Die Talarbeit.

Der Gallitag (16. Oktober) steht nicht als Festtag rot im Kalender, ist aber trotzdem von großer Wichtigkeit für den Gebirgsbauern, denn er bezeichnet ihm den Eintritt des Spätherbstes mit allen daran sich knüpfenden Arbeiten und Verrichtungen. Bei denselben macht sich ein Wendepunkt bemerkbar, indem sich die täglichen Beschäftigungen von jetzt an mehr und mehr auf das Haus beschränken. Auf den Feldern gibt es nicht mehr viel zu tun. Heu und Getreide ruht wohlverwahrt in der Tenne, nur der "Türken" (türkischer Weizen, Mais) steht noch draußen und die Erdäpfel und Rüben sind noch nicht ausgegraben.

Überhaupt hat die Gegend bereits ein ziemlich herbstliches Aussehen.

Zwar scheint die Sonne noch warm genug und der wolkenlos blaue Himmel strahlt in jenem eigentümlich milden Glanze des Nachsommers, der sich so duftig von den Bergspitzen und Höhen abhebt, aber die waldigen Vorberge prangen in bunter Färbung, als hätte der scheidende Sommer sie mit riesigen Abschiedssträußen geschmückt. Früh schon senkt sich der kühle Abend auf die Fluren, und am Morgen glitzert weißer Reif an Gras und Strauch. Eine gewisse sanft elegische Stimmung, eine feiernde Stille ruht über dem Tale, die muntern Zugvögel haben sich schon fortgemacht in fremde, wärmere Himmelsstriche, die Blumen sind verschwunden, nur die Zeitlose bestreut mit ihren zahlreichen lilafarbigen Kelchen die fahlgrün gewordenen Anger, und an den Rainen und Zäunen glüht die purpurrote Traubenfrucht des Berberitzenstrauches. Ebenso einförmig sieht es auf den Feldern aus. Die langgestreckten dürren "Türkenäcker", durch die rauschend der Wind streicht, gewähren keinen erfreulichen Anblick, so wenig als die braunen Erdschollen der eben "gebrachten" (umgeackerten) Getreidefelder. Hie und da wird ein einzelner Arbeiter sichtbar, der bisher halb versteckt zwischen den mannshohen Stengeln den "Viehtürken, d. h. die tauben Schößlinge ausgejätet hat und nun dieselben in einem Karren nach Hause zieht.

Ein lebendigeres Bild bietet der daneben liegende Erdäpfelacker. Acht bis zehn Dirnen kauern in einer Reihe auf dem Boden, angetan mit einem Gewande, das Macbeths Hexen alle Ehre machen würde; nun ja, zum Herumrutschen auf der bloßen Erde sind auch der schlechteste Kittel und zerrissene Schuhe eben gut genug. Die Schürze wird hoch heraufgebunden. Sie hacken mit einem "Kral" die Erde auf und die Schollen auseinander und werfen die zu Tage geförderten Erdäpfel in die vor ihnen liegenden Rückkörbe, und zwar die schönen abgesondert und ebenso die kleinen (Grallen) und faulen. An der Spitze der Arbeiterinnen kniet die "Großdirn", welche "jasen", d. h. den Streifen abstecken muß, den man zu graben hat. Daß in einer Gesellschaft von so vielen Weibsleuten auch die Zungen nicht stille stehen, versteht sich von selbst. Wie beim Brecheln, so wird auch beim Erdäpfelgraben das ganze Dorf bekrittelt, besonders geht es über die Hofmacher los und Jede weiß eine Geschichte zu erzählen, wie sie diesen oder jenen, als er Nachts "fensterln" wollte, habe abschlüpfen lassen, und welche Gasselreime er dabei hergesagt. Von Zeit zu Zeit kommen die Knechte und tragen oder führen die Erdäpfel nach Hause, wo die Bäuerin sogleich eine Schüssel voll der schönsten zum Nachtmahl zurichtet, nebst einer Suppe von frischgedörrten Erbsen, von denen ein Teil noch "auf der Resen" [Refen?] hängt. Überhaupt scheint man im Winter mehr auf das Essen zu halten, denn sobald die Arbeit beim Lichte beginnt, bekommen die "Ehehalten" (Dienstboten) den sog. "Lichtbraten", das heißt ein besseres
Mittagmahl.

