396 - Bayerns Proklam, Napoleons Plan


völlig. Nicht von der nördlichen, sondern von der nordöstlichen Seite nahte die Gefahr. 1)

In Bayern nahm man den Verlust Tirols als eine Sache entgegen, die erst durch Siege Napoleons selbst repariert werden könne. Noch als die Franzosen unaufhaltsam im österreichischen Donautal vordrangen, bekannte Montgelas: „Wir werden nicht erwarten können, dass für Tirol Truppen abgegeben werden." Nur zur Aufrechterhaltung der Ruhe in den noch nicht insurgierten Gerichten Vorarlbergs wandte sich der König um militärische Hilfe an Württemberg. 2) Gegen das aufgestandene Tirol hatte man zunächst nur papierne Pfeile. Man hatte wahrgenommen, wie österreichische Flugblätter wirkten, der König ließ dieselbe Waffe erproben. Ein umfangreiches Proklam, angeschwollen zur Stärke eines doppelten Druckbogens, verteidigte alle Maßnahmen der königlichen Regierung mit dem Wortschwall eines weitschweifigen Anwaltes und warnte vor dem Vertrauen auf Österreich. Kaum dürften ihrer viele gewesen sein, welche Zeit fanden, die „Fastenpredigt", wie die Bauern witzelten, zu lesen. 3) Für diese sollte es jedoch bald schlimmer kommen.

Napoleon wollte kein zweites Spanien unmittelbar hinter seinem Rücken dulden. Bevor er es noch zu einer Entscheidungsschlacht gebracht, sollte Tirol wieder unterworfen sein. Seinem Marschall Lefebre, der bereits in Salzburg stand, war diese Aufgabe zugedacht. Zu diesem Zweck sollte er sich zweier bayrischer Divisionen bedienen, jener Deroys und der schon bis Lambach vorgerückten Division Wrede. Die eine (Deroy) erhielt die Bestimmung, bei Kufstein, die andere, am Strubpass ins Land einzubrechen.

Diese Absicht des Feindes blieb den führenden Männern in Nordtirol bis zum letzten Augenblick gänzlich verborgen. Roschmann, welcher

1) E. Johann hat später über Chastelers Entwürfe harte Worte. Auf dessen Bericht vom 5. Mai bemerkt er: „Voll Entwürfe, Märsche und Kontermärsche, überall seine Truppen verteilt, keine Kraft beisammen, die wahre Art Truppen zu ermüden und zugrunde zu richten, ohne imstande zu sein, einem kräftigen Feinde eine Schlappe anzuhängen, voll Zuversicht, keine kalte Überlegung." Dann wieder zum Bericht vom 9. Mai: „Vereinzelung seiner Kräfte, eine Menge Unternehmungen, unsicheren Nachrichten Glauben beimessend, viel guter Wille; aber es zeigte sich später, wozu alle diese Schwindeleien führten."
2) Max Jos. an d. König v. Württ. 2. Mai. M. St.
3) Das Proklam bildet ein Heft in Quart mit 16 Druckseiten; es ist vollständig abgedruckt bei Hormayr II 82 — 102, datiert vom 30. April. Hormayr sagt, die Autorschaft sei dem Legationsrat Jos. v. Hörmann zugeschrieben worden. Er war tatsächlich der Verfasser, wie der königliche Befehl an ihn vom 20. April (M. St.) beweist. Manche Argumente lesen sich doch recht erkünstelt. Zum Beweise, dass Bayern den Namen Tirol (die Anrede wendet sich aber stets an die „Südbaiern") nicht austilgen wollte, wird mit Emphase gefragt: „Erscheint nicht fortwährend unter den Augen der Regierung eine Zeitschrift, die diesen Namen trägt?" (Offenbar Dipaulis Sammler.)



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 396

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.