Alter Bergbau - Salzburg


Nora Watteck

Wird ein Bergwerk aufgelassen, so ziehen die Knappen fort. Die Namen der Stollen geraten in Vergessenheit, ihre Eingänge (Mundlöcher) stürzen ein, und die Unterkünfte verfallen. Über so ein Gebiet kreisen dann nur noch ein paar Sagen, die sich hauptsächlich in der Beschreibung des übermäßigen Reichtums des Bergwerkbesitzers ergehen oder vom Übermut der Knappen berichten, die mit silbernen Kugeln kegeln usw. und dadurch den Bergsegen zum Erliegen bringen.

Es ist sehr gefährlich, alte Stollen zu begehen, da oft die geringste Erschütterung genügt, um lockeres Gestein vom First (der Decke) zu lösen, das auf den Eindringling herabfällt. So angenehm spannend auch diese Gefahr ist - eine große Steinplatte, die einem aufs Kreuz fällt und einen in den nassen Lehm der Sohle (Boden) drückt, kann letal sein, wenn nicht Weggefährten helfend eingreifen, wie ich es aus eigener Erfahrung am Radhausberg kennenlernte. Die Karbidlampe erleuchtet immer nur ein kurzes Stück des engen Stollenganges. Vorne und rückwärts liegt alles in schwärzester Finsternis. Auch herrscht hier völliges Schweigen. Ein Verirren in dem Gewirr der alten Gänge und das Verlöschen der Leuchte bedeuten meist das Ende. Auch die senkrecht abfallenden Gesenke (Schächte), deren Holzverschalung längst vermoderte, sind tödliche Fallen. Aber alle Gefahr und Düsternis macht insgesamt den unbeschreiblichen Reiz so einer Begehung aus.

Die Arbeit der Knappen war in früherer Zeit noch viel schwerer als in der Jetztzeit, da ihnen nur Hammer und Schrämmeisen zur Verfügung standen. Auch war sie sehr gesundheitsschädlich, denn die ölgenährten Lampen verbrauchten allzuviel von dem wenigen Sauerstoff und verrauchten und verqualmten die engen Stollen. Bis zum 16. Jahrhundert, als man schon die Sprengkraft des Pulvers kannte, stand aber meist dennoch die seit vorgeschichtlicher Zeit übliche Methode des »Feuersetzens« in Gebrauch, um Gestein herauszubrechen. Da wurden am Ende des Stollens (vor Ort) Holzscheiter entzündet, dadurch erhitzte sich das Gestein. In hölzernen Rinnen – denn Schläuche kannte man noch nicht - wurde dann kaltes Wasser darauf geleitet. Dabei sprengte der große Temperaturunterschied Teile des erhitzten Gesteins ab, so daß man dann mit Brechstangen die entstandenen Spalten und Risse erweitern konnte. Vielfach konnte man erst nach dem ersten Schneefall das so gewonnene Aushubmaterial ins Tal zu den Poch- und Schmelzwerken bringen. Dazu wurden die Erzbrocken in lederne Säcke gefüllt, mehrere aneinandergereiht und in sogenannten »Sackzügen« auf steilen Schneeflächen in sausender, sehr gefährlicher Fahrt von einem Arbeiter ins Tal gefahren. Hier halfen wasserkraftbetriebene Hämmer, das Gestein zu zerpochen. Wasser schied dann in langen Gerinnen die schwereren Metallteile vom steinernen Geschiebe. Nun erst konnte mit dem Schmelzen begonnen werden. Diese Anlagen lagen immer in leichter erreichbarem Gebiet, um sie mit der notwendigen großen Holzmenge beliefern zu können. Im Sonnblick- und Goldzechkopfgebiet lagen die Schurfstellen oft in so steil und hoch gelegenen Orten, daß man dort, um die Knappen mit dem Notwendigsten zu versorgen, keine Saumpferde mehr einsetzen konnte, sondern für dieses extrem unzugängliche Gelände Ziegenböcke als Tragtiere verwendete. Sie hießen die »Saumböcke«. Diese berggewöhnten Tiere brauchen auf solch schmalen Kletterpfaden nicht nur weniger Platz, sondern sie sind auch viel trittsicherer.

Ein Abbau war in diesem hochgelegenen Goldgewinnungsgebiet höchstens vier Monate lang möglich. Dazu kamen oft jahrzehntelang dauernde Klimaverschlechterungen, in denen Vereisungen zeitweise den Betrieb verhinderten. So geschah es auch einmal im Spätsommer, daß ein 48 Stunden lang dauernder Schneefall im Sonnblickgebiet ein »Knappenhaus« vollkommen einschneite. Der Abstieg zum Tal wurde dadurch unmöglich, ebenso die Versorgung der oben Eingeschneiten. Die Lebensmittelvorräte verringerten sich täglich. Nagender Hunger brachte die Eingeschlossenen auf den Gedanken, den leibigsten unter ihnen - es war der Schmied - zu verzehren. Dieser ahnte die Gefahr und arbeitete sich heimlich durch den Kamin aufs Dach hinauf, von wo es ihm unter unsagbaren Mühen gelang, sich durch die Schneemassen bis ins Tal hinunterzuarbeiten.

