Bludenz.
Im Anblicke der eisgekrönten Scesaplana, welche aus dem Hintergrunde des Brandnerthales [Brandnertales] in strahlender Majestät herausschaut, liegt nicht weit vom Zusammenflusse der III und Alfenz, auf die sanft ansteigende Fläche hingelagert, das freundliche Bludenz, die Metropole des inneren Walgaus. Da die Lage etwas höher als die Feldkirchs ist, besitzt es ein frischeres, aber gleichmäßigeres Klima als letztere Stadt; doch strichen noch vor einem Jahrzehent [Jahrzehnt] die Rebenhügel bis hart an die Mauern. Bludenz eignet sich daher sehr für den sommerlichen und frühherbstlichen Aufenthalt, sei es zu längerem Verweilen, sei es, daß der Fremde die gastliche Stätte als Standquartier für größere Ausflüge benützen will, welche sich von hier aus nach allen Richtungen machen lassen.
In beider Hinsicht ist der Besuch von Bludenz außerordentlich lohnend.
Die Stadt ist nicht groß, aber gleich Feldkirch reinlich und nett, die Bewohner, wie überall in Vorarlberg, äußerst freundlich und zuvorkommend. Allerorts schallt Einem wohlwollender Gruß entgegen, überall wird dem Fremden mit Achtung begegnet.
Von den einstigen Befestigungen dieser altehrwürdigen Stadt, von welchem Orte schon im Jahre 940 in einer Urkunde Ottos I. die Rede ist, sieht man nur mehr spärliche Überreste. Hübsche Villen und duftende Gartenanlagen haben längst den Platz der früheren Mauern und Gräben eingenommen. Einst der Sitz der Grafschaft Bludenz, die die Grafen von Werdenberg als ihre Herren anerkannte, kam es im Jahre 1394 unter Albrecht III. durch Kauf an Oesterreich [Österreich], unter dessen mildem Szepter es sich zum gegenwärtigen Wohlstand emporschwang. Rührend ist die Geschichte, wie Friedrich mit der leeren Tasche auf seiner Flucht vom Constanzer Concil [Konstanzer Konzil] wie ein gehetztes Wild nachts an das verschlossene Tor kam und Einlaß begehrte. Der Wächter der Stadt, welche erst vor wenigen Jahren dem Herzog Treue zugeschworen hatte, verweigerte den Einlaß, selbst als der Flüchtling seinen Namen nannte. "Es seien", meinte er, "schwer seltsame Läuf' vorhanden; man lat (läßt) nit jeglichen gleich in." Der Herzog berief sich nun auf einen Bürger, namens Schädler, der dann auch herbeikam und ihn erkannte. Nun war freilich des Jubels kein Ende. Die treuen Bludenzer bewirteten den edlen Gast und gaben ihm dann noch "dem Berg (Arlberg) zue d's Klosterthal duri (durchhin)" das Ehrengeleite.
Kunstschätze besitzt Bludenz außer einem Altarblatt von Deschwanden in der Pfarrkirche und einem vorzüglichen Bild aus der Venetianerschule im Chor des Kapuzinerklosters, die Grablegung Christi darstellend, nicht viele. Merkwürdig ist der alte Brunnen vor dem Rathhause mit der Statue des hl. Johann von Nepomuk. Auch die beiden Friedhöfe sind sehenswert. Der alte ist ungemein malerisch und stimmungsvoll, aber auch der neue verdient jedenfalls einen Besuch, und sei es auch nur, um das Mutter'sche Grabdenkmal von Hermann Mayer*) zu besichtigen. Es hat den "göttlichen Kinderfreund" zum Vorwurf und muß als eine über das gewöhnliche Maß weit hinausragende künstlerische Leistung bezeichnet werden. Ein Christus von solcher Hoheit und Majestät, die durch den Gegensatz des an sein Knie sich anschmiegenden Kindes noch mehr hervorgehoben wird, dürfte in der neueren religiösen Plastik schwer zu finden fein. Mit diesem Werke hat der Künstler einen großen Wurf getan. Im selben Friedhof befindet sich noch ein anderer schöner Christus der talentvollen Brüder Joh. Georg und Fr. Joseph Matt aus Rankweil, sowie ein Friedensengel aus carrarischem Marmor, den der feine Meißel des Georg Feuerstein für die Grabstätte des Johann Gaßner geschaffen hat. Die Kunst des Pinsels hatte bis vor wenigen Jahren ihren Vertreter im hochbegabten Maler Jacob Jehly, der in seiner reizend gelegenen Villa Armatin bei Bludenz lebendig und wahr ausgeführte Landschafts- und Genrebilder schuf.**)
*) Es ist dies derselbe Künstler, (S. 112 irrig
Meyer geschrieben) der die Statuen in der v. Tschavoll'schen Villa in
seiner Vaterstadt Feldkirch schuf. Er lebt gegenwärtig in Berlin.
**) Vgl. die warm geschriebene "Erinnerung
an Jakob Jehly" von Herm. Sander. Innsbruck. Wagner 1897.
Hiezu bietet die Umgebung von Bludenz allerdings Vorwürfe genug; denn sie ist, wie schon erwähnt, reich an stimmungsvollen Objekten, schönen Spaziergängen und entfernteren Ausflugspunkten. Wie lohnend ist nicht z.B. der Besuch der Schießstätte mit der herrlichen Rundschau auf die Bergwelt; wie reizend der kurze abendliche Spaziergang zur Tschalengabrücke mit dem Blick auf die in Purpur getauchte Scesaplana. In der Nähe erblickt man rechts von der Straße das verkleinerte Muster eines Montavonerhauses [Montafonerhauses], dessen Original im Silberthale [Silbertal] steht. Geht man weiter, so gelangt man zum freundlichen Ort Nüziders mit der Ruine Sonnenberg. Das Dorf liegt ganz im Obstbaumschatten versteckt und hat eine ungemein anmutige und milde Lage. Noch weiter gehend, kommt man am "hangenden Stein" und am oben genannten Martinskirchlein vorbei nach Ludesch und Thüringen, den zwei rebenumgrünten Dörfern, welche am Eingang ins schone Walserthal [Walsertal] stehen. Von da kann man über den Ludescher Berg zum Ort Laz hinaufsteigen, der mit seinem prachtvollen Fernblick den ganzen inneren Walgau beherrscht und, wenn noch Zeit, über die Sommervillen der Familie Gaßner den Abstieg nach Bludenz nehmen.
Nicht minder lohnend sind die Ausflüge gegen Osten, so über Rungelin zur einsamen Höhe von Obergasünd, von wo aus der Blick westwärts bis nach Feldkirch schweift und ostwärts auf den grünen Talboden von Braz und ins tiefere Klosterthal [Klostertal] schaut.
Von größeren Ausflügen in den Nebentälern, welche die Stadt im Kranze umgeben, wird in den nächsten drei Abschnitten die Rede sein.
Zum Schlusse will ich noch bemerken, daß sich von Bludenz auch
ganz leicht Bergtouren, z.B. auf den hohen Frassen, Hochgerach u.s.w.
machen lassen, welche das Gute haben, daß sie dem Steiger geringe
Mühe kosten und doch die ganze imponierende Bergwelt des Rhätikon,
des Lechthaler- [Lechtaler-] und Schweizergebietes enthüllen.
Quelle: Ludwig von Hörmann, Wanderungen in Vorarlberg,
2. Auflage, Bregenz 1901, S. 145 - 148.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Mag. Veronika Gautsch, Dezember
2005.
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