Die häuslichen Nothelfer der Bauern.

Wenn der Bauer vom Himmel Glück und Gedeihen für sich und sein Hauswesen erstehen will, so macht er es wie die Herrenleute mit ihren irdischen Instanzen. Wie diese nicht gleich zum Landesvater laufen, sondern sich mit ihren Bitten lieber an die verschiedenen Ressortminister und andere einflussreiche Persönlichkeiten wenden, so wendet sich der Bauer nicht an den "Gottöbersten", der seiner sinnlich naiven Anschauung viel zu fern und unfaßbar erscheint, sondern macht sich lieber an Diejenigen, die dem himmlischen Trone zunächst stehen, vermöge ihrer Stellung in die Sachen ein "Einsehen" haben und wie er meint, eigentlich dazu da sind, um den geplagten Menschenkindern zu helfen.

Das sind die Heiligen.

Die kennt er aus der Tradition und unzähligen Abbildungen, ist mit ihnen "per Du" und hat zu ihnen schon deshalb ein felsenfestes Vertrauen, weil die meisten bei ihren Lebzeiten zu leiden gehabt haben und geschunden worden sind wie er. Daß sie ihm auch helfen wollen und können, dafür bürgen ihm die vielen Votivtafeln, die er allerorts, vorzüglich in den Wallfahrtskirchen aufgehängt findet. Diese zeigen ihm zugleich deutlich im Gemälde, wofür der und der himmlische Patron besonders gut ist. Er respektiert daher auch nur jene, welche für ihn, beziehungsweise für seine Familie, für sein Haus, Vieh und Feld von Nutzen sind. Ihnen weiht er Altäre und Kapellen, zu ihnen wallfahrtet er, und mit ihren Bildnissen schmückt er Haus, Stall und Feldmark. So hat sich denn im Verlaufe der Zeit ein ganzer Zyklus von bäuerlichen Nothelfern herausgebildet, die fast sämtlich der Schar der Märtyrer angehören. Sie fallen so ziemlich mit den Heiligen der sogenannten Bauernfeiertage zusammen, wobei nur zu beachten ist, daß in verschiedenen Gegenden dem einen oder anderen besondere Verehrung gezollt wird. Oberösterreich z. B. hat vorzüglich den heiligen Marcus und Wendelin, Südtirol den heiligen Georg, Martin und Urban, Nordtirol außerdem den Wendelin und die Notburga, Bayern den Leonhard, Stefan und Sebastian.

Man kann ganz leicht Haus-, Vieh-, Feld- und Wetterpatrone unterscheiden. Bleiben wir für heute bei den häuslichen Nothelfern.

Zu diesen gehören vor Allen der heilige Florian und der heilige Johannes. Ersterem ist der Schutz des Hauses gegen Feuersgefahr anvertraut. Wenn man bedenkt, wie leicht so ein bäuerliches Gehöft, besonders wenn es an der Straße liegt, dem Brandunglücke ausgesetzt ist, so begreift man die vielen Bilder des Heiligen, die denselben entweder in der charakteristischen Gestalt mit dem Wasserkübel in der Hand gemalt an der Front des Hauses oder geschnitzt über der Brunnensäule stehend darstellen. Daß hinsichtlich der Abwehr von Feuersgefahr der heilige Florian verläßlicher ist als der liebe Herrgott, bezeugt der Hausspruch in Wenns, der lautet:

Dieses Haus steht in Gotteshand
Und ist dreimal abgebrannt,
Und das vierte Mal ist's wieder aufgebaut
Und jetzt dem heiligen Florian anvertraut 1),

1) Vgl. Haussprüche aus den Alpenländern, gesammelt von Ludwig v. Hörmann. 1893, Leipzig, S. 23 ff.

Freilich stellt der Bauer an diesen himmlischen Feuermann oft ganz eigentümliche Zumutungen, so in einem Hausspruch in Thaur:

Heiliger Florian,
Sei unser Patrian,
Verschon' unsere Häuser,
Schür' andere an.

Gegen das Wasser muß der heilige Johannes von Nepomuk helfen. Man trifft sein Bild überall auf Brücken und Stegen, besonders bei reißenden Gewässern. An seinem Gedenktage wird es mit Blumen geschmückt. Oft ist die Bitte sehr eindringlich und fast vorwurfsvoll. So in Hötting:

O heiliger Johannes,
So nimm Dich doch auch unser an.

