Kajetan Sweth - Die Geschichte eines Getreuen


Von Fritz Sollereder

Vor vielen Jahren habe ich die Lebensgeschichte des Kajetan Sweth gelesen und wurde von ihr derart beeindruckt, dass ich mir darüber Notizen anfertigte. Durch Zufall fand ich diese Aufzeichnungen wieder, doch leider nicht mehr vollständig. Ich entschloss mich deshalb, der Quelle nachzuspüren, aus der ich damals geschöpft hatte, und fand sie in der Stadtbücherei unter dem Buchtitel: "Anno Neun, Tyrols Heldenkampf von Wladimir Kuck" wieder. Daraus konnte ich nun vieles entnehmen, um das Leben des getreuen Kajetan nacherzählen zu können, wie ich es mir schon lange vorgenommen hatte. Allerdings in stark gekürzter Form unter Beachtung aller historischen Begleitumstände und Begebenheiten, mit denen der Held der Geschichte schicksalhaft verbunden war.

Es war das Jahr 1785, als Kajetan Sweth am 18. August zu Graz geboren wurde. Sein Vater war Stadtphysikus und k. k. Sanitätsrat, seine Mutter Katharina eine geborene v. Mazarella.

In Anbetracht der hohen Stellung seines Vaters wäre anzunehmen, dass der kleine Kajetan schon zu Beginn seines Erdendaseins einen guten Platz in einer prächtigen Wiege vom Schicksal zum Geschenk erhalten hätte. Doch dem war nicht so. Schon am zweiten Tag nach seiner Geburt gab ihn seine leibliche Mutter zu fremden Leuten aufs Land in Pflege. Die stolze, herzlose Frau und Mutter hatte eine heftige Abneigung gegen ihr Neugeborenes, weil es durch einen Kropf entstellt war. Der arme Kajetan hat dadurch schon vom Beginn seines Daseins Mutterliebe nie kennengelernt. Trotzdem ist aus ihm ein aufrechter, gutherziger Mensch geworden, der ob seiner Mannestreue und Tüchtigkeit in seinen späteren Mannesjahren in die Geschichte Tirols eingehen sollte.

Es hat Jahre gedauert, bis Kajetan von seinem Vater ins Elternhaus zurückgeholt wurde, um ihm das Studium von vier Klassen Gymnasium in Graz zu ermöglichen. Er hat seinen Vater nicht enttäuscht und die Studiumszeit, in der auch Latein gelehrt wurde, erfolgreich abgeschlossen. Anschließend kam er zu einem Chirurgen in die Lehre. Leider war dieser Chirurg und Lehrherr ein überaus grober und unzugänglicher Mensch, der ihn schlecht behandelte. Zudem kam, dass der Lehrling Kajetan an den Operationen teilnehmen musste und sich vor all diesen Dingen über alle Maßen ekelte. Ekel und Widerwillen sowie das stete lieblose Verhalten seiner Mutter zuhause trieben ihn dazu, diese Lehrstelle aufzugeben und sein Elternhaus ohne Abschied zu verlassen.

Verbittert verließ er Graz, nicht wissend, was er tun sollte, ohne Ziel und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Er war auf der Landstraße nicht lange allein, als ihn ein Bauer mit seinem Fuhrwerk überholte und mitnahm. Im Laufe der Unterhaltung merkte der Bauer bald, wo den Burschen der Schuh drückte, und machte ihm, da er eine Arbeitskraft benötigte, den Vorschlag, auf seinen Hof zu kommen, um im Sommer auf seiner Alm Schafhirte zu werden. Kajetan war mit diesem Vorschlag gerne einverstanden, denn damit war er vorläufig all seine Sorgen los.

Allzu schnell verging jedoch diese schöne, sorglose Zeit auf der Alm in Gottes freier Natur und er musste hinunter ins Tal, um am Hofe harte Bauernarbeit zu tun. Da er keine Winterkleidung hatte und nur dünnes Zeug am Leibe trug, fror er in der immer kälter werdenden Jahreszeit sehr. Der Bauer war zu geizig, ihn mit warmer Kleidung auszustatten, und nachdem er auch noch von ihm geschlagen wurde, verließ Kajetan den Hof.

Nun stand er wiederum auf der Landstraße, und es schien, als sollte diese in seinem Leben seine zweite Heimat werden. Es kam jedoch anders. In der Ortschaft Peggau sprach er bei einem Nagelschmied vor, und da dieser gerade einen Lehrling benötigte, stellte er Kajetan mit Kost und Logis ein. Sweth hatte damit wieder eine Unterkunft gefunden und außerdem Gelegenheit, einen Beruf zu erlernen. Die Zeit der Lehre war leider nicht von langer Dauer, weil ihn der Altgeselle überaus grob behandelte. Er verabschiedete sich deshalb vom Meister und begab sich wieder auf Suche nach einem anderen Arbeitsplatz. So wechselte Kajetan in weiterer Folge noch mehrmals seine Lehrstellen, doch überall wurde er von den Gesellen geschlagen, in einem Fall sogar schwer misshandelt. Zur damaligen Zeit schien dies geradezu eine Art von Handwerkssitte zu sein, denn die Meister schritten dagegen selten ein.

Kajetan Sweth, Porträt von Georg Köck 1866
Kajetan Sweth
Porträt von Georg Köck, 1866

Das Kriegsjahr 1805 kam ins Land. Kajetan war gerade 