Zwei römische Meilensteine bei Tulln


© Harald Hartmann

Oft werden Grenzen als willkürlich gezogene Linien verstanden, die immer wieder, nach Gutdünken der jeweiligen Nachbarn ändern. Manche dieser Grenzen jedoch erhalten sich über Jahrhunderte, oft weit über tausend Jahre.

Südlich von Tulln stehen zwei römische Meilensteine, seit dem 14. Jhdt. als Grenzsteine dienen. Der unten beschriebene Scheiblingstein steht an einer Ost-West verlaufenden Grenzlinie, die in den folgenden Dokumenten auch beschrieben ist, welche die Grenze zwischen Noricum und Pannonien darstellte. Es ist dies die Linie vom Scheiblingstein über Kierling bis zum Donau-Limes bei Greifenstein. Heute noch verläuft entlang dieser Linie die Grenze des Bezirks Wien-Umgebung mit Tulln und der Wiener Erzdiözese mit der Diezöse St. Pölten.

Bei Nitzing im Tullnerfeld steht ein sagenumwobener römischer Meilenstein dessen schon fast unleserliche Inschrift besagt, dass er im Auftrag des Kaisers Macrinus (217/218) gesetzt wurde und die Entfernung nach St. Pölten 26 Meilen beträgt. Auf der Rückseite ist ein Hügelreuz eingemeisselt. Dehio beschreibt ihn, wie folgt: Römischer Meilenstein (sogen. Erdäpfelsack), gesetzt 217 n. Chr. unter Kaiser Marinus, wohl im Nahbereich der antiken Straße von Aelium Cetium (St. Pölten) nach Vindobona (Wien); An der Rückseite mittelalterliches Hügelkreuz.

römischer Meilenstein am Nitzing; Harald Hartmann

Römischer Meilenstein bei Nitzing im Tullnerfeld.
Im Hintergrund der Militärflugplatz Langenlebarn
© Harald Hartmann, November 2008

Eine Kopie dieses Steines mit der leserlich gemachten Inschrift wurde zur Gestaltung des Kreisverkehrs in Tulln/Severinplatz um 2000 angefertigt.

Kopie des römischen Meilensteines von Nitzing.
Kreisverkehr Tulln, Severinplatz.
© Harald Hartmann, November 2008

Auf der Anhöhe des Scheiblingsteins genau an der Landesgrenze zwischen Wien und Niederösterreich steht ein zylindrischer, oben abgerundeter Stein, "der Scheiblingstein".

Aus einem Urbar des Bistums Passau aus dem Jahr 1324 ist ersichtlich, daß der Scheiblingstein schon zu dieser Zeit als römischer Meilenstein gegolten hat, was er wohl auch ist. Es wurde vergeblich versucht, zwischen dem Stein und der Exelbergstraße eine Römerstraße zu finden. Eine flüchtige Untersuchung ließ keinen römischen Straßenkörper erkennen. Ob die römische Exelbergstraße auf dem gewachsenen Flyschgrunde überhaupt einen Schotterbelag hatte, ist fraglich. Man nimmt an, daß der Scheiblingstein in der valentinianischen Zeit - das letzte Viertel des 4. Jhdts. - aufgestellt wurde. Dieser Meilenstein, der im Mittelalter volkstümlich der Scheiblige" (der Runde), dürfte also dem Scheiblingsteinberg und der darauf befindlichen Siedling seinen Namen gegeben haben.

Scheiblingstein, römischer Meilenstein; Harald Hartmann

römischer Meilenstein bei Scheiblingstein im Wienerwald.
© Harald Hartmann, November 2008

Auszug aus den Quellen, die diese Grenzsteine erwähnen. Die Namensnennungen der Meilensteine sind, der leichteren Lesbarkeit wegen, fett gedruckt.

Passauisches Urbar von 1324:
Hii sunt termini iudicii provincialis et dominii spectantis ad hofmarchiam in Zaizzenmawer: primo iuxta civitatem Tullnensem a lapide qui dicitur Marchstain per transversum usque ad lapidem in Tulbing qui dicitur Marchstain, et ab inde per descensum usque ad lapidem qui dicitur Meilstain, et ab inde usque ad ripam supra Chirchling, et ab inde per transversum usque ad pirum qui stat inter Greiffenstain et Hoflinum.

Übersetzung des Autors. (Die Ortsnamen wurden der heutigen Schreibweise angepasst):
"Dies sind die Grenzen des Landgerichts und der Herrschaft, die dem Hofrichter in Zeiselmauer zur Aufsicht übergeben ist: Erstens nahe der Stadt Tulln vom Stein, der Marchstein genannt wird hinüber zum Stein in Tulbing, der Marchstein genannt wird und von dort bergab bis zu dem Stein, der Meilstain genannnt wird, und von hier bis zum Ufer oberhalb Kierling und von hier bis zum Birnenbaum, der zwischen Greifenstein und Höflein steht."

Banntaiding zu Greifenstein und Altenberg (1581)
Es melden auch die erbar gmain reich und arm unserr gnedigen herrschaft gerechtigkait und sprechen das ungeverlich, als weit sein herrschaft geet das unser gnediger herr von Passaw obrister richter ist. er und seine getreue pfleger und richter die er darzue setzt die haben zu richten gen Tulbing auf den marchstain und geen Lebarn an die stainpruck. und mitten in die naufarth hunzt geen Pasßgrueb. und gen Khierling inn pach, und ann Meelstain in walt. und was in den marchen geschiecht, darüber ist mein gnediger herr von Passaw etc. obrister richter, und hat pan und recht mit stock und galing. ainen in dem Mülwerdt, ainn in dem Häggenthal, aufgenommen was dem waltgericht zuegehört.

Banntaiding zu Mukkendorf (1613)
Wir öffnen erstens meniclichen das wir die obbrigkait und lantgericht haben wie dieselb außgezaigt ist zu unser herrschaft Zeißlmaur, ietztmalls in unser rentambt Khunigstetten geherig, nemblichen: von der Pasgrueb underhalb des Greiffenstain hindurch geen Khierling in den pach, von demselben an Meilstain im walt, von solchem ufwerts biß in den Hierschengarten, vom selben auf die Hungerstraß oberhalb Tulbing bei Cätzleinstorf, also zwerchs hin in Nützinger velt gegen der stainpruggen oberhalb Lebern, mitten in die naufart der Thunaw [=Donau]. darinnen haben wir allenthalber im ganzen gezirk pan und gericht, stock und galgen, ainen im Mulwerdt und den andern im Häckhenthall.

Landgericht (17. Jhdt.)
Aus dem undatierten Anschlag über das hochfürstl Pasßauerische rentambt Königstetten: Das fürstliche reutambt Königstetten hat einen landgerichtsbezirk. so sich unter Greiffenstain in der Pasßgrueb anfangt, und gehet über den perg oder wald hinauf bis auf daß dorf Khierling, von dannen in. Haßlbach hinein auf den Scheibling- oder Mählstain, im kaiserlichen walt volgents in Hierschengartten beim Tulbinger walt, dan auf die Ungerstraß nach Käzlstorff, weiters auf dem Heidweeg alda. von danen auf den grosen stain im Nüzinger velt, sodan zwerch übers velt biß mitten in die naufahrt der Thanaw. selbiger nach hinab biß wider in die Pasßgrueb.

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Quellen:

DEHIO,Niederösterreich südlich der Donau, Teil. M-Z
Kaiserl. Akademie d. Wissenschaften, NÖ Weisthümer, Bd. III, Wien, 1909
Notizenblätter der Wiener Akadademie 1853