629 - Die Bauern in Innsbruck


Brief erzählt: „Wir wissen hier bestimmt, dass Lefebre am Brenner von den Tirolern eine vollständige Niederlage erlitten hat. Lefebre kam gestern hier an und, all seines Gepäckes beraubt, musste er sich sogleich Hemden machen lassen. Die Tiroler haben sich barbarisch gezeigt, sie haben alle bayrischen Beamten aufgehängt und mehrere tausend Gefangene, welche sie nicht ernähren konnten, totgeschossen." 1) Der Ausdauer der Gebirgsleute wurde das Äußerste zugetraut: „Die Tiroler sollen fest entschlossen sein, die bayrische Herrschaft nicht mehr anzuerkennen; sie sollen den Kaiser Franz ersucht haben, ihnen in seinen Staaten ein neues Vaterland anzuweisen, indem sie bis auf den letzten Mann auswandern wollen." 2)

Um halb 2 Uhr nachts zogen die letzten Bayern zur Stadt Innsbruck hinaus. Eine Stunde, aber auch nicht mehr, herrschte in den Strassen Totenstille. Um 3 Uhr erhob sich Lärm. Der Vorstadtpöbel hatte wahrgenommen, wie die Stadt aller Besatzung entblößt wurde. Sogleich zeigte er sich zu Exzessen bereit, das Getöse erfüllte die Bürgerschaft mit Furcht und Bangigkeit. 3) Von den Bauern auf den benachbarten Höhen, wo sie, um ihre Feuer gelagert, der Nachtruhe sich ergeben hatten, blieb die in Innsbruck vollzogene Veränderung nicht lange unbemerkt. Die ersten erschienen in der vierten Morgenstunde. Vorsichtig, mit gespanntem Gewehre, gingen sie die Strassen ab, um sich von dem Abzug des Feindes zu überzeugen. Auch unter ihnen gab es Elemente, die zunächst an das Beutemachen dachten. Danei hat selbst manche seiner engeren Landsleute mit Brachialgewalt an Raubversuchen gehindert. Anfangs trösteten sich die geängstigten Bürger mit dem Gedanken, es werde wie im Mai auch österreichisches Militär einrücken. Stattdessen ergossen sich immer nur neue Bauernhaufen durch die Triumphpforte. Die Leute begannen zu fragen, wo denn die öffentlichen Kassen seien, damit sie sich für die Löhnung, die sie noch vom ganzen Sommer her gut hätten, bezahlt machen könnten. Auch die Hofburg, gänzlich unbewacht, wurde besucht und in manchen ihrer Räume Schaden angerichtet. 4) Die Geister der Anarchie schienen losgelassen. Und wirklich war die Lage einzigartig. Eine staatliche Autorität gab es nicht mehr. Bayern war abgetan und niemand, auch nicht Österreich, trat an seine Stelle. Diesmal gab es auch keine Intendantschaft mehr. In dieser Unsicherheit richteten sich die Blicke nur auf einen, den Sandwirt. Behaglich hatte er sich der Hauptstadt zu nähern begonnen. Am Schönberg wohnte er noch — es war der hohe Frauentag — dem Gottesdienste bei. Bevor er

Die Bauern 1809 am Innsbrucker Stadtplatz (heute: Altstadt) © Wolfgang Morscher
Die Bauern 1809 am Innsbrucker Stadtplatz (heute: Altstadt)
© Wolfgang Morscher, 28. Oktober 2001

1) Hofrat Girtler an den Herzog Albert von Sachsen-Teschen, Wien 25. August A. F.
2) Ders. an dens. 30. August.
3) Knoflach „floh aus Furcht über das Dach in eine andere Wohnung".
4) Kleine Beschreibung der Schreckensereignisse, Handschr. in J. M. Aufzeich. d. Nannette Mörz in A. G.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 629

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.