An Orten, wo die Ernte früh beendet ist, müssen die Dirnen von Michaeli angefangen um vier Uhr ausstehen und spinnen bis neun Uhr Abends. Die Großdirn steht zuerst auf, weckt die andern und kocht den "Vormiß", d. i. Milchsuppe und ein Milchkoch. Die Knechte strecken sich indessen noch gemütlich in den Federn und wanken erst, wenn die Löffel klappern, schlaftrunken in die Stube. Wo aber die Ernte später stattfindet, tritt dieser Brauch erst um Martini (11. November) in Wirksamkeit.

Die Vorbereitungen für den Winter geben noch, wie wir gleich sehen werden, Manches zu schaffen. Wohl ist der Futtervorrath droben in der Dreschtenne in großen Stücken regelrecht aufgebaut, zu unterst das Heu, darauf das Grummet (zweites Heu) und zu oberst die "Halm" (Stroh) oder bei Platzmangel auch das Heu allein, während der "Halmstock" in die Schupfe hinaus verbannt wird, daneben aber auf der Tennenbühne liegt nicht selten noch eine Schicht Getreidegarben, die vor Allem ausgedroschen werden müssen.

Gewöhnlich hat man auch einige Tage mit Flachsbrecheln zu tun. Das ist eine lustige Arbeit, schauen wir sie an.

Da drüben am Feldweg steigt blauer Rauch auf, Gesang und Helles Gelächter schallt uns entgegen, vermischt mit dem nimmermüden Geplapper breithüftiger Dorfschönen. - Wir sind in die Nähe einer Brechelgrube geraten und da heißt es vorsichtig sein. Denn diese bäuerlichen "Amazonen" verstehen keinen Spaß und haben das Recht, jeden männlichen Vorübergehenden zu "krageln", der sich in ihre Nähe wagt. Die Arbeit wird frühe begonnen. Beim ersten Morgengrauen, wenn noch dichter Nebel die Berge umhüllt und der weiße Reif an Strauch und Gras hängt, fahrt die sog. "Grummelfuhr", d. i. der Wagen mit dem Flachs und den Werkzeugen, begleitet von der ganzen Arbeitergesellschaft, hinaus zur Brechelgrube. Diese ist ein rechteckiger, halb im Boden versteckter gemauerter Ofen, Darin wird von dem mitgebrachten Holz ein tüchtiges Feuer angemacht. Quer über die Brüstung legt man ein paar lange Scheiter, vor denen der "Haardörrer", auch "Schürer" oder "Brater" geheißen, meistens der einzige Mann unter der Schaar Dirnen, seines Amtes waltet. Er nimmt den "Haar" büschelweise vom Wagen, dörrt ihn auf den Hölzern über der Flamme und übergibt ihn dann den Brechlerinnen, die ihn aus dem Rohen herausarbeiten. Die weitere Reinigung besorgen die Schlichterinnen,

Eine solche Brechelgrube bietet ein buntes, bewegtes Bild. Um die rauchende, knisternde Vertiefung gruppieren sich, munter hantierend, die Dirnen, deren Mutwillen durch die Schnapsflasche, welche fleißig die Runde macht, immer mehr angefeuert wird. Daneben prangt der "Brechelbusch", ein Tannenwipfel, gleich einem Christbäumchen, mit Äpfeln und farbigen Bändern geschmückt. Auf diesen haben es die Burschen abgesehen, denn ihn zu rauben gilt als Ehrenaufgabe, vorzüglich für die Liebhaber der Brechlerinnen, die darin einen Beweis der Verläßlichkeit und Treue erblicken. Aber der Preis ist nichts weniger als leicht zu erringen. Gegen alle List ist man längst gewappnet und im Handgemenge mit den derben Dirnen verlor schon Mancher ein Büschel Haare oder einen Zahn. Dennoch unternimmt es ein kecker Bursche gern und naht sich mit dem spöttischen Gruße:

Grüß euch Gott, Brechlerinnen all',
Mit der hölzernen Schnall,
Mit dem hölzernen Schwert,
Ist heuer der Haar besser als ferd? (voriges Jahr).

worauf ihm rasch die Abfertigung wird:

Weiß wie Kreiden,
Lind wie Seiden,
Lang wie a Schiffseil,
Heuer ist uns der Haar gar nit feil.

Neige sich nun das Siegesglück wohin es wolle, stets gibt es ein "Spektakel", Juchzen und Gelächter, das weithin durch die stille Herbstlandschaft schallt. Nicht minder Spaß macht der Schluß des Brechelns, da diejenige Dirne, welche das letzte "Wuzele" Flachs verarbeitet, als "Braut" erklärt und mit dem "Brater" als Bräutigam unter lautem Halloh und scherzhaften Huldigungen heimgeführt wird.

