Volksbräuche der Alpenländer.
V. Tod und Begräbnis.
von Ludwig von Hörmann.

Pietät gegen die Toten, ehrenvolle Bestattung derselben und Heilighaltung ihrer Grabstätten galt zu allen Zeiten und bei allen Völkern als eine tief in Glauben und Sitte begründete religiöse Pflicht. Allgemein war nämlich die Ansicht verbreitet, daß die Seele des Verstorbenen nicht eher zur Ruhe kommen, sondern unstät den toten Körper umirren müsse, ehe dieser nicht bestattet wäre. So übte das edle Volk der Griechen mit größter Pietät diese Pflicht, und vielleicht bei keinem Volke wurde auf eine ehrenvolle Bestattung größeres Gewicht gelegt. Ähnliche Sorgfalt wurde bei den Römern gepflogen, wie die zahlreichen oft prächtigen Grabmäler noch bezeugen.

Daß in Erfüllung dieser heiligen Pflicht die Deutschen nicht zurückbleiben würden, wird keiner bezweifeln, der die tief angelegte und zarte Natur der Germanen zu würdigen versteht. Schön und sinnig sind die Gebräuche und Zeremonien, mit denen unsere heidnischen Vorfahren ihre verstorbenen Mitbrüder ehrten und viele derselben sind in unsere christliche Generation übergegangen und von der Kirche genehmigt worden. Allerdings hat der heidnische Brauch, die Leichen zu verbrennen, aufgehört, sowie die alte Sitte, dem Toten seine Waffen, seinen Schmuck und das Geräte, mit dem er lebend geschafft, ins Grab zu geben. Dessen ungeachtet finden wir in den Gebräuchen, die sich um den ganzen Vorgang der Leichenbestattung gruppieren, noch so viele altererbte Züge, daß es sich wohl der Mühe lohnt, sie kennen zu lernen. Natürlich haben sich dieselben "auf dem Lande" viel reiner und mannigfaltiger erhalten, und gerade Tirol bietet in dieser Hinsicht eine reiche Ausbeute der interessantesten Begräbniszeremonien, von denen ich nur die hauptsächlichsten im Folgenden zu einem kleinen Bilde vereinigen möchte.

Sobald der Tod eingetreten ist, wird in den meisten Gegenden Tirols die Leiche in reinliche frische Wäsche gehüllt und auf ein Brettgerüste gelegt. Daneben stellt man brennende Wachslichter, welche abwechselnd ausgelöscht werden, damit der Gestank der glimmenden Dochte die Einwirkungen des bösen Feindes vertreibe. Die Fenster werden geöffnet, damit die Seele entfliehen könne, der Spiegel wird verhängt, die Uhrzeiger eingestellt, zum Zeichen, daß die irdische Herrlichkeit vorbei und das Leben des Betreffenden abgelaufen sei. Häufig werden die Kerzen schon angezündet, während der Sterbende noch in den letzten Zügen liegt "Geahnlt" eine derselben, d. h. nimmt sie ab, dann stirbt der Mensch, sobald sie herabgebrannt ist. Stirbt ein Jüngling oder eine Jungfrau, so kommen alle ledigen Burschen oder Jungfrauen der Nachbarschaft zusammen und winden Kränze aus Wintergrün, Wachholder und Blumen. Dafür bekommen sie vom Hausvater Käse, Butter und Kaffee. Dies Alles geschieht neben der Leiche.

An den meisten Orten, besonders im Oberinntal und Vinschgau, ist noch die Totenwache üblich, die neben der Leiche bei aufgehängtem Öllichte gehalten wird, tagsüber bis Mitternacht wird Rosenkranz gebetet; daneben besteht die freilich etwas profane Sitte des "Vaterunser-Ausspielens", d. h. zu wetten, wer länger mit ausgespreizten Armen beten könne. Punkt zwölf Uhr wird den Wachenden Schnaps verteilt, oder werden denselben hölzerne "Brenten", mit Schottenwasser zur Verfügung gestellt, woraus jeder nach Belieben schöpft. Man nennt das die "Saufa". Leider artete diese Sitte, die in erster Linie nur die Stärkung der Wachthabenden bezweckte, sehr häufig in ein rohes, der ernsten Situation wenig entsprechendes Treiben aus, weshalb sie auch an den meisten Orten abgekommen ist.

