Grabschriften und Marterlen
VORWORT.
"Die
Grabinschriften sind
gleichsam die Stimme der
Todten, die zu dem Wanderer
alter Zeiten sprechen."
Newton-Imelmann.
die griechischen Inschriften.
Zu den "Haussprüchen", "Sprichwörtern" 1) und ähnlichen fixirten und fliegenden Aeußerungen des Volkslebens sind auch die "Grabschriften" im weitesten Sinne des Wortes zu zählen. Auch sie spiegeln in großer Mannigfaltigkeit und wechselnder Gestaltung die Anschauungs-, Denk- und Gefühlsweise der Menschen innerhalb eines ziemlich großen Zeitraumes und werden so für den Sprach- und Sittenforscher zu einer mehr oder minder wichtigen Fundgrube bei Beurtheilung des Volkscharakters.
Gerade die Alpen mit ihren etwas zum Mystizismus hingeneigten Bewohnern sind reich an derartigen Denkmalen, so daß es sich wol der Mühe lohnt, letztere gesammelt und übersichtlich zusammengestellt den Gebirgsfreunden zu überreichen.
Die Eintheilung ergiebt sich fast von selbst. Die erste und größte Abtheilung umfaßt die eigentlichen Grabschriften, wie sie uns in den alpinen Stadt- und besonders Dorffriedhöfen aufstoßen. Sie befinden sich theils auf den hölzernen oder eisernen Grabkreuzen aufgemalt, theils unter dazu gehörigen Bildern an der Kirchenmauer auf Tafeln angebracht. Ihr Inhalt ist entweder allgemeiner Natur und behandelt in allen nur denkbaren Spielarten das Kapitel von Tod und Ewigkeit, daneben Schmerz über den Verlust theurer Angehöriger mit der Hoffnung auf Wiedersehen. Manche dieser Verse sind von einer Tiefe und Innigkeit, wie man es auf solchen Landfriedhöfen gar nicht erwarten möchte. Zeitweilig kommt auch eine Ursprünglichkeit der Auffassung und eine kindliche Naivität zum Durchbruch, die unwillkürlich die Lachmuskeln in Bewegung setzt. Dies trifft vorzüglich bei jenen Grabschriften zu, welche den Stand des Verstorbenen, seine Beschäftigung oder seine Todesart zum Inhalt haben. Das Volk spricht eben wie es denkt und nennt das Kind beim rechten Namen. Man würde daher sehr irre gehen, wollte man das oft auf Gemüthsroheit oder gar Frivolität deuten, was bei ihm nur ungeschminkte ungekünstelte Ausdrucksweise ist. Das Gesagte gilt auch von den 3 andrn Abtheilungen, besonders von den Marterln.
Eine eigene Art von Denkzeichen Verstorbener sind die sg. Leichen- oder
Todtenbreter. In früheren Zeiten waren es die wirklichen Rechbreter
2), auf welchen die Leichen im Hause aufgebahrt waren und die dann, mit
Namenszug des Verstorbenen und Jahreszahl versehen, an häufig begangenen
Wegen, besonders Kirchwegen, aufgestellt oder sogar auf dem Wege niedergelegt
wurden. Jetzt sind es meist später vom Schreiner gemachte Breter
von primitivmonumentaler Form, auf denen Bilder und Kreuze mit Inschriften
gemalt sind. Man trifft sie meines Wissens nur in Oberbaiern und in den
westlichen Alpen, vorzüglich im Salzburgischen.
Haben wir in der 1. Abtheilung den stillen Garten des Friedhofs und die
Kirchenwege durchwandert, so führt uns die 2. Abtheilung in das Helldunkel
der sg. Todtenkapellen und Todtenrasten. Letztere sind kleine Kapellen
außerhalb des Ortes, welche den Leichen, die weiter her besonders
von den Berghöfen herabgeschafft werden, als zeitweilige Ruheposten
dienen, bis sie der Ortsgeistliche zur Bestattung auf dem Dorffriedhof
abholt. An den Wänden hat gläubiger Sinn und Pietät verschiedene
Erinnerungstafeln an die Verstorbenen aufgehängt, die fast immer
ähnlich den Grabkreuzen mit passenden Versen und Sprüchen versehen
sind. Meist finden auch hier sg. Armeseelentafeln ihre Heimstätte,
kleine Bilder, die in den himmelschreiendsten Leimfarben nackte Gestalten
beiderlei Geschlechtes mit flehenden Mienen und zum Himmel erhobenen Händen
darstellen, während unten züngelnde Flammen eine drastische
Darstellung ihrer "heißen Pein" im Fegfeuer geben. Die
Verse dabei schildern die Qual dieser abgestorbenen Büßer -
denn "von Mund auf in den Himmel" kommt nicht so leicht einer
- und appelliren in eindringlichster, oft fast raffinirter Weise an das
Mitleid der Vorübergehenden um ein Vaterunser oder Ave Maria. Solche
Armeseelenbilder trifft man auch fast allerorts an Wegen und Stegen und
der naive Glaube des Volkes, der sich unter dem Bilde diese Leidenden
leibhaftig vorstellt, läßt meist die "armen Seelen"
selbst sprechen und herzbrechende Bitten stellen.
