Winterleben und Winterarbeit.

Vom Winterleben des Alpenbauern haben die wenigsten Städter eine richtige Vorstellung. Gewohnt, denselben nur als Staffage von Wiese und Ackerfeld zu sehen, denkt man sich die Dorfbewohner wie Murmeltiere beschäftigungslos in den verschneiten Gehöften eingeschlossen, weil man eben nicht begreifen kann, was es sonst zu tun geben könne.

Und dies ist auch zum Teil wahr.

Das Sprichwort: "Wenn der Bauer nicht muß, rührt er weder Hand noch Fuß", gilt nicht nur überhaupt vom Älpler, sondern vorzüglich von dessen Tätigkeit im Winter. Das Vieh ist glücklich von der Alpe zurück; - Weizen, Roggen, Gerste und andere Feldfrüchte ruhen sicher in Kornkiste und Keller, Heu und Grummet füllen, festgetreten, in abgesonderten Stücken den "Tennen"; der "Türken" (Mais) überkleidet in goldgelben Reihen die Sonnenseite des Hauses bis unter den Giebel und schließt sich nach unten an das zierlich aufgeschichtete Brennholz, welches das Erdgeschoß des Gehöftes umrahmt und nur die Fensterlücken frei läßt, damit die Bewohner den Abend-Rosenkranz hinausbeten und nebenbei vorüberziehende "Herrenleut'" auslachen können. Trotzdem wäre es irrig, zu glauben, der Bauer liege den lieben langen Tag auf dem Lotterbett und lasse "den Herrgott einen guten Mann sein"; aber im Hinblick auf das "Schinden und Rackern" im "Langes", Sommer und Herbst ist allerdings der Winter seine Ruhezeit.

Verhältnißmäßig am meisten haben noch der Fütterer und der Melker zu tun, vorzüglich wenn beide Verrichtungen in einer Person vereinigt sind. Der muß schon sehr früh, spätestens um halb fünf Uhr, auf den Beinen sein, wenn er bis zum Engelamt (Rorate) mit dem Füttern, Melken und Tränken fertig sein und noch zur Morgensuppe recht kommen will. Es machen diese genannten Arbeiten mehr Mühe und sind nicht so einfach, als man glauben sollte, besonders bei größerem Viehstand, Zuerst muß das Heu und Grummet mit der "Heutrete" vom Stock geschnitten und zu "Ridelen", das sind Wülste, zusammengerichtet werden. Gewöhnlich wird es schon auf einige Tage "vorgetreten" und "aufgeschüttelt", d. i. mit den Händen oder mit der Gabel von Staub und Abfallen gereinigt. Diese Abfälle, Heublumen genannt, werden zusammengekehrt, in Kisten aufbewahrt und, falls man sie braucht, gewaschen und gesotten als Schweine- und Hennenfutter, oder auch für Spänkälber verwendet. Zu dem Zwecke steht der "Hennenhafen" aus Graphit oder Gußeisen beständig am Herdfeuer. - Die obengenannten "Ridelen" werden nun, nachdem man zuerst die Barren ausgeputzt hat, durch die Futterlöcher dem Vieh hinabgeschoppt.

Wahrend die Kühe fressen, holt der Melker den Melkstuhl und melkt das Vieh der Reihe nach. Die Milch kommt dann in's Milchstübele, wird da aufgeseiht und die gefüllten Schüsseln (Brenten) durch sog. "Spänlen" getrennt, übereinander aufgeschichtet. Meist tun dies die Weiberleute, denen auch das Geschäft der Ausbrühung der "Melter" (Melkkübel) zusteht. Dann wird "getränkt" oder "gewässert". Sind viele Kühe, so werden sie zum Brunnen hinausgelassen, sind wenige, oder ist es sehr kalt, so wird das Wasser in sog. "Maltern" (Trögen) in den Stall getragen. Nun hat der Melker berufsmäßig bis zum abendlichen Melken und mittäglichen und abendlichen Tränken nichts mehr zu tun, desgleichen nichts mit der Fütterung und den damit zusammenhängenden Arbeiten.

Gefüttert wird Früh, Mittags und Abends, und zwar besteht die Winterkost aus doppeltem Futter; erstlich aus der Hauptfütterung mit Grummet, das bisweilen mit etwas Heu vermischt wird, und dann aus dem sog. "Trog", einem Mischmasch aus "Grischen" (Roggen-, Weizen- und Maiskleien), "Starzen" (abgerebelte Maiskolben) und "Heublumen". Letzteres, nämlich der "Trog", wird nur Mittags und Abends als Nebenfutter gegeben.

