310 - Eindringen der Bauern in die Stadt


Schwere Arbeit hatten die jenseits der Brücke. Zwar machten sie mit Zollers bereits geschwächten Kompagnien bald Kehraus, aber an der Brücke ward ihnen Halt geboten. Dieselbe deckte eine Kanone, an jedem Fenster der Innkaserne stand schussbereite Mannschaft, ebensolche war hinter der Ufermauer gegen die Fleischbank postiert. Deren Geschosse trafen auf die von der Höttingergasse Herabstürmenden und machten so manchen davon kampfunfähig. Gleichzeitig kam von St. Nikolaus eine Kavallerieabteilung mit gezücktem Säbel herangesprengt, vor welcher es nur ein Entweichen in den Straßengraben und die nächsten Häuser gab. Die Dragoner ritten über die Brücke stadtwärts. Durch den Schaden, den sie genommen, klüger gemacht, besetzen die Bauern Dächer und Fenster der Gebäude an der linken Innseite zu einer möglichst kräftigen Beschießung des feindliehen Gegenüber, namentlich der um die Kanone herumstehenden Mannschaft. Auf einmal sehen sie vom Stadtturm die weiße Fahne wehen. Sie wissen, was das bedeutet, ihr Feuer beginnt nachzulassen.

Schon in der ersten Frühstunde, als das Gefecht eröffnet war, hatte der Stadtrat, Erstürmung und Plünderung fürchtend, dem General bittend eine Unterhandlung mit den Bauern nahegelegt. Kinkel hatte sie von der Hand gewiesen. Bei der Nachricht von den schweren Verlusten am Innrain verzweifelte er selbst an der Möglichkeit sich zu halten. Er ließ Dipauli zu sich kommen und erklärte ihm, er könne zwar nicht selbst mit den Insurgenten Besprechungen pflegen, aber überzeugt von der Fruchtlosigkeit des Widerstandes, gebe er dem Magistrat anheim, gegen Gewährung des freien Abzuges für Militär und Beamtenschaft die Tiroler zur Einstellung der Feindseligkeiten zu bewegen. Sogleich beschloss der Stadtrat die Entsendung einer Deputation, in welcher er Dipauli nicht missen wollte. Der Appellalionsrat, von seinem Sohne Josef begleitet, stellte sich zur Verfügung. So begaben sich Bürgermeister Schumacher, der Ratsherr Carnelli, die beiden Dipauli und der noch hierzu erbetene Kapuzinerprovinzial P. Jakob Gepp an die Innbrücke. Einige Schritte hinter ihnen folgte Kinkel selbst bis zum Gasthof Niederkircher (goldner Adler). Die Mission, welcher schon die unzutreffende Annahme zugrunde lag, dass das Paktieren mit einem bestimmten Kommando statthaben könne, fand im nächsten Augenblick ihr Ende. Bis zum Antritt der Deputation war eine gewisse Zeit verflossen. Und das dauerte den Kämpfern jenseits der Brücke zu lange. Diese hatten unterdessen überlegt, wie sie das andere Ufer gewinnen könnten. Da war unter ihnen ein Bursche von seltener Courage und Stärke, der Metzger Klaus von Telfs. Er hatte entdeckt, dass unter der Brücke ein hölzernes Brunnengeleite in die Stadt gehe; dasselbe, vom Brückenboden gedeckt, konnte von den feindlichen Kugeln nicht bestrichen werden. Der Metzger nahm



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 310

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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