824 - Der Kriegsschaden


Sillian und Lienz. Diese beiden ostpustertalischen Bezirke wurden an Illyrien gewiesen, das übrige unter zwei italienische Departements (obere Etsch und Piave) verteilt. 1) So war der Adler des Landes zerpflückt bis zur Unkenntlichkeit. Um Tirol aus der Reihe der politisch-geographischen Individualitäten zu streichen, schien der Korse hinreichend gesorgt zu haben. Wer schon über die bayrische Kreiszersplitterung gescholten, der musste das jetzige Strafurteil doppelt verwünschen. Sein Vaterland in Fetzen zerrissen zu sehen, war jedem schmerzlich; auf welche Seite ihn der Zufall warf, das ließ ihn ziemlich gleichgültig. Als General Raglovich mitten im Geschäfte der Grenzbestimmung eine Pustertalerin fragte, ob ihr denn nicht leid sei, von Bayern getrennt zu werden, soll diese vox populi entgegnet haben: „Wir werden jetzt lyrisch (!) und die Leute sagen, lyrisch oder bayrisch sei alles eine Suppe. 2)

Alle Opfer, die das Jahr neun gefordert, schienen umsonst gebracht zu sein. Es schloss mit dem Bankrott der Landesexistenz und mit einem großen Verlust an Volk und Volksgütern. Dies nachzuweisen ist eigentlich überflüssig. Nur einige Züge seien hervorgehoben. Es hat sich eine Sammlung von Privatbriefen erhalten, worin Leute in verschiedenen Lebensstellungen ihren Angehörigen in Wien einen Neujahrsgruß senden, das erste Zeichen der Erinnerung, das sie nach neunmonatlicher Unterbrechung ihren Lieben, wie sie glauben, zukommen lassen können. Keiner von diesen Briefen hat seine Adresse erreicht, die bayrische Grenzwache hat auf sie als verdächtige Ware Beschlag gelegt. 3) Nicht ohne Teilnahme kann man sie heute lesen. Mancher Korrespondent erzählt eine ganze Geschichte vom Aufstand, soweit sie eben ein Brief fassen kann. Allen ist gemeinsam der herbe Schmerz, der ihnen widerfahren. Da schreibt eine „Tante Ottilie" an ihre Nichte: „O könnte ich dir alles erzählen, was wir bei diesem Kriegstheater ausgehalten haben, ich musste ein Buch schreiben, und dann wäre es nicht hinlänglich, dir alles, was nur unsere arme unglückliche Familie betrifft, zu beschreiben. Wir sind abgebrannt und ausgeraubt. Ich habe meine Gesundheit und alles verloren. Dein Vater kann mit seiner Familie auch nicht mehr gut leben, denn in Brixen hat der Sturm des Krieges besonders arg gewütet. Die Beamten und so natürlich auch dein Vater haben viele Monate keinen Gehalt mehr bekommen. Ein glückliches neues Jahr darf ich dir nicht mehr wünschen, weil ihr schon glücklich genug seid, da ihr österreichisch seid. Glückliche Stadt, glückliche Einwohner!" Als Beispiel einer besonders

1) Die Grenzen am besten bei (Hörmann), Tirol unt. d. bayr. Reg. I, 301.
2) Angeführt bei Damian Erharter a. a. O.
3) Der Innsbrucker Kaufmann Habtmann nahm auf einer Wiener Reise die Briefe mit, die ihm in Reichenhall konfisziert wurden (Januar 1810), So liegen sie heute noch in M. St.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 824

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.