224 - Heimlicher Besuch bei Graff


Sein Gesinnungsfreund Baron Reinhart gab ihm bei Zeiten einen Wink, den gefährlichen Boden zu verlassen, bevor ihn die Bayern, welche schon auf seiner Spur waren, fangen konnten. 1) Ebenso glücklich absolvierten die kaiserlichen Offiziere, Hauptmann Bianchi und Major Stephing, ihre versteckte BereisungTirols. 2) Letzterer verkehrte dabei auch mit Baron Graff in Bozen, den er seinen besonders vertrauten Freund nannte. Einen ganzen Tag unterhielten sich die beiden bei verschlossenen Türen in Graffs Haus, das Stephing bei Nacht betrat und bei Nacht verließ. Graff gab zu, dass man „seine Denkweise zweideutig" finden könnte und entschuldigte die Annahme des bayrischen Majorscharakters damit, dass er sonst als Gemeiner in die Miliz hätte eintreten müssen. Um sich als guter Österreicher vor dem befreundeten Besucher zu enthüllen, machte er ihm Mitteilungen über den Handelsvertrag mit Italien und aus seiner Korrespondenz mit Montgelas. Wie kein Engländer, so erzählte Graff, schimpfe der bayrische Premier über Napoleon. Stephing proponierte die Pflege einer geheimen Korrespondenz mittels chemischer Tinte. Graff wollte nicht darauf eingehen. Ich verdenke es ihm nicht, meint der Major, da er selbst seinem einzigen Bruder nicht trauen darf, welcher zwar nicht Vorliebe für die Bayern, aber für die Franzosen hat. Endlich einigten sie sich doch, unter allen möglichen Kautelen, natürlich auch unter fingierten Adressen, weitere Briefe zu wechseln. Man sprach noch von Errichtung eines Freikorps unter dem Namen habsburgische Legion, wofür im rechten Augenblick die Deutschtiroler von Graff, die Welschtiroler vom österreichischen Hauptmann Franz Belluti als der einzigen hierzu tauglichen Persönlichkeit „elektrisiert" werden sollten. 3)

Man erkennt schon aus der Art der unterhaltenen Korrespondenzen und der Tätigkeit der bestellten Agenten, dass ihnen nicht bloß eine platonisch freundschaftliche Erinnerung an das verlorene Erbland zugrunde lag, sondern dass dem Lande eine gewisse Rolle bei einem künftigen Kriege zugedacht war. Der erste, welcher diesen Gedanken fasste, war Philipp Stadion. Die Spuren führen zurück bis ins Jahr 1806. Der Minister erteilt da dem Kaiser den Rat, den Offizieren der vier tirolischen Landmilizregimenter Pensionen zu gewähren. Denn, so führt er aus, die Erhaltung der bisher in einem so hohen Grad vorhandenen anhänglichen Stimmung der Tiroler dürfte nicht zu vernachlässigen sein, da Tirol stets ein wichtiges Grenzland und der vorzüglichste Schauplatz der französisch-bayrischen Offensiv-

1) Jugend-Kriegserinnerungen d. Joh. Türk, herausg. von Ferd. Kuli im Progr. d. 1. Staatsgymnas. in Graz 1901.
2) Über Bianchi s. Rapp, p. 63.
3) Stephings Bericht a. a. O. Auf die Anfrage Haagers, wem die Korrespondenz der beiden vorzulegen sei, entscheidet der Kaiser, sie sei ihm selbst jedes Mal zu unterbreiten. Stephing ist vorläufig die kaiserliche Zufriedenheit auszudrücken.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 224

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.