Im Unterinntal wird mit sog. "G'sott" gefüttert, das auf eigene Weise bereitet wird. Heu, Klee und die feinen Teile des Türkenstrohes werden in eigenen, höchst einfach verfertigten "G'sottmaschinen", die viel Ähnlichkeit mit den Tabakmessern haben, fein geschnitten, mit heißem Wasser abgebrüht, mit Salz bestreut und so "zug'futtert". Dieses "G'sottschneiden" nun füllt auch einige Zeit des Vormittags aus. In ärmeren Landesteilen, wie im inntaler Oberland, wo man selten Knechte hält, muß gewöhnlich der junge Sohn des Hauses den "Trog richten", für welche erniedrigende Dienstleistung er vom älteren Bruder mit Gegendiensten belohnt wird, etwa durch einen "Datti" (Schusser) oder durch die Begünstigung, dessen Schlitten benützen zu dürfen.

Andere Arbeiten find das sogen, "Mistschinden", d. i. das Hinausführen des Düngers auf die beschneiten Sommerroggen- und Weizenäcker, wo derselbe in großen Haufen bis zum Frühjahre liegen bleibt. Bei dieser Gelegenheit macht man sich oft das Vergnügen, Raben oder "Zietelen" (Krametsvögel) zu fangen.

Eine schwierigere Arbeit ist das "Knollenziehen", So nennt man die winterliche Herabschaffung des Alpendüngers auf die tiefer liegenden Dungwiesen, seien es nun Bergmähder oder Anger in der Talebene, Nach dem Abzüge von der Alpe, der gewöhnlich um Matheis [Matthäus] (21. September) stattfindet, wird nämlich der Alpendünger um die Sennhütte herum in den Hag, und zwar in die sog, Krippe zusammengeworfen. Dann knetet man ihn in den Trog, das ist, kurz ausgedrückt, eine etwa meterlange und ein Drittel Meter breite und hohe Truhe, schlägt ihn dann heraus und steckt in diese sog. Knollen Stäbe mit gekrümmtem Endteil zum Fassen. So läßt man den Dünger gefrieren und zieht ihn dann im Winter mit Schlitten zu den Dungwiesen herab. Die Arbeit erfordert gewöhnlich Alles in Allem zwei Tage.

Einer oder der andere der Knechte geht wohl auch den Kornsamen aufrühren oder hilft den Weiberleuten "einkenten", den "Höllhafen" *) einschüren oder "Schneiten" machen, wenn er es bei ihnen recht gut haben will. Am liebsten jedoch hilft er ihnen Butter schlägeln, besonders wenn er weiß, daß daraus Schmalz ausgesotten wird. - Während des Aussiedens ist es nämlich ein beliebter Leckerbissen der Bauern, Brotschnitten in's heiße Schmalz einzutunken oder hineinzuwerfen und darin aufsieden zu lassen, die sogen. "Schnitten". Dies raubt ihm jedoch nicht im mindesten den Appetit, und nach elf Uhr, sobald die Eßlöffel klappern, ist er schon wieder ganz bereit und schaut sehnsüchtig nach dem großen Esstische.

*) Hafen zum Wärmen des Wassers neben der "Höll" - enger Raum zwischen Ofen und Wand - in den Ofen eingemauert.

Das Mittagmahl besteht, wenigstens in Tirol, im Winter gewöhnlich aus Erdäpfeln und Wasser- oder Wirlsuppe, einer Art von geriebenem Teig; dann folgt die riesige Muspfanne mit Weizen- oder Türkenbrei.

Der Nachmittag ist gemeiniglich dem Nichtstun gewidmet. Bauer oder Knecht legen sich entweder auf die warme Ofenbank oder geben sich mit den Nachbarsburschen dem edlen Vergnügen des "Nussenauskartens" hin. Hat er Geld, so geht er in's Wirtshaus. Nicht so das Weibervolk; das sitzt emsig hinter dem schnurrenden Spinnrad und spinnt. Den ganzen Winter, besonders aber die trübe Adventszeit hindurch, wird von früh Morgens angefangen, jedenfalls aber Nachmittags bis spät in die Nacht fast nur gesponnen. In dieser Hinsicht genießen die Salurnerinnen (Südtirol) einen guten Ruf. Man sagt von ihnen, sie spinnen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang ein Paar Leintücher; dasselbe gilt von den wackeren Rattenbergerinnen (Unterinntal).

Daneben läuft der gemütliche Heimgarten, bei dem es, besonders in jenen Häusern, wo erwachsene Dirnen und Burschen sind, oft recht lustig hergeht. Die Mannsleute liegen oder kauern auf den Bänken herum und schmauchen ihre Pfeifen, daß der Tabaksqualm wie eine Wolke durch die heiße Stubenluft zieht. Im riesigen grünen Kachelofen ist tüchtig "eingekentet", daß er ordentlich sprüht, und sogar dem siebenzigjährigen "Nönl" (Großvater), der sonst immer zu kalt hat, auf der Ofenbank warm wird.

