Die Teferegger [Defregger] Teppichhändler.
(Hierzu Porträt einer Tefereggerin.)
von Dr. Ludwig von Hörmann.

Das ziemlich große aber rauhe und abgelegene Hochtal Tefereggen [Defreggertal] mündet vier Stunden nördlich vom pustertalischen Lienz in das Iseltal; ein Alpenwinkel, von dem vielleicht keine Seele etwas wüßte, wäre er nicht durch seine Teppichhändler in der halben Welt bekannt geworden. Um in das Tal zu gelangen, muß man zuerst auf steilem Wege zum Weiler Huben hinaufsteigen, für welche Mühe man indess durch eine wunderschöne Aussicht auf das ganze Iseltal bis nach Lienz entschädigt wird. Die Tiefe durchbraust der Teferegger Bach, der mehrere interessante Wasserfälle bildet; an den Bergwänden links und rechts kleben auf steilen Matten wie Vogelnester die Einzelhöfe. Der erste Ort oder die erste "Rotte", wie man hier zu Lande die Teile einer Gemeinde nennt, und die man auf dem rauhen Talwege erreicht, ist Hopfgarten. Es liegt auf einer kleinen Ebene am linken Bachufer und besitzt die gemeinschaftliche Kirche. Ein sonniges Gelände zieht sich darüber den Berg hinan, auf welchem die übrigen sechs zur Seelsorge gehörigen Weiler in ziemlicher Entfernung sichtbar sind. Die Kirchgänger bedroht auf den rauhen und abschüssigen Fußpfaden nicht selten Lebensgefahr, besonders im Frühjahre, wo Muhrbrüche und Schneelawinen schon manchen verschüttet haben. Ebenso unwirsch ist die weitere Fortsetzung des Tales. Hohe, steile Gebirge drängen sich eng zusammen, aber dennoch erblickt das Auge zahlreiche Weiler zu beiden Seiten auf den Berggehängen verteilt. Jedes Fleckchen Erde wird mit unsäglicher Mühe angebaut. Der hinterste Teil von Tefereggen, das Gebiet der Gemeinde St. Jakob, gestaltet sich weiter und ebener zu einer lieblichen Alpenlandschaft, die der klare Bach friedlich durchzieht. Von der Talsohle steigen bis zum Hochgebirge sanft gewölbte grüne Hügel hinauf, auf denen einzeln oder zu malerischen Gruppen vereint die Häuser stehen. Waldige Kuppen und großartige Felskolosse umschließen die Idylle, und westlich schimmern über grünen Alpenweiden die Eisflächen und Zinken der Rufenockbacher - und Friebferner.