Als der Schneefall aufgehört hatte, gelang es auch den anderen, vom Dach bis nach Kolm-Saigurn hinunterzugelangen. Als Dank stifteten sie Schneestangen in der Rauriser Kirche. Ihre Höhe zeigt jene des damals gefallenen Schnees.

Im westlichen Sonnblickgebiet fand ich im Jahre 1935 innerhalb der kaum noch erkennbaren Einfassungsmauern solch einer Knappenstube, auf dem Gelände, wo die Killnprein abgebaut hatten, eine halbe alte Ofenkachel. Sie war graphitiert und zeigte einen Hirsch, das hierzulande am häufigsten wiederkehrende Motiv, das schon Ende des 16. Jahrhunderts in Verwendung kam und sich durch mitunter angebrachte Jahreszahlen bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts verfolgen läßt. Auch sah ich in diesem Jahre noch das »Johann-Christof-Haus« auf der Nordseite des Radhausberges ober Böckstein. Das uralte, mächtige Gebäude wurde einige Jahre später durch eine Lawine zerstört. Die rauchgeschwärzten Gewölbe im Inneren waren von fast erdrückender Schwere und Düsternis, denn in den dicken Mauern waren nur wenige und sehr kleine Fensteröffnungen angebracht worden, um die Räume vor Schneestürmen und Wärmeverlust zu bewahren. Der aus Steinen gesetzte, ungeheuer große Herd bot wohl vielen Knappen die Möglichkeit, sich ihr Essen selbst zu bereiten. Die Wuchtigkeit und herbe Strenge dieser Knappenunterkunft, in der sich nicht ein liebliches oder niedliches Detail fand, ist mit Worten nicht wiederzugeben. Bedauerlicherweise hat sich kein Foto von ihrem Inneren erhalten; von ihrem Äußeren nur eines von der schmalen Nordseite. Die sich weiter oben hinaufziehenden, ganz kleinen einkammerigen Steinhütten, die zwar schon längst ihre Dächer eingebüßt hatten, wurden ebenfalls von einer (oder derselben) Lawine weggerissen. Tagsüber dienten sie bei Schlechtwetter als Kurzaufenthalt für jene, die Aushub wegzuschaffen hatten. Ihre letzte Kargheit in vegetationsloser Höhe erinnert an die verfallenen Behausungen in den Anden, die auch Beispiel für die äußerste Grenze menschenmöglichen Vordringens in oberste Höhenlagen sind. Auf dem Kamm des Brennkogels in 3018 m Höhe findet man die Reste der höchstgelegenen Knappenstube.

Das Ende des Edelmetallabbaues in den Tauern kam, wie schon oft beschrieben wurde, nicht nur durch eine gewisse Erschöpfung der oberflächennahen Lagerstätten, sondern hauptsächlich durch das von den spanischen Konquistadoren schiffladungsweise nach Europa gebrachte Gold, das durch Beraubung der dortigen Völker keine Abbau-, sondern nur Transportkosten verursachte.

Aber wer Sinn für die düstere Schönheit jener alten Stollengebiete hat, wird dieses Gelände nie mehr vergessen. Besonders dann, wenn sich sein Gesamteindruck mit persönlichem Erleben verbindet, wenn er etwa gesehen hat, wie das dunkle Grau der Gesteinsblöcke, die sich über die Stolleneingänge geschoben haben, in der Dämmerung noch dräuender und feindseliger wirkt. Als letztes Lebewesen auf Stein kann sich hier nur noch eine gelbe Flechte (Lichengeografica) halten. In tieferen Lagen findet man dann in der Nähe dieser ehemaligen Mundlöcher, denen eiskalte Luft entströmt, den kleinwüchsigen Eisenhut (Aconitum napellus) und Farne. Nach uralten astrologischen Regeln werden Bergwerke, Ruinen, Gefängnisse, das Alter, die Kälte, Erstarrung und die Vergangenheit dem Planeten Saturn als sein Bereich zugeschrieben. Saturn ist der alte Chronos, die Zeit, die ihre Kinder, die Stunden, verschlingt. Zwängt man sich in so einen eingestürzten Stollen eingangs hinein, so hört man manchmal einen Tropfen zu Boden fallen, wo er dann versickert - letzte Folge eines von Menschen geschaffenen Werkes. Genauso anonym wie dieser Tropfen bleiben für alle Zukunft alle jene, die hier werkten und restlos in Vergessenheit gerieten. Kaum anderswo ist die Vergänglichkeit so augenscheinlich.

Quelle: Nora Watteck, Alter Bergbau, in: Nora Watteck, Geschichten aus dem Land Salzburg, Salzburg 1983. S. 26 - 31.