Oberbergrat Albert zu Clausthal (1787 bis 1846), der Erfinder des Drahtseiles


Von C. Matschoß, 1908

Das Drahtseil nimmt im Rahmen unsrer heutigen Technik eine hochbedeutsame Stelle ein. Man mag an die großen Förderseile der Bergwerke, an die Seile unsrer Seilbahnen oder an die Seiltransmissionen denken, überall tritt es deutlich zutage, wie wichtig gerade diese Erfindung für die technische Entwicklung geworden ist. Professor Hoppe in Clausthal hat sich das Verdienst erworben, die Geschichte des Drahtseiles sicher zu stellen und dafür zu sorgen, dass der verdienstvolle Erfinder nicht ganz vergessen wird *).

*) s. Hoppe: Beiträge zur Geschichte der Erfindungen, 4. Lieferung, Das Drahtseil. Essen 1907, G. D. Baedeker. Die für sich bestellende Lieferung kann durch jede Buchhandlung bezogen werden; Preis 1 M. Außerdem hat Prof. Hoppe noch persönliche Mitteilungen für die obigen Ausführungen zur Verfügung gestellt.

Hiernach ist ein Drahtseil in unserm heutigen Sinne 1834 zuerst auf der Grube Caroline bei Clausthal benutzt worden. Allerdings ist in alten Bergmannsbüchern mehrfach von einem „eysern seil“ die Rede; sieht man aber näher zu, so hat man es mit einer Gliederkette zu tun. Selbst bei einer Bezeichnung „Drahtseil“ handelt es sich vor 1834 noch keineswegs um ein aus einzelnen Drähten zusammengeflochtenes Seil, vielmehr sind darunter Seile aus parallel laufenden Drähten zu verstehen, wie man sie wohl bei Brücken schon vorher verwandt hatte, oder Ketten, deren einzelne Glieder aus Drahtbündeln bestanden. Eine Stelle bei Vitruv, die dem entgegenzustehen scheint, weist Hoppe, der es sich nicht hat verdrießen lassen, 37 verschiedene Vitruv-Ausgaben einzusehen, als höchst wahrscheinlich falsche Übersetzung nach. Denn nur in einer deutschen Übersetzung wird von einem weichen Kupferdrahttau gesprochen, während in allen andern Ausgaben von Ketten die Rede ist. Nur Leonardo da Vinci, dieses Genie auf allen Gebieten, scheint auch schon ein Drahtseil gekannt zu haben. In Dr. Th. Becks Beiträgen zur Geschichte des Maschinenbaues finden wir auf S. 339 ein Paternosterwerk, bei dem in Fig. 463 zwei verschiedene Ausführungen abgebildet sind. Die eine Figur stellt eine Gliederkette dar, die andre ein Seil, wie sich aus der bei Beck weggelassenen, im Original aber vorhandenen Schraffur deutlich ergibt. Auch die Beschreibung lässt kaum einen Zweifel darüber, dass Leonardo hier ein Drahtseil aus ausgeglühtem Eisen oder Kupfer gemeint hat. Natürlich kann diese einmalige Erwähnung bei einer ganz untergeordneten technischen Vorrichtung die Albertsche Erfindung des heutigen Drahtseiles nicht beeinträchtigen.

Das Drahtseil, dessen Erfindung wir hier zu betrachten haben, ist, wie so viele andre große Ingenieurarbeiten, aus den Bedürfnissen des Bergbaues hervorgegangen. Erst als man mit allen bekannten Mitteln der Technik nicht mehr auskam, entstand das Drahtseil. An der Stätte des besonders technisch hoch entwickelten Harzer Bergbaues, dessen Anlagen so berühmt waren, dass sogar ein James Watt sie besuchte, um hier Neues zu lernen, ist das Drahtseil durch Albert geschaffen worden.