So schön sich aber dieses Hochtal bei blauem Sommerhimmel ausnimmt, um so trübseliger und unfreundlicher ist der Aufenthalt daselbst im Winter, der, hier sehr lange dauert. Aus diesem Grunde erzeugt es auch äußerst wenig Getreide, kaum halb so viel, als die Bevölkerung zur Nahrung benötigt. Die Teferegger suchten sich daher, wie so viele Bewohner armer Bergtäler Tirols, einen andern Lebensunterhalt und fanden denselben im Hausierhandel und zwar mit einem ganz eigentümlichen Artikel: mit Teppichen aus Kuhhaaren. Diese Teppiche werden nicht in Tefereggen selbst, sondern im naheliegenden Pustertale verfertigt. Die Kuhhaare werden zuerst "kartatscht", d. h. mittelst einer eigenen Handvorrichtung gereinigt und geglättet, dann gefärbt, gesponnen und gewoben. Die Händler kaufen sie zusammen und tragen sie auf dem Rücken in die weite Welt. Um den Gewinn zu vergrößern, führen sie oft auch noch andere Kleinware bei sich, z. B. Handschuhe, Wetzsteine u. a. Ihr Äußeres ist gewinnend, denn die Teferegger sind ein großer schöngebauter Menschenschlag, dabei verstehen sie es auch gar nicht übel, ihre Ware an Mann zu bringen. Sie stellen sich bei der Handelschaft oft als ganz einfältige Naturkinder, haben es aber, wie man hierlands zu sagen pflegt, "dick hinter den Ohren". Doch stehen sie allgemein im Ruf der Ehrenhaftigkeit. Während nun Sohn und Gatte in der Fremde weilen und Rußland, Holland, Preußen, Frankreich und Wälschland durchwandern, wirtschaften zu Hause die Weiber allein und bestellen Stall und Feld. Seltsamer Weise finden sie trotz aller Arbeit sogar noch Zeit zu einer - Badereise! Wenn man in den Sommermonaten eines der zahlreichen Bäder Pustertals besucht, so trifft man gewiß allenthalben einige Tefereggerinnen, die gewöhnlich wegen Fußleiden einige Zeit da verweilen. Sie zeichnen sich durch ihre eigentümliche Tracht vor allen Bewohnerinnen der Umgegend aus. Brauner Loden umhüllt ihre meistenteils kleine Gestalt vom Kopf bis zu den Füßen. Aus demselben Stoffe ist der kurze faltige Rock und das Mieder, das über der Brust mit roten "Nesteln" verschnürt ist. Darüber kommt eine kurze offene Jacke. Das Haar wird in Zöpfe geflochten, mit roten Bändern durchzogen und hinten mit einer Metallnadel aufgesteckt. Das runde, braune, ebenfalls mit roter Schnur geschmückte Hütchen sitzt ganz keck darauf. Wenn dann der Herr Gemahl von seinen Handelsreisen heimkehrt, so bildet ein solches Ehepaar einen eigentümlichen Kontrast. Seine Kleidung ist von feinem Tuch und städtischem Zuschnitt, auch spricht er ein leidlich reines Hochdeutsch, während das Weib im Teferegger Dialekt antwortet und seit Jahrhunderten um keinen Faden breit die Mode verändert hat. Das mag wohl auch seinen Grund in ihrer Abgeschlossenheit haben, denn außer besagter Badereise bekommt man eher eine muslimische Haremsschöne zu sehen, als eine der Bewohnerinnen des Tefereggentales.

Auch das männliche Geschlecht hängt mit inniger Liebe an seiner armen Heimat. Der Reiz der großen Welt, in der die Händler sich Jahre lang umhertreiben, vermag es nicht, sie jener abtrünnig zu machen; nur in vereinzelten Fällen siedelt sich einer in der Fremde an. Gewöhnlich bringen sie ihr erspartes Geld nach Hause und werden wieder vollständig Bauern, nur Kleidung und Sprache bleiben - sonderbarer Weise - städtisch. Wählt sich dann der Zurückgekehrte ein Weib, so ist es jederzeit ein Mädchen aus dem Tale, obwohl dieselben in Folge der rauhen Arbeit selten hübsch sind. Doch gewöhnlich ist der Händler schon vor dem Antritt der Wanderschaft Gatte und Vater, denn die Heiraten werden, der Sitte gemäß, sehr früh geschlossen und zwar auf so originelle Art, daß es nicht uninteressant sein dürfte, die bei der Hochzeit vorkommenden Gebräuche kurz hier anzufügen.

Defreggerin

Eine Tefereggerin [Defreggerin]