Am nächsten Morgen wird die Leiche eingeschlagen. Unter das Haupt des Toten werden z. B. in Vinschgau "Hobelscheiten" gelegt, denn die Seele wohnt im Kopfe; an anderen Orten werden Sacktücher in den Sarg gegeben; der Spender glaubt sich, sobald sie verfault sind, von Kopfweh befreit. Ist die gehörige Zeit der Ausstellung verstrichen, so gibt eine eigene Sterbeglocke, gewöhnlich die älteste Glocke, das Zeichen zur Bestattung, woran in der Regel die ganze Gemeinde teilnimmt. Die Ordnung des Zuges ist nach den Tälern verschieden; die Klagleute gehen zuletzt. Auf dem Sarge liegt ein Buxkranz, an einigen Orten Oberinntals wird unten etwas Lebendiges, meist ein Vogel in einem Käsig, angehängt. Jungfrauen wird ein rotes Kreuz vorangetragen, doch das gewöhnlichste ist ein Kreuz aus Hollunder. In Oberinntal wird der Leiche ein Sack mit Korn für den Meßner vorausgetragen bis in die Kirche hinein; in anderen Dorfern ein Korb mit Eiern, der sogenannte "Voraus". Der Zug muß dem Totenwege nachgehen; geht man über die Felder oder andere Steige, so geschieht ein Unglück. Auch soll derjenige, der einer Leiche begegnet, auf der rechten Seite ausweichen, sonst kommt der Zug nicht vorbei. Auf dem Friedhofe angelangt, wird nach den gewöhnlichen kirchlichen Zeremonien das Hollunderkreuz auf den Grabhügel gesteckt. Grünt im folgenden Jahre das Hollunderkreuz, das den Namen "Lebelang" führt, so ist dies ein sicheres Zeichen, daß der Begrabene selig ist.

Nach der Bestattung, die mit einem allgemeinen Weihwassersprengen schließt, geht man in die Kirche, woselbst meist gleich die Seelenmesse gelesen wird. Währenddessen wird den Armen das "Obelbrot" und Salz verteilt. In manchen Gegenden findet diese Beschenkung noch während der Ausstellung oder während des Begräbnisses statt. Nach dem Gottesdienste begibt sich die Verwandtschaft und andere Geladene ins Gasthaus, woselbst das "Totenmahl" oder der "Totentrunk", in Südtirol "Pitschen" genannt, gehalten wird. Reichere Bauern laden oft das halbe Dorf dazu ein, wobei natürlich die Armen auch ihren Teil bekommen. Der Totentrunk ist eine uralte Sitte, die sich fast bei allen Völkern, heidnischen und christlichen, nachweisen lässt. Die Römer bereiteten nach der Bestattung ein eigenes Mahl zu Ehren des Verstorbenen, welches aus Honigkuchen und Hülsenfrüchten bestand. Ebenso war dieser Brauch bei den heidnischen Preußen und Liefländern, bei denen die abgeschiedene Seele zum Totenmahle eingeladen wurde; jeder der Teilnehmer warf von seinem Vorrat etwas hinter sich auf die Erde. Auch die Liebesmahle der ersten Christen waren ursprünglich Totenmahle bei Beerdigung ihrer Verwandten oder an Gedächtnistagen der Märtyrer.

Mit diesen aufgezählten tirolischen Bestattungsgebräuchen ist natürlich dieses Gebiet noch nicht erschöpft. Eine Flut von abergläubischen Ansichten und Meinungen schließt sich an einen solchen Vorgang, vom letzten schicksalbestimmenden Atemzug des Sterbenden angefangen, bis zu den vernunftwidrigsten Vorstellungen und Zwecken, die sich an die versenkte irdische Hülle anlehnen.

Quelle: Volksbräuche der Alpenländer - IV. Faschingsgebräuche, Ludwig von Hörmann, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 10. Band, Gera 1877, S. 316 - 317.
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