Volksbräuche der Alpenländer.
IV. Faschingsgebräuche.
von Ludwig von Hörmann.

"Jugend muß austoben", sagt ein altes Sprichwort. Und wie jedes Menschenleben seine Flegeljahre hat, so gibt es auch in jedem Jahre einen Zeitpunkt, wo sich alle sonst in Schranken gehaltene Lustigkeit Luft macht und Groß und Klein die Schellenkappe aufsetzt.

Das ist der fröhliche, tolle Fasching!

Aber nicht nur der gebildete Städter ergötzt sich im licht- und farbenstrahlenden Ballsaale oder an pikanten Maskenscherzen, auch auf dem Lande verfehlt der Fasching seine elektrisierende Wirkung nicht, und der Volkshumor schafft lustige Feste und Mummereien voll Witz und Mutwillen.

Ein derartiges Spektakel ist das sogenannte Schemenlaufen, wie es in den meisten Dörfern Deutschtirols Brauch ist. Dasselbe findet am "unsinnigen Donnerstag", d. i. am Donnerstag der letzten Faschingswoche statt; manchmal wird auch der Faschingsdienstag dazu anberaumt. Zu diesem Zwecke versammeln sich eine Anzahl junger Burschen und verkleiden sich als "Schemen". Stroh und Lumpen verhüllen die ganze Gestalt; oft wird noch ein Hemd darüber angezogen. Das Gesicht wird mit Ruß geschwärzt, und um den Leib schlingt sich ein Riemen, an dem hinten eine große Kuhschelle baumelt, die bei jeder Bewegung anschlägt! In der Hand trägt jeder eine große Peitsche. So ausgerüstet begeben sich die "Schemen" auf den Kirchplatz, und nun stürmt die ganze Schaar mit lautem Gejohle und Geschrei peitschenknallend durch die Gassen des Dorfes. Erschreckt flüchtet sich Alles in die Häuser, als käme die gespenstige wilde Jagd. Denn wehe demjenigen, der sich nicht flink genug auf die Beine macht oder der keinen schützenden Winkel findet. Da kommen zerlumpte Gesellen, fassen den Armen und kehren ihm mit stachlichen Besen das Gesicht ab. Nicht genug mit dieser Schminke, langt ein Anderer eine Hand voll Ruß aus einem großen Sacke und wirft ihn dem Mißhandelten in's Gesicht. Dazu bombardirt ihn noch das tückische "Krautweibele" mit übelriechendem faulen Kraut. Ländlich, sittlich - appetitlich! Das ist aber noch Alles gut gegen die Beschämung, die derjenigen wartet, welche im Laufe des Jahres irgend etwas Lächerliches oder Anstößiges angestellt haben. Denn mit dem Schemenlaufen ist gewöhnlich ein förmliches Ehrengericht verbunden. Jeder Dorfskandal wird in witzigen Knittelversen vorgetragen und dem Gelächter und der Entrüstung des zahlreich versammelten Publikums preisgegeben.

Im südlicheren Tirol geschieht dies vor der interessanten Figur des sogenannten "Egerthansels". Es ist dies ein kolossaler Strohmann mit lumpigen Kleidern behangen, den die Burschen auf einer eigens bereiteten Tragbahre durch das Dorf tragen. Auf Plätzen oder vor betreffenden Häusern wird angehalten und der Strohmann um allerlei Neuigkeiten befragt, die ein Bursche im Namen der Puppe beantwortet. Zuletzt zieht die tolle Schani vor die Wohnung einer alten heiratslustigen Jungfer und hängt ihr den Egerthansel als Bräutigam über die Haustüre. Schallendes Gelächter begleitet diesen Akt des Spottes. Im Wirtshaus wird bei Tanz und Wein der Tag beschlossen.

Im Städtchen Hall ist das "Fasserrößl" der Mittelpunkt des Spektakels. Es ist dies ein aus Holz geschnitztes roßähnliches Ding. Ein junger Faßbindergesell setzt sich als Reiter darauf und schiebt sich mit seinem etwas schwerfälligen Gaul durch die Gassen der Stadt, begleitet von Schemen, oder, wie sie auch genannt werden, von Huttlern, die den größtmöglichen Lärm vollführen und allerlei Possen treiben. Vor den Wirtshäusern wird Wein und Schnaps getrunken.

Die größte Ausdehnung nimmt diese Fastnachtskomödie in Oberinntal an, denn es zieht dort ein förmlicher Maskenzug mit. Am unsinnigen Donnerstag schmücken die Burschen einen großen abgeästeten Baumstamm (Bloch) mit Blumen, Kränzen und Bändern und ziehen ihn auf einem Schlitten in's Dorf, das sogenannte Blochziehen. Dazu tragen sie schwarzlederne kurze Hosen mit grünen Hosenträgern, weiße Strümpfe; die übliche Joppe fehlt. Auf dem Blocke läuft mit allerlei wunderlichen Grimassen ein als Schalksnarr verkleideter Bursche balancierend hin und her, ruft den Begegnenden Spitzreime zu und bespöttelt in Knittelversen das Tun und Treiben der Dorfbewohner, besonders der Mädchen. Um den Wagen tummeln sich allerlei Masken. Da stolziert ein Türke mit seiner Türkin im grellsten buntfarbigen Kostüm, dahinter schleppt ein Sterngucker in langem Frack ein riesiges Fernrohr. Ein Barbier läuft alten Jungfern nach und will ihnen mit einem Rahmmesser den Bart abscheren. Dann kommen Streuner und Zigeuner, steigen auf die Dächer, pflanzen dort Föhrenbäumchen auf und treiben lärmend Krummschnäbelfang, während andere ihrer Spießgesellen in die Häuser schleichen und zu stehlen versuchen. Auch eine Kellnerin fehlt nicht, die den Zuschauern Wein und Schnaps präsentiert und dafür reichliches Trinkgeld bekommt. So dauert die närrische Komödie fort, wohl ein paar Stunden lang, und das ländliche Publikum, das sich aus allen umliegenden Dörfern zahlreich versammelt hat, lacht sich halb krank und jauchzt dem Treiben der Masken Beifall. Es versteht sich von selbst, daß Tanz, Essen und Trinken den Schluß machen, wozu auch oft eine kleine Rauferei die pikante Würze gibt.

Quelle: Volksbräuche der Alpenländer - IV. Faschingsgebräuche, Ludwig von Hörmann, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 10. Band, Gera 1877, S. 19 - 21.
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