Die Braut ist gewöhnlich die Wahl des Vaters, in welche sich der gehorsame Sohn willig fügt Im Wirtshause vor Zeugen erfährt dieser zum ersten Male den Namen seiner Zukünftigen, und wenn er gegen dieselbe nichts einzuwenden hat, was meistens der Fall ist, werden allsogleich Abgeordnete zur Brautwerbung ausgesandt. Vater, Sohn und die übrige Versammlung harren beim Glase Wein der Entscheidung. Fällt diese günstig aus, so geht die ganze Gesellschaft nach Hause, wo der Heiratsvertrag geschlossen wird. Um bei diesem wichtigen Geschäft auch der nötigen Leibesstärkung nicht zu ermangeln, bäckt die Hausmutter eine eigene Art von Kuchen, "die Brautflötschen" genannt, und fêtirt mit denselben ihre Gäste. Haben die Werber einen Korb erhalten, so heißt es: "der Bräutigam hat den Schlegel bekommen." Vor der Hochzeit gehen einerseits Bräutigam und Brautführer, andererseits Braut und Brautmutter von Haus zu Haus die Verwandten und Bekannten einzuladen. Das ist zugleich eine Sammlung zu Gunsten des neu zu gründenden Hausstandes; denn man gibt ihnen Geld und Leinwand zu Windeln etc. zum Geschenk. Auch beim Feste selbst erscheint man nicht mit leerer Hand, sondern beladen mit einem ledernen Sack voll Getreide, den man dem Bräutigam präsentiert. Die Braut macht für diesen Tag gewählte Toilette. Schon seit der Verlobung bezeichneten weiße Schuhbänder ihre baldige Standesveränderung; heute trägt sie dazu einen Rock von blauem Tuch und weißwollene Strümpfe. Die Flechten sind statt der roten mit vergoldeten Bändern geziert und hängen frei den Nacken hinunter. Dem Ringwechsel folgt ein feierliches Amt in der Kirche, wobei man mehrmals zum Opfer geht. Nach Beendigung desselben begibt man sich ins Wirtshaus - aber nur die Männer. Die Weiber bleiben wie versunken im Gebete in der Kirche zurück und scheinen die mehrmalige Aufforderung zum Aufbruch beharrlich zu überhören, erst wenn sich die Männer noch einmal zurückbemühen, folgen ihnen die Andächtigen zum Hochzeitsschmaus und Tanz. Wenn man die Habseligkeiten der Braut in ihre Heimat führt, so stellt man das Brautbett in aller Glorie hoch aufgerichtet oben darauf, zur Schau der ganzen gaffenden Dorfbewohnerschaft.

Ebenso interessant und originell als die Hochzeiten sind auch die übrigen Sitten, Gebräuche und Meinungen der Teferegger. Überhaupt ähneln sie mehr den benachbarten Kärntnern, als den Tirolern, und sind wahrscheinlich wie diese von wendischer Abstammung. Bewundernswert ist die Geduld, mit der sie Elend und Hungersnot, die dieses Tal oft heimsuchen, ertragen. Ihre Armut ist übrigens nicht allein die Folge der ungünstigen Bodenverhältnisse, sondern datiert sich aus frühester Zeit, wo die Bewohner der Iseltäler Leibeigene der Grafen von Görz waren. Sie erhielten endlich eine Freiheit, fast schlimmer als die vorige Knechtschaft; denn die Zehenten, die sie den Grundherren geben mußten, waren so groß, daß sie selbst in den reichsten Erntejahren zu darben genötigt waren. Dazu kamen noch verschiedene Kämpfe und Fehden der Fürsten und Herren, die diese an der Grenze von Görz, Salzburg und Tirol liegenden Gegenden am härtesten fühlten. Diese Verhältnisse haben sich nun allerdings längst gebessert, und die Teppichhandelschaft brachte einiges Geld in das Tefereggental, daneben wuchs aber auch die Bevölkerung, und da das Hausiergeschäft in neuerer Zeit wieder bedeutend in Abnahme begriffen ist, so dürften die armen Talbewohner wohl kaum je auf einen grünen Zweig kommen. Sie fühlen das auch; es liegt deshalb in ihrem Charakter eine gewisse Apathie, und es will sich keine rechte Lebensfreude entfalten. Schärfe des Verstandes ist ihnen selten eigen, wohl aber Gutmütigkeit und eine sehr regsame Phantasie, die sich besonders auf religiösem Felde zeigt. Überall findet man Kapellen, Mirakelbilder, seltsame abergläubische Gebräuche, und eine Menge Spuckgeschichten und Märchen leben im Volksmunde, genährt durch die überwältigende Natur, die hier den Menschen so recht seine Ohnmacht fühlen läßt. Man sollte nicht glauben, daß einst die Reformation in dieses weltgeschiedene Tal drang und hier Anhänger fand, die gleich den Zillertalern nach Preußen auswanderten. Jetzt ist dort keine Spur von Aufklärung mehr zu finden! -

   H.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Die Teferegger Teppichhändler, in: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 3. Band, Gera 1871, S. 215 - 218.
Rechtschreibung behutsam neu bearbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht.
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