312 - Kinkels Gefangennahme


Soldaten stellen den Widerstand ein, die meisten ergeben sich an Ort und Stelle. Ein Teil flüchtet sich in den Hofgarten, um jedoch, nach wenigen Augenblicken ereilt und umgangen, dasselbe zu tun. 1) Nur Major Erbach sprengt mit seinen Reitern den Rennplatz hinab und sucht auf der Haller Straße zu entkommen. Auch ihm sollte nicht Rettung werden.

Bis zehn Uhr morgens war das blutige Handwerk vollendet. Die Stadt bot einen seltsamen Anblick. Die Straßen dicht besetzt mit siegestrunkenen Bauern, von denen viele selbstbewusst auf den erbeuteten Remontpferden einhertrabten, das Gesicht schwarz von Pulverrauch, schweißtriefend, meist barhaupt, so dass von den in Schweiß siedenden Haaren Dampf aufstieg, Hals und Brust entblößt, die Adern vom erhitzten Blut hoch angeschwollen. Unter dem nachlässig übergeworfenen Rock flatterten die zerrissenen Hemdärmel, die kurzen Hosen waren meist um das Knie aufgeknöpft, die Bänder gelöst, die Strümpfe in Unordnung von den Waden herabhängend. Betäubender Lärm herrschte überall, er schwoll noch an, sobald wieder ein neuer Haufe bei einer Stadtseite hereinkam. Von den gefangenen Soldaten wurde der größte Teil nach Hötting gebracht und in ummauerten Gärten eingelagert, ein halbes Tausend davon nahmen die gegen Mittag schon heimkehrenden Oberländer mit und quartierten es in Zirl und den benachbarten Dörfern aus. Der gebrochene General hatte sich mit seinem Adjutanten Vincenti und mehreren Offizieren in ein Gemach der Hauptwache zurückgezogen. Da fand ihn Patsch mit seinen Begleitern. Der Aufforderung, die Seitengewehre abzulegen, gehorchten die Herren schweigend und bleichen Gesichtes. Kinkel trat vor und überreichte dem Wiltener Hauptmann seinen Säbel mit den Worten: „Ich gebe mich gefangen." Auf dessen Versicherung, dass Leben und Eigentum respektiert sein soll, erlaubte sich der greise General die Frage, wer denn diese Insurrektion angezettelt habe, so ohne alle Kriegserklärung und ohne Grund mitten im Frieden. Er bekam zur Antwort: „Der bayrische König hat versprochen, Tirol nach seiner alten Verfassung zu regieren und uns ein guter Vater zu sein; er aber hat das Wort nicht gehalten, er hat uns sogar den Namen genommen, deshalb wollen wir uns rächen und unsern angestammten Fürsten wieder haben." Während dieses Gespräches schob sich eine Rotte wilder Gesellen zur Tür herein, riss dem General den Mantel, den anderen Offizieren die Röcke vom Leib, zerschlug die Einrichtungsgegenstände und machte sich daran, die gepackten Koffer zu verschleppen. Aber ein Teil der Bauern, besonnen und rechtlich gesinnt, war empört über ein solches Getriebe und warf die unholden Kerle zum Zimmer hinaus. Die gefangenen Offiziere wurden zum Bärenwirt in Hötting eskortiert, wo der menschlich gesinnte Gastgeb

1) Üb. den dabei tätigen Paul Haider von Griess in Sellrain s. Tir. Stimmen 1874, Nr. 14 und 1892 Nr. 230 ff.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 312

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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