Für sein leibliches und seelisches Wohl hat der Bauer eine ganze Reihe himmlischer Doktoren. Auf die Wahl des betreffenden wirkte leichtbegreiflicher Weise das Martyrium des Heiligen in den meisten Fällen bestimmend ein. Der Bauer denkt nämlich ganz logisch, daß derjenige Heilige, der an dem oder dem Glied gemartert worden ist, ein Mitgefühl für den gleichen Schmerz der armen Menschen haben wird, oder daß er ein einschlägiges Wunder, das er zu Lebzeiten an einem Kranken wirkte, in seinem verklärten Zustande um so leichter wiederholen könne. So hilft die heilige Apollonia, der die Zähne ausgerissen wurden, gegen Zahnweh, der heilige Blasius gegen Halsweh. Dieser hatte nämlich nach der Legende ein Kind, das eine Fischgräte geschluckt, vom Erstickungstode gerettet. Seine Verehrung ist besonders in Süddeutschland sehr groß. Viele Wallfahrtsorte sind ihm geweiht. Die Kirche nimmt an seinem Gedenktage (3. Februar) die Funktion des "Einblasigens" vor, welche darin besteht, daß der Priester den am Kommuniongitter Knienden unter Herspruch eines Gebetes zwei gekreuzte Kerzen unter das Kinn hält.

An manchen Orten, so auf dem Blasienberge bei Innsbruck, werden am festlichen Jahrestage des Heiligen nach dem "Einblasigen" eigene Brötchen in Stangenform umsonst an das Volk verteilt zum Schutze gegen Halsweh. Hat einer daran zu leiden, so braucht er einfach ein Stückchen davon abzubeißen und er ist geheilt. Die länglichen Brötchen sind zu dem Zwecke mit fünf, sechs Einkerbungen versehen.

Auch der leidende Fuß und besonders die Knie haben einen verläßlichen Helfer am heiligen Rochus. Nebstdem ist er auch Pestpatron, obwohl diese Schutzobliegenheit in erster Linie dem heiligen Sebastian zufällt.

Dieser Heilige, dessen Popularität schon aus dem häufigen Vorkommen des Taufnamens "Wastl" hervorgeht, hat besonders in Bayern einen ausgebreiteten Kult. Wie beim heiligen Blasius die Kerzen, so werden zum Schutze gegen ansteckende Krankheiten die sogenannten Sebastianpfeile durch Berühren der Stirne verwendet. Schon im Sebastianslied vom Jahre 1707 heißt es:

Die solche Pfeile tragen,
Nicht nach der Peste fragen.

Dieser Brauch muß vorzüglich zu früheren Pestzeiten in großem Schwange gewesen sein. In einer Hausordnung der Jesuiten vom Jahre 1630 werden "vergulde, silberne und zinnene St. Sebastianspfeil" verrechnet. Wenn man am Sebastianstage stickt, so stickt man die Pest ein.

Für eine glückliche Sterbestunde hat sich das Volk die heilige Barbara auserwählt, zu welchem Vertrauensvotum sicher auch ihr standhaft ertragener Martertod beigetragen hat. Deshalb lautet ein weitverbreitetes Gebet zu ihr:

Heilige Barbara,
Du edle Braut,
Seel' und Leib
Ist Dir anvertraut.
Schütze mich in jeder Not,
Bewahre mich vor jähem Tod!

Der Heilige par excellence gegen unvorhergesehenen Tod ist sonst der heilige Christoph, dessen Bild man meist in riesigen Dimensionen an der Außenseite vieler Kirchen und Kapellen, besonders solcher, welche an großen Verkehrswegen liegen, aufgemalt sieht. Seine übermenschliche Gestalt, sein großer roter Bart, die liebliche Legende vom "Christusträger" haben ihn zu einer der populärsten Heiligenfiguren gemacht, an die sich auch sicher mythologische Züge vom deutschen Donnergott Thor (Donar) angelehnt haben. Deshalb wird er auch nebstbei gegen Unwetter und Hagelschlag verehrt.

Eine ganz delikate Stellung der himmlischen Hauspenaten nimmt der heilige Antonius von Padua, nicht zu verwechseln mit dem heiligen Antonius Abt, ein. Nicht nur, daß er dem, der ihn anfleht, verlorene Gegenstände finden hilft, sondern er weiß auch in verschiedenen Herzensangelegenheiten Rat und Hilfe. Deshalb ist er der erklärte Vertraute der heiratsfähigen Jungfrauen und speziell der Verliebten. Gewiß keine Andachtsstätte ist, besonders in der Dämmerstunde, mehr besucht als der "Antoni-Altar". Auch die neuntägige "Antoni-Andacht" erfreut sich vorzüglich von Seite der Jugend beiderlei Geschlechts größter Teilnahme. Es gibt auch darauf bezügliche Gebetlein, von denen eines beginnt:

Heiliger Antonius, ich fleh' Dich an,
Geh', schick' mir an' Mann u. s. w.