An manchen Orten, besonders im armen Oberinntale, befindet sich neben dem großen Stubenofen mit seinen Schlaf-, Sitz- und Hängevorrichtungen in der Wand noch eine ausgemauerte Vertiefung mit einem "Feuerhund", das sogen. "Kendelöfele" oder "Kemig" (Kamin). In diese Nische legt man beim Eintritt der Dämmerung "Kienholz", das sind die harzreichsten Stücke vom Föhrenholz (pinus silvestris); das brennt in traulicher Flamme ruhig fort und wirft gerade so viel Helle in die Stube, daß die Spinnerinnen nicht zu hart tun, wenn ihnen der Faden reißt. Oft macht man im "Kendelöfele" auch mit kleingespaltenem Wachholderholz ein Feuer an, das bald lustig knistert und flackert und die Stube mit angenehmem Geruch durchzieht, was bei dem Umstande, daß nie ein Fenster aufgemacht wird, sehr vorteilhaft ist. Befindet sich unter den Heimgartenbuben der Geliebte einer der Spinnerinnen, so muß er dafür sorgen, daß "das Feuer nicht ausgeht".

In dieser Zeit gibt es Abends auch für die Männer eine Arbeit, wenn man dieses in aller Gemütsruhe vorgenommene Geschäft so heißen kann, nämlich das Türkenabmachen oder -abribbeln. Es geschieht auf zweierlei Art. Der Arbeitende sitzt auf einem der niedrigen Schemel und hat ein Stargefäß mit einem darüber genagelten Eisenstab vor sich. An diesem werden die Maiskolben, die in einer "Reiter" daneben stehen, gerieben, daß die losgebrochenen Körner in das Gefäß fallen. Oft benützt man dazu aber auch ein Holzstück von einem halben Meter Länge und einem Dezimeter Breite, das mit vielen eisernen Zähnen versehen ist. Dieses wird in schiefem Winkel in das Stargefäß gestellt, die Kolben an beiden Enden gepackt und so abgerieben. Als besonderes Kunststück gilt es, wenn man mit einem einmaligen Kolbenumdrehen alle Körner herabbringt.

Gewöhnlich ist auch einer der Burschen oder der Knechte mit "Hülsenzupfen" beschäftigt, d. h. er zieht die Hülsen (Flitschen) von den Maiskolben weg und gibt letztere dann einem Zweiten zum "Abribbeln". Man nimmt diese Arbeit auch manchmal unter Tags vor, wenn nämlich schlechtes Wetter ist, so daß man das Haus nicht verlassen kann. Die Flitschen verwendet man zur Füllung der Strohsäcke, die "Starzen" aber,
das sind die abgebeerten Kolben, werden gebrochen und gesotten oder auch roh, wie bereits gesagt, in den "Trog" gegeben, d.h. dem Futter beigemischt.

Eine weitere Beschäftigung der Burschen im abendlichen Heimgarten ist das "Spanschneiden", Es sind Späne aus dem früher genannten harzreichen Kienholz. Man kliebt dieses zu halben Meter langen und drei Zentimeter dicken Stangen, die "Kenteln" heißen und wie Kerzen brennen, oder man spaltet dünnere Späne, die zusammengebunden noch heller brennen und die auch kein Wind auslöscht. Diese "Kenteln" oder "Pucheln" (wohl von Pech abgeleitet) braucht man bei nächtlichen Wanderungen, so beim Gang zur Christmesse oder in's Rorate, bei der Jagd etc. Auch im Haus vertrat, besonders in früherer Zeit, da es mit den Beleuchtungsarten noch schlimm stand, die "Kentel" die Stelle des Lichtes. Man gebrauchte dazu kurze und dünne Späne und ging damit sorglos in Stall und Kammer, so daß man sich gerade wundern muß, daß nicht mehr Brandunglück geschah und noch geschieht.

Man sieht aus alledem, daß die bisher aufgezählten Winterbeschäftigungen nicht gerade geeignet sind, dem Bauern das winterliche Leben zu verbittern. Ja, wenn es mit dem abgetan wäre? - Aber die leidige Holzarbeit, die gibt dem "Schaffer" und dem Knecht zu denken. Der Streuhaufen hinter dem Hofe ist schon arg geschwunden und das Holz muß auch noch vom Berge herunter, um so mehr, als es neulich fest eingeschneit hat. Es heißt also, morgen früh aufstehen, sehr früh, schon bald nach Mitternacht, und mit den Holzschlitten in eisiger Kalte aufwärts wandern.