Wilhelm August Julius Albert

Wilhelm August Julius Albert, geboren am 24. Januar 1787 zu Hannover, erhielt dort eine gute Erziehung. Schon frühzeitig zeigte er großes musikalisches Talent, so dass ihn die Eltern zum Musiker bestimmten. Er zog es aber vor, in Göttingen Jura zu studieren und sich von 1806 an im Harz dem Bergfach zu widmen. Seine große Arbeitskraft und hohe Begabung wurde bald bekannt. Er stieg von Stufe zu Stufe und erhielt 1836, als der Berghauptmann von Reden gestorben war, die oberste Leitung des Harzer Bergbaues. Vom Jahr 1824 an begann er sich besonders mit der Förderung aus tiefen Schächten zu beschäftigen. Von den 35 Hauptschächten des Oberharzer Silbergruben-Bergbaues waren damals nur zwei mit Hanfseilen, die übrigen mit verjüngten Eisenseilen versehen. Das waren Ketten aus Eisendraht, deren Glieder mit der Tiefe schwächer wurden; es sind dies die Vorläufer der heutigen verjüngten Drahtseile. Kettenbrüche kamen sehr häufig vor. Aus Tiefen von etwa 400 m konnte man auf diesem Wege kaum noch größere Lasten fördern. Schon dann wog die Kette über 3000 Pfund, d. h. 5 mal so viel wie die damals übliche Nutzlast. Auch Spiralkörbe zum Seilausgleich für Teufen von über 500 m ließen sich nicht vorteilhaft verwenden. Man ging deshalb mehr und mehr dazu über, die Hauptschächte zu verschalen und Hanfseile zu verwenden. Albert ließ es sich nun angelegen sein, die teuren Hanfseile durch eiserne Ketten mit Gewichtausgleich zu ersetzen. Er richtete 1829 auf dem Elisabethschacht bei Clausthal die Förderung mit einer Kette ohne Ende ein, um so das große Seilübergewicht auszugleichen. Ausgedehnte Versuche damit zeigten aber, dass auch so die Aufgabe nicht endgültig zu lösen war. Bei den damals üblichen schrägen Schächten und den sehr unvollkommenen Fördereinrichtungen traten Stöße und plötzliche Überanstrengungen so häufig auf, dass auch die sorgfältigst hergestellten Ketten sehr bald zerbrachen. Albert kam deshalb 1834 auf den Gedanken, Seile aus geflochtenem Eisendraht herzustellen. Die ersten Albertschen Drahtseile bestanden aus vier dünnen kurzen Strängen, die er selbst in seinem Arbeitzimmer geflochten hatte. Da er feststellte, dass diese kurzen Seilstücke sich auch durch seine kräftigsten Pferde nicht zerreißen ließen, war er überzeugt, auf diesem Weg ein für die bergmännische Förderung brauchbares Kraft Übertragungsmittel gefunden zu haben. Wie schon vorher erwähnt, wurde das erste Betriebsseil für die Grube Caroline bei Clausthal unter Alberts persönlicher Leitung angefertigt. Es bewährte sich so, dass bereits Ende 1836 13 Hauptschächte am Oberharz und einer bei Goslar damit ausgerüstet waren. In diesen beiden Jahren waren Albertsche Treibseile von etwa 24 500 m Gesamtlänge fertiggestellt worden. Ein Teil derselben wurde auf Alberts Veranlassung auch nach dem Ausland, insbesondere nach England, geliefert. Bei den Albert-Seilen werden die Drähte zu den Litzen, die Litzen zu den Seilen in gleicher Richtung geflochten. Später benutzte man auch das sogenannte Kreuzgeflecht, bei dem die Drähte zu den Litzen und die Litzen zu den Seilen in entgegengesetzter Richtung geflochten werden.

Sehr bedeutsam war auch der durch Einführung des Drahtseiles erreichte wirtschaftliche Vorteil. Es kostete damals 1 Lachter (= 2,038 m) fertiges Drahtseil 1,50 M, ein Hanfseil von der gleichen Länge 6 M. Dazu kam noch der naturgemäß schnelle Verschleiß der Hanfseile.

Albert selbst hat nicht den geringsten Gewinn aus dieser Erfindung gezogen; er überließ sie kostenlos der allgemeinen Benutzung. Um so mehr dürften die Ingenieure heute wohl Veranlassung haben, dafür zu sorgen, dass ihm wenigstens die Ehre der Erfindung gelassen und sein Name nicht ganz vergessen wird.

Albert starb 59 Jahre alt am 4. Juli 1846 zu Clausthal.

C. Matschoß.

Quelle: Conrad Matschoß, Oberbergrat Albert zu Clausthal (1787 bis 1846), der Erfinder des Drahtseiles, in: Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure, Band 52, Nr. 22, 30. Mai 1908, S. 885 - 886.
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