißgetünchten Kalkwänden der Häuser stehen Birkenstämmlein und Feld- und Gartenbluest liegt am Boden. "Die Primizmesse war schon vorbei, der Umzug war bereits geschehen und in allen Räumen des Gasthauses „zur Traubbe" — mit zwei b geschrieben — waren Bauern, Burschen, Dianln, geistliche Herrn - dufteten Brat'In, quollen Suppen auf, sprangen Würste, knusperten Krapfen — klirrten Gläser, kratzten Gabeln, glosten Zigarren, dampften Pfeifen, funkelten Rotweine . . . alles war in bestem Gang, die Gnade zu würdigen.

Im schönen Zimmer saß der hochwürdige Herr Primiziant, neben ihm in steifweißem Kleide, mit einem knallgrünen und glanzgoldenen Kranze auf dem Kopfe die Waldeggertalermoidl als geistliche Braut, auf der anderen Seite das stillglückliche Trinele, welches nichts sagte, als: Mein geistlicher Herr Sohn, mein geistlicher Herr Sohn . . . dabei tropfte ein Tränentröpflein auf die runzelige braune Hand. Neben der Mutter saß der Pfarrer, der ehrwürdige Herr Nikodemus und politisierte.

„Die Sozialdemikrat'n, dö glab'n gar nix und mechten grad ummermenschern wie's ihnan g'fallt." . . . Ein Glas Wein drauf!

„Und koan Kaiser mecht'n sie hab'n — sie sag'ns lei nit."

Zur Bekräftigung ein Schlücklein.

„Für Gott, Kaiser und Vaterland - dös ist nit ihner Spruch." Der Pfarrer schenkt sich ein.

„Und daß der Mensch vom Affen abstammt, dadrauf halten sie mehr, als aufs Evangeli' . . . ."

„Der Mensch vom Affen!?" erwiderte mit offenem Munde der tschergete Hies, der nebenan saß, während der Herr Pfarrer wieder ein Schlücklein nahm . . . „Die sein no' ärger als die Liberalen."

„No' ärger!" sagte ängstlich der Hies . . . das ging über seinen Horizont. „No' ärger!"

„No' ärger!" bekräftigte der Herr Pfarrer, nicht ohne jener Gottesgabe zu gedenken, welche seinerzeit den Erzvater Noe ...

Tschinderatta tschinderatta tschinderattata fiel am Platz vor dem Wirtshause die Dorfmusik ein, welche in einem Kreise aufgestellt war. Im Innern standen anstatt der Notenständer die Dorfkinder und hielten die Blätter . . .

Ringsum standen die Leute und hörten zu — sonst waren die Gassen des Dorfes ganz leer.

An der Hausrückseite beim Schwarzen — das alte Haus war fast ganz aus Holz, welches im Laufe der Zeit eine sammetschwarze Farbe angenommen hatte und dem Haus den Namen gegeben hatte — stand das Schwarzbarbele. Ueber die schwarzen Balken hingen von den Fenstern Nelkenbüsche nieder. Aber so glührote Nelken waren heute keine d'ran - die mußten beim heutigen Feste den Buben für ihre Hüte gegeben werden.

Das Schwarzbarbele stand still da und hielt die Hände vor die Augen, als ob die Sonne sie blende.

Was es wohl hatte? Vielleicht hätten es die Nelkenbüsche gewußt . . .

Und das Barbele blickte hinaus in den strahlenden Augusttag, auf die verlassenen goldenen Felder . . . dort, dort, der Heidenbauer . . , der ungläubige Geizkragen bringt wirklich an einem hochheiligen Nuimeßtag Korn, ein . . . ja, ja, da stand er mit seinen Leuten . . .

Das Schwarzbarbele dachte sich ... es könnte wohl auch Garben schneiden geh'n -es hatte ja nichts zu tun. Sie war zwar auch eingeladen gewesen — aber — es ist besser so ... und das Schwarzbarbele nahm die Sichel und ging feldzu ...

Voll Segen und Fruchtkraft ist die Erde. Reife Schwüle zieht über den Feldern hin, schwer rauscht das Korn, die Garben fallen.

Die Kathi ist heut' gar nix zum arbeiten. Schon in der Früh hat sie geklagt, daß ihr nit extra sei — aber der geizige Heidenhofbauer hatte sich schon ausgekannt — sie war' halt gern daheim blieben wegen der Primiz . . ja . . nix da, Arbeiten mueß man am Werktag, der Sonntag ist für die Lustbarkeit

— die faule Dirn, Und wie sie sich g'stellen kann,, als wenn ihr no' alm nit guet wär'n ...

Die Sicheln rauschen durch die goldene Fruchtkraft ... —

„Jessesmariaundjosef!"

„Jessesmariaundjosef!" schreit die Heidenhofbäu'rin auf, „Jessesmariaundjosef", sagt der Großknecht — und der Bauer und die Balbine und der Ferdl . . . „Jessesmariaundjosef!" Und das Wort fliegt durch die Luft . . in der Kuch'I des Widdums steht die alte einzahnige Wiedenhäuserin Griseldis und sagt Jessesmariaundjosef! — die Kathl. —

Der hochwürdige Herr Pfarrer wollte sich eben in Gemütsruhe ein Gläschen eingießen, als ihn die Häuserin dringend herausrufen ließ. Er unterbrach also sein Gespräch über die Sozialdemokraten und zwängte seinen von ziemlicher Würde zeigenden Korpus zwischen den Sitzreihen der Herren Amtsbrüder durch, setzte einen Hut auf — allerdings nicht seinen eigenen — doch die Tonsur verdeckte er ja und ging in den Hausgang, wo die Häuserin mit dem Ausdrucke des Entsetzens im Gesichte wartete . . . dabei merkt Hochwürden, daß ihm das Geh'n etwas schwer fällt.

„Jesses Maria und Josef, die Kathl..." seufzte die Käuferin wieder, „Ein Kind hat sie kriegt, ein lediges ... und so a schwach's Hascherl ist's .., man soll's g'schwind taufen..."

Der Herr Pfarrer murmelt in nicht allzu freundlichem Tonfall etwas vor sich hin, was wie Sündenfratz lautete, aber er wollte das Seelchen doch nicht ausschließen von der Gnade. Diese Kathl . . . und um Fronleichnam ist sie noch mit dem Kranze gegangen, diese kecke Person.-------------

Der Pfarrer schritt nach dem Widdum, dann zur Kirche. Daß es nur die geistlichen Herren Amtsbrüder nicht merken, daß in seiner Seelsorge solche Greuel vor dem Herrn . . .

Gut war's abgegangen in aller Stille. Das Taufwasser war geflossen, der schwächliche Knabe erhielt den Namen Josef, welchen der Pfarrer in's Taufbuch schrieb. Da merkte dieser, daß seine Hand zittere und schwerfällig sei ... Er kehrte zurück zur Tafelrunde.

Abends aber ging es von Mund zu Mund . . . „Jessesmariaundjofef — die Kathl ..."

So ist's Seppele auf die Welt kommen.

Quelle: Anton Renk, Kraut und Ruebn. Kleine Geschichten aus Tirol. Linz 1904, S. 70 - 78
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, September 2005.
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