Noch lebendiger gestaltet sich die Szenerie, wenn, wie es häufig der Fall, neben der Brechelgrube eine weite Wiese sich ausdehnt, darauf sich das Vieh zur Ätze befindet. Die flackernden Feuer der Hirtenbuben, die einander lustig zujauchzen und mit großen Peitschen um die Wette knallen, das Gebimmel der Herdenglocken, die ruhig weidenden oder munter sich tummelnden Rinder geben eine reizende Staffage der Gegend, über welcher der warme Sonnenschein und der bläuliche Duft des Herbstes friedlich ausgebreitet liegt.

Nach dem Flachsbrecheln geht es an das Düngerführen und -Ausbreiten, sowie an das Umackern und Anbauen des Winterkorns. - Hier verdient ein Brauch erwähnt zu werden, der, so kindisch er uns scheint, hochmerkwürdig ist, da er in's graueste Altertum zurückreicht, nämlich das sogen. Bärmachen. Man findet ihn im Unterinntal, vorzüglich aber im Zillertal verbreitet. Beim herbstlichen Pflügen hilft man sich nämlich, wie anderswo, gegenseitig nachbarlich aus und kommt zu dem Zwecke Tags vorher zu einem Mahl zusammen, um sich über Zeit, Reihenfolge und Anderes zu verständigen. Wenn nun Tags darauf die Arbeit beginnt, muß der betreffende Teil zusehen, daß er in der anberaumten Zeit mit "Bauen" fertig wird. Bleibt nach Ablauf der Zeit ein Stück unbebaut übrig, so wird dem Betreffenden zum Spott "der Bär gemacht". Das geschieht so: Einer hüllt sich in Lappen und Decken ein, kurz, verkleidet sich so gut es geht als Bär. Andere stellen Schützen, wieder Andere Hunde vor. Nun wird der Bär mit Gejohle über die Anhöhen gejagt, Acker auf, Acker ab, und schließlich "geschossen". Er gibt dieses Ereigniß dadurch zu erkennen, daß er über den Rain hinunterkugelt. Dieses Schauspiel ist besonders an den sonnigen Lehnen (Leiten) des Harderberges üblich, von wo man oft den Lärm weit durch's Tal hört. Deshalb suchen die Leute schon Nachmittags mit der Arbeit fertig zu werden, damit ihnen nicht der "Bär gemacht" wird.

Eine wichtige Herbstarbeit der Knechte ist ferner die Schafschur. Eines Tages kommt nämlich der Schafhirt mit seiner Herde von der Hochalpe. Ein solcher "Schafer" ist eine eigentümliche Gestalt, wetterbraun und zerlumpt, wie es der monatelange Aufenthalt in den höchsten Bergregionen mit sich bringt. Er trägt einen großen Bergstock und eine lange Peitsche (Geisel), und neben ihm läuft sein treues Spitzhündl, das ihm die Schafe zusammenhalten und suchen muß. Die Knechte führen nun die geduldigen Tiere hinaus in den Anger, knebeln sie, legen sie vor sich hin auf eine Bank oder auf das Gras im Schatten eines Baumes und nehmen ihnen mit großen Scheren die Wolle ab. Der "Schafer" macht sich unterdessen das Privatvergnügen, in Feld und Wald herumzustreifen und mit seiner Peitsche aus Leibeskräften zu knallen, denn eine "schellende" Geisel ist der größte Stolz der Hirten. Sind die Schafe geschoren, so werden sie ihm wieder übergeben und er führt sie nochmals in den Wald hinaus, oft auch sogar wieder auf die Hochalpe, wenn das Wetter günstig genug ist.

Während dieser Arbeiten sind die letzten Feldfrüchte, besonders der türkische Weizen, ebenfalls reif geworden und man macht sich daran, den letzteren zu schneiden, die Fruchtkolben abzulösen und das Stroh zu "Schöbern" oder, wie man diese auch beim Türken nennt, zu "Pfaffen" aufzuschichten. Die Türkenernte und das darauffolgende Geschäft des "Ausbratschens" bildet ein wichtiges Ereignis im Bauernleben, besonders in Gegenden, wo viel solcher gebaut wird, wie z. B. im Oberinntal. Gesang und Tanz machen dabei die Arbeit zu einer beliebten Beschäftigung.