In der Meraner Gegend lautet ein scherzhaftes Sprüchlein:

Heiliger Antonius von Padua,
Schick mir a Mannl aus Mantua!

Ja noch mehr. Es werden, von den Verliebten geradezu "schriftliche Eingaben" in Form von beschriebenen Zettelchen gemacht, welche hinter das Bild des Heiligen gesteckt werden und an Deutlichkeit des Hinweises auf den geliebten Gegenstand nichts zu wünschen übrig lassen. Daß hierbei der daneben stehende Opferstock nicht zu kurz kommt, ist selbstverständlich.

Merkwürdig ist, daß die Legende des heiligen Antonius keinen Anknüpfungspunkt für die dem Heiligen zugemutete Vermittlerrolle gibt. Möglich, daß die inbrünstige Liebe, mit der man auf Bildern den Heiligen das ihm erschienene lichtumflossene Jesukindlein umarmen sieht, die Brücke bildet, möglich auch, daß eine Verwechslung mit dem heiligen Antonius Abt den Anlass gab, welcher Heilige bekanntlich von Versuchungen schlimmster Art geplagt wurde. Oder sollte das Volk meinen, daß der Heilige, der sich beim Auffinden verlorener Gegenstände so hilfreich zeigt, sich ebenso zur Auffindung eines passenden Lebensgefährten erweichen lasse?

Aber auch die Verheirateten haben ihre speziellen Helfer im heiligen Josef und in der "Mutter-Anna". Beide sind Beschützer der Ehe, die Letztgenannte insonderheit Vertrauensheilige der weiblichen Hälfte. Es gibt bekanntlich im ehelichen Leben Vorkommnisse, die eine Frau selbst dem Beichtvater nicht gern anvertraut, z. B. wenn der Mann von dem Vorrecht des Hausschlüssels zu ausgedehnten Gebrauch macht, oder wenn er ..... nun die Leser erraten schon, was ich meine - kurz in allen solchen heiklen Familienangelegenheiten wird die heilige "Mutter Anna", welche bekanntlich mit ihrem Gespons Joachim eine Musterehe führte, vertrauungsvoll angerufen. Als einmal eine Bäuerin eine andere vor dem Bilde des heiligen Josef kummervoll beten sah, fragte sie teilnehmend, was sie denn auf dem Herzen habe. "Zum heiligen Josef bitt' i", antwortete diese, "mein Mann schlagt mich immer". "O, Du Patsch", brummte die Erste, "da mußt Du zur heiligen Anna geh'n, die Manderleut' helfen alle z'samm".

Die Taufnamen Josef und Anna dürften wohl die weitverbreitetsten sein, wenigstens in den Alpenländern, ja man kann sicher annehmen, daß mindestens ein Drittel der Leute "Seppl" oder "Nannl" heißt.

Noch eine häusliche Schutzpatronin kommt hier in Betracht, welche wegen ihrer originellen und rätselhaften Erscheinung Gelehrten und Laien schon viel Kopfzerbrechen gemacht hat. Es ist dies die heilige Kummernuß [Kummernuss]. Sie wird als eine ans Kreuz geschlagene Jungfrau dargestellt, deren Gesicht ein großer Vollbart umrahmt. Auf dem Haupte trägt sie eine goldene Königskrone. Auch das lange faltige Gewand ist in der Mitte durch einen goldenen Gürtel zusammengehalten. Den einen Fuß bekleidet ein goldener Schuh, der andere Schuh liegt auf einem darunter stehenden Tischchen, vor dem ein spielendes Geigerlein kniet, dessen Augen stehend zur Jungfrau emporschauen. Obwohl sie keine kirchlich anerkannte Heilige ist, wird sie doch vom Volke als solche verehrt und in verschiedenen Nöten und "Kümmernissen" angerufen. Man trifft ihr Bild in vielen Kirchen und Kapellen, wo Liebende ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Da sie auch häusliches Glück und Kindersegen verleiht, so hängt es auch häufig im Schlafzimmer bäuerlicher Eheleute über den Betten. Überdies wird sie gegen das Ausfallen der Haare angerufen. Mädchen weihen ihr deshalb gern die Zöpfe und hängen dieselben als Opfer am Querholz des Kreuzes auf.

Das sind die vornehmsten häuslichen Nothelfer des Bauern; nun zu den Schutzpatronen für Vieh und Alm, Feld und Wiesen.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Das Tiroler Bauernjahr, Jahreszeiten in den Alpen, Innsbruck 1899, S. 193 - 201.
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