Gewöhnlich gehen mehrere Nachbarn mitsammen, besonders wenn die Waldteile nicht zu weit auseinander liegen. Anfangs kann man die Schlitten noch ziehen, weiter oben aber, wo der Weg aufhört, müssen sie auf dem Rücken getragen werden. Nach zwei- bis dreistündigem Aufstieg langt man endlich schweißtriefend bei der Lagerstelle der Streu und des Holzes an. Beides liegt nämlich schon vom Sommer oder Herbst her in "Tristen" oder "Legen" aufgeschichtet da. Zur schönen Jahreszeit dieselben herabzuschaffen wäre nicht möglich, man muß deshalb auf den strengen Winter warten, wo die häufigen Schneefälle die Unebenheiten und Klüfte ausgeglichen haben.

Das erste ist nun, daß man die Schneedecke von den Streu und Holzhaufen entfernt, dann wird die Last auf den Schlitten mit Stricken befestigt und an den steilen Rand gezogen. Hierauf stellen sich die Burschen vorn zwischen die Kufen - noch ein tüchtiger Schluck aus der Schnapsflasche - und nun geht die grausige Fahrt los.

Pfeilschnell schießen die beschwerten Schlitten über die abschüssigen Lehnen, Schneestaub umwirbelt wolkengleich die Lenker, die mit zurückgebeugtem Leib, die Füße fest angespreizt, mit Anstrengung aller Kräfte das dahinsausende Gefährt in der Richtung zu halten suchen. Wehe, wenn bei einem "Rieb" (Biegung) der lenkende Fuß versagt oder die Hemmkraft der Sperrketten und Schuhe nicht mehr ausreicht, um die nachdrängende schwere Last zu schwächen, oder wenn gar beim Zusammenmünden zweier "Risen" (Rünste) ein zweiter Schlitten vom danebenliegenden Bezirk dahergesaust kommt. Freilich schallt der laute, langgedehnte Warnungsruf: O - Weg! (aus dem Weg), aber oft kommt er zu spät und zerschmettert liegen Schlitten und Lenker unter den Holztrümmern. Unzählige "Marterln" geben von derartigen Unglücksfällen beim Streu- und Holzziehen Kunde.

Auch von den Lawinen droht Gefahr, besonders von den gefürchteten Windlawinen. Im Paznauntale allein zählt man über hundert solcher Gedenktafeln, welche die Stelle bezeichnen, wo ein junges Blut auf diese Art verunglückte. Ist man zu Hause angelangt, so werden die "Taxen", falls dies nicht schon beim Holzen geschehen, mit dem "Lauber" oder "Zappein" zu Streu "eingehackt", das Holz wird gekloben und um's Haus aufgestößelt. Dieses "in Berg fahren" wiederholt sich, bis Holz und Streu vollständig herbeigeschafft ist.

Eine nicht minder beschwerliche und gefahrvolle Arbeit ist die Herabschaffung des Bauholzes, das sog. "Holzschießen". Die Bäume werden meist schon im Frühjahr der Äste und Rinde entblößt, damit sie während des Sommers und Herbstes gehörig austrocknen können. Im Winter schleppt man dann die glatten Stämme zu den übereisten "Risen", von wo sie schlangengleich zu Tal schießen. - In ähnlicher Weise wie die oben beschriebene Lieferung der Waldstreu und des Bergholzes geht die Herabschaffung des Bergheues vor sich, nur ist diese, wenigstens was den Aufstieg betrifft, noch anstrengender. Die "Heuzieher" müssen oft in anderthalb Meter tiefem Schnee waten, bis sie zu der "Pille" (Heustadel) gelangen. Die Schlitten läßt man gewöhnlich etwas weiter unten an den "Risen" zurück, da es unmöglich wäre, sie über die steilen Lehnen hinaufzutragen. Die Herabschaffung des Heues aus der "Pille" bis zu den Schlitten geschieht, indem man die zusammengebundenen "Heuburden" einfach über die steilen Mähder kollern läßt oder sie auf breite Fichtenäste, sog. "Pflarren" bindet und damit "abfährt". Die Schlitten werden dann damit beladen und wie beim Streu- und Holzziehen in blitzschneller Fahrt zu Tal geleitet.

Es gehört die ganze Ausdauer und stählerne Kraft eines Älplers dazu, um diese harten Arbeiten ohne Schaden für die Gesundheit zu vollbringen. Trotzdem verläßt die gute Stimmung die dabei beteiligten Burschen nicht, und Gelächter und helles Jauchzen durchhallt fortwährend den winterlichen Bergwald.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Das Tiroler Bauernjahr, Jahreszeiten in den Alpen, Innsbruck 1899, S. 174 - 185.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Mag. Renate Erhart, Dezember 2005.
Rechtschreibung behutsam neu bearbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht.
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