450 - Beginn von Hofers Oberkommando


verworrenen Berichten der Zeitgenossen ist zu entnehmen, dass Buol der eigenen Chargen kaum mehr Herr war. 1) Das war nun der Zeitpunkt, in welchem Hofers Stellung von der eines Talkommandanten der Passeirer zu jener eines allgemein anerkannten Volksführers emporwuchs. An Rührigkeit hatte es seit den Wochen der Vorbereitung keiner dem Sandwirt gleichgetan. Vor Buol wie vor Chasteler hatte er im Namen seiner Landsleute das Wort geführt, auf seine Laufzettel hin waren die Landesverteidiger zur Gegend am Brenner gezogen. An wen anders hätte man sich jetzt wenden sollen? Von allen Seiten, so schildert einer aus Hofers nächster Umgebung, kamen angesehene Männer zu ihm, um ihn zu ersuchen, dass er in dieser betrübten Zeit die Verteidigung übernehme, oder um seine Befehle zu empfangen und ihm Rat zu geben; auch Stadtherren kamen in solchen Absichten zu Hofer und sagten, sie wollten lieber ihre Häuser verbrennen als die Bayern einziehen sehen. Es war in Sterzing: „Damals sah es hier aus wie in einem Hauptquartier einer großen Armee. Ordonnanzen wurden empfangen und wieder abgeschickt, Hauptleute kamen und gingen, Spione wurden ausgeschickt und Nachrichten eingezogen." 2) So gewöhnte man sich schnell, im „Vater Hofer" das allgemeine vereinigende und leitende Haupt zu sehen. Dass von dem schnöde davon gegangenen Chasteler nichts Gutes zu erwarten war, stand den Bauern fest. 3) Begreiflich, dass sie auf seine Stafetten ein

1) Buol sagt in seinem Bericht: „23. Mai um 3 Uhr morg. kamen alle Stabsoffiziere mit den Kommandanten und mehreren Hauptleuten zu mir und meldeten, dass der Feind anrücke, und verlangten, eine Kapitulation mit dem Feind zu schließen. Sie stützten sich darauf, dass Chasteler den Vejder zur Abschließung einer Kapitulation zum Feinde geschickt habe, worauf aber der Feind, weil Chasteler geächtet sei, jede Verhandlung abgeschlagen habe. Nun meinten sie, weil Chasteler krank sei und mir den Oberbefehl übergeben habe, so soll ich verhandeln, um den Rest des Korps zu retten. Ich wies diesen Vorschlag sogleich zurück mit dem Bemerken, dass jeder sich auf seinen Posten begeben und ihn aufs äußerste verteidigen soll." Mit dieser Angabe ist zusammenzustellen die unten zu erwähnende Verbrüderung der Offiziere mit den Bauern. Dieselbe erweckt allerdings einigen Verdacht in die Richtigkeit der Buolschen Erzählung. Darin stimmen aber beide Auftritte überein, dass sie die Offiziere gegen den General Stellung nehmen lassen. Wellings Tagebuch, dessen Herausgeber hier nur eine dürftige Inhaltsskizze bietet, scheint über unsere Episode zu schweigen. Nach dem Verzeichnis bei Hormayr II, 161 zählte Welling nicht zu den frondierenden Offizieren.
2) Hochrainer a. a. O. Diese Quelle ist über Hofer um so verlässlicher, als sie denselben sehr kühl beurteilt. Dass ein förmlicher Wahlakt stattgefunden, wird von einigen (z. B. Staffler II, 716) versichert. Flarer, ein Begleiter Hofers, erzählte Jordan (dieser a. a. O.), am 27. (richtiger wohl 28.) hätten Speckbacher und Haspinger beschlossen, Hofer zum Oberkommandanten förmlich auszurufen. Sie hätten dies öffentlich vorgetragen und allgemeine Zustimmung gefunden. Hofer habe zögernd angenommen.
3) Wie die Bauern, so bricht auch Giovanelli (in seinen Aufzeichnungen über 1809, A. G.) über Chasteler den Stab: „Diese planlosen Befehle und Gegenbefehle verraten auffallend eine völlige Verstandesverrückung von selten Chastelers oder einen äußerst bösen Willen."



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 450

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.