Eine in gewissem Sinn edlere und für den Sittenforscher werthvollere Art von Erinnerungspoesie bildet die 3. Abtheilung, nämlich die Inschriften auf Votivtafeln, Bildstöckeln und Feldkreuzen, vorzüglich die erstgenannten. Gleich den Weihetafeln des grauen Alterthums, wie sie zu Hunderten in Griechenland und Italien gefunden wurden und noch werden, haben sie theils allgemeine Lebenswahrheiten zum Inhalt, theils sind es Erinnerungszeichen an wunderbare Rettung aus Lebensgefahr oder an sonstige Hilfe im Unglück, welche dankbarer Sinn zur Erbauung der Mitwelt an dem Thatort oder in Wallfahrtskirchen aufgehängt hat. Gewöhnlich erläutert ein Bild die Verse, die oft in bemerkenswerther Anschaulichkeit und Kürze den Fall erzählen. Bedeutungsloser sind die Sprüche und Reime auf Bildstöckeln und Feldkreuzen, entschädigen aber oft durch Innigkeit und Gemüthstiefe, sowie durch rührende Herzenseinfalt.
Verwandt mit den Votivtafeln sind die sg. Marterlen, welche die 4. Abtheilung bilden. Unter "Marter" schlechtweg versteht man in den Alpen, besonders in Tirol, jedes gemauerte oder hölzerne Denkzeichen am Wege, sei es nun eine kleine Stationenkapelle oder eine Bildsäule mit Christus am Marterpfahl oder endlich ein Denkzeichen an irgend ein trauriges Ereignis. Im engeren Sinne bezeichnet jedoch besonders die Verkleinerungsform "Marterl" ein Täfelchen, das zum Andenken an einen hier stattgefundenen Unglücksfall errichtet wurde und gewöhnlich mit haarsträubendem Bild und Text den traurigen Fall darstellt. Solche "Marterln" sind über das ganze Alpengebiet in erschreckender Zahl ausgestreut und geben in ihrer Gesammtheit einen reichhaltigen Ueberblick über die Gefahren, denen der Aelpler durch die Naturmächte und bei seinen Berufsarbeiten ausgesetzt ist. Sie sind es auch, deren Reime uns theils durch ihre ganz außerordentliche Lebendigkeit der Darstellung, andererseits durch ihre zwerchfellerschütternde Naivetät anmuthen.
Viele haben schon eine gewisse Berühmtheit erlangt, sind in verschiedenen Lesearten als Beiträge zum Kapitel unfreiwilliger Komik sogar in Kulturgeschichten übergegangen, kurz erfreuen sich einer besonderen Beliebtheit. Ich habe bei Aufnahme derselben die möglichste Vorsicht walten lassen, erkläre jedoch im Vorhinein, dass ich nicht für alle diese "wilden" die unbedingte Verantwortung übernehme. Dies gilt besonders vom Ort ihres Vorkommens. Ich habe da ganz eigene Erfahrungen gemacht, wie wenig man sich auf die "Selbstansicht" mancher Sammler verlassen kann.
Es wäre nun noch etwas über die Behandlung des Stoffes zu sagen. In den meisten Fällen ließ ich den Vers oder Reim unverändert, wie ich ihn vorfand. Mein Eingriff bezog sich höchstens auf die Anführung von Unterscheidungszeichen, die ich des besseren Verständnisses halber anzubringen mir erlaubte. Selbst die Rechtschreibung, die besonders in den Marterlen oft wunderbare Blüten treibt, ließ ich stets unangetastet; ist sie ja auch oft ein belehrendes Merkmal.
Schließlich sei noch allen denjenigen, die mir Beiträge lieferten oder Auskunft ertheilten, der beste Dank gesagt, in erster Linie der tirolischen und kärntnerischen Geistlichkeit, die mich seit einer Reihe von Jahren bei meinen Sammlungen unterstützte, weiters dem Herrn B. Köhler, der mir liebenswürdigster Weise den Abdruck seiner in No. 1649 der Leipziger illustr. Zeitung erschienenen "Leichenbretverse im baierischen Wald" gestattete, den Herren Dr. Oswald und Wolfram Zingerle, welche reiche Beiträge lieferten, Hofrath Julius R. v. Ficker, Lehrer L. Haselsberger, den Universitäts-Prof. Dr. v. Ottenthal, Stolz, Redlich, Luschin-Ebengreuth, dem kaiserl. Rath Speckbacher und endlich Herrn Oberingenieur Hantschke. Dieser warme Dank möge zugleich eine neue Bitte sein.
Innsbruck.
August 1889.Dr. Ludwig von Hörmann
1) Beide werden demnächst als Fortsetzung
der "Grabschriften" veröffentlicht werden.
2) Von Re = Leiche.
Quelle: Ludwig von Hörmann, Grabschriften und
Marterlen, Leipzig 1890.
Für SAGEN.at neu erfasst von Waltraud Rück, April 2005.
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