Wenn der Türken fort ist, gestaltet sich das Feld noch viel trübseliger. Das einzige Grün, das draußen noch zu sehen ist - denn der Winterroggen ragt erst mit den rosigen Keimspitzen aus der Erde - sind die Blätter der weißen Rüben (Raben), von denen da und dort ein Fleck angebaut ist, und die "Kabisköpfe", die zwischen den Stoppeln liegen, welche beiden Gewächse der Bauer mit dem gemeinsamen Namen "Kraut" bezeichnet. - Auch einzelne gelbe Kürbisse liegen da, die noch nicht als Schweinefutter verwendet wurden, und hie und da eine "Rohnen" (Rothrübe) oder eine Rettigpflanze. An den "Flichtern" (Blättern) flattern zahllose "Pfeifmuatern" (kleine Schmetterlinge) herum, während oben im Blau Züge streifender Wildtauben sichtbar weiden, an denen die Bauernburschen Sonntags ihre Gewandtheit als Schützen versuchen.

Ein ganz anderes Bild entfaltet sich, wenn wir den Blick südlich, jenseits des Brenners, werfen, wo die Edelkastanie reift und die Weinrebe alle Gelände überkleidet. Was wir Eingangs von der Schönheit der herbstlichen Landschaft sagten, gilt hier in erhöhtem Maße. Der Himmel hat ein tieferes Blau, die Luft ist milder und wärmer, die Farben sind gesättigter, und über Allem schwebt jener eigentümliche, nicht zu beschreibende "Duft des Südens". Frucht an Frucht hangt an den schwer beladenen Bäumen und winkt in üppiger Fülle aus den dämmerigen Rebgängen. Überall sind Leute beschäftigt, das köstliche Obst herabzunehmen und seiner Bestimmung zuzuführen. - Seit die Eisenbahn das Land durchzieht, wandert es in ganzen Wagenladungen nach allen Weltgegenden, um auf den Tafeln der Reichen und Vornehmen zu prangen. So werden für die Hoftafel des Kaisers von Österreich alljährlich die berühmten Meraner Äpfel bezogen. Das Obst bringt dem Lande viel Geld ein, ist aber auch daheim sehr teuer geworden. Jene goldene Zeit ist dahin, wo man einen Hut voll Zwetschken um einen Kreuzer kaufte. Was nicht ausgeführt wird, bewahrt man teils frisch auf, so lange es sich eben hält, oder man macht Schnitze daraus und dörrt sie aus eigenen Trockenflecken - Brettchen mit zollhohen Leisten - im Ofen, an der Sonne oder an der Luft, je nachdem es der Fruchtgattung entspricht.

Etwas später als das Obst werden die Nüsse reif. Anfangs September spielt das Laub der Nußbäume schon stark in's Gelbliche, und damit beginnt auch das sog, "Nussendreschen". Man breitet zu dem Zwecke Leintücher unter dem Baume aus, dann werden die Früchte mit langen Latten herabgeschlagen (gedroschen), zusammengerecht und nach Hause zum "Ausbratschen" geschafft. Dieses geschieht teils mit den Händen, indem man die "Bratschen", d. i. die grünbraune Hülle, einfach auseinanderbricht, teils mit einem alten groben Messer. Die Hände werden davon natürlich scheußlich schwarz und sind kaum mehr zu reinigen. Das "Nussendreschen" ist eine Hauptfreude für die Jugend, die dabei sehnsüchtig wartend herumsteht. -

Bald nachdem die Nüsse in der Bodenkammer aufgespeichert worden, kommt die Reihe an die Kastanien oder "Kästen". Man unterscheidet Früh- und Spätkästen. - Die Ernte der ersteren fällt Anfangs Oktober, die der andern vierzehn Tage später. An vielen Orten, z. B. bei Schlanders, gibt es davon ganze Wälder, sog. "Ehgarten". Auch die Kastanien werden "gedroschen", d. h. man schlägt sie mit langen Stangen vom Baume herunter oder man schüttelt die Äste, daß die gebeutelten stacheligen Köpfe herabfallen. Um zu den höheren Partien zu gelangen, legt man Leitern an. Das pumst und plumst auf die ausgebreiteten Leintücher, daß es eine helle Freude ist. Ich möchte nicht gern unter einen solchen Hagel kommen. Dann recht man sie zusammen und bringt sie in Reutern und Körben oder "Bennwagen" nach Hause. Dort werden sie vorerst auf den Tennenboden geschüttet. Hierauf beginnt das "Ausklocken", d. h, die Befreiung der glänzend braunen Früchte von den sie umhüllenden grünen Schalen, den sog, "Igeln", so benannt von den spitzen Stacheln, mit denen die Hülse gleich dem Körper eines Igels bespickt ist. Ein Igel, enthält gewöhnlich zwei oder mehr Kastanien, Die Schalen sind zum Teil schon durch das Herabfallen, besonders aus höheren Lagen, aufgebrochen, und zwar sind das die besten. Zum Ausklocken der anderen bedient man sich der "Kästenklocker", einfacher hölzerner Hämmerchen. Bei jenen Kastanien, die man zu Hause behält, tut man es nur nach dem jeweiligen Bedarf, die übrigen werden in der Dachkammer oder im Stadel samt den Schalen "eingelegt" d. h. ausgebreitet. Sie bilden bis tief in den Winter, gebraten und später gesotten mit Milch, die bäuerliche Speise.

Die Lebensfrage für die Bauern Südtirols ist der Wein, daher vereinigt sich ihre Hauptrücksicht auf die Gewinnung desselben.

Mathies (21. September)
Macht die Weiner süß,

heißt ein altes Bauernsprichwort. Die warmen Herbsttage haben die Trauben gereift, so daß zu Ende September oder Anfangs Oktober die allgemeine Weinlese oder, wie sie hierzulande heißt, "das Wimmen" beginnen kann, das dann durch den ganzen Monat sich hinzieht. Es bietet an sich sehr wenig Anziehendes. Kein Böller knallt, kein Jubelgesang der Winzer durchtönt die lauschigen Rebgänge und verleiht der Gewinnung der edelsten Frucht eine poetische Weihe. - Mit größtem Gleichmut werden die Trauben durch die Winzer und Winzerinnen von den "Pataunen" *) geschnitten, und wenn Hermann v. Gilm in seinem herrlichen Liede "Die kranken Trauben" singt:

*) Rebgänge, italienisch puntone.

. . . Sonst, welch' ein Leben hat begonnen
Die traubenreiche Etsch entlang,
Wenn neuer Wein floß in die Tonnen
Und neue Lust in den Gesang!
Kein Gruß, kein Kuß blieb unerwidert,
Denn neuer Wein gibt neuen Mut,
Und himmelan flog neubefiedert
Der dunkelgrüne Schützenhut . . . .

so ist das mehr poetisch als wahr. Um so größeren Reiz gewährt die Staffage der Weinberge dem Auge. Die zahlreichen Arbeiter, die an den Pataunen herumhantieren, die blanken angejochten Rinder vor dem bottichbeschwerten Wagen, der träge davor lehnende Knecht in seiner malerischen Meraner Tracht beleben in reger Abwechslung das Gemälde. Auch der "Saltner", der gewiß jedem Besucher Südtirols durch seine abenteuerliche Tracht in Erinnerung geblieben, bildet, wenn er bald da, bald dort auftaucht, eine ganz ursprüngliche und wirksame Staffage. *) Seiner Obsorge ist das Wetzen der krummen Winzermesser, der sog. "Reber", anvertraut. Die Arbeiter haben für dieselben ein eigenes Futteral in der Hose. Mit diesen Messern schneiden sie die Trauben ab und lassen sie in die mit der linken Hand gehaltenen "Wimmschüsseln" fallen. Letztere sind hölzerne Becken mit unten angebrachtem Griff. Ist eine solche Schüssel gefüllt, so wird sie in eine der herumstehenden Butten ("Zummen") geleert.

*) Ausführlicheres über den Saltner findet der Leser in meinen "Tiroler Volkstypen". Wien. Gerold. 1877. S. 125 ff.

Diese werden, wenn sie voll sind, von eigenen "Zummentragern" auf dem Rücken zu den Bottichen getragen, die gewöhnlich auf der Straße draußen auf Wagen stehen und daselbst entleert. In der Hand haben die Träger einen oben eingekerbten Stock, mit dem sie unter Pfeifen während ihres Rückweges auf dem Rand der leeren Butten einen Marsch streichen und so ihre Ankunft melden. Die vollen Bottiche werden dann in wagenschuppenähnliche Baulichkeiten, die sog, "Ansetz" gefahren und dort abgeladen. Dort wird das "Praschlet", d. i. das ganze Gemisch von Saft, Stengeln und Hülsen, mit Stämpfeln gestoßen und in große Fässer ("Ständer") zur Gährung gegeben. In drei bis vier Wochen hat der Wein die erste Gährung durchgemacht, klärt sich und wird als "neuer Wein" in Fässer abgezogen. Dieser ist bereits trinkbar und wird besonders beim "Torkelen" viel genossen.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Das Tiroler Bauernjahr, Jahreszeiten in den Alpen, Innsbruck 1899, S. 123 - 136.
Rechtschreibung behutsam neu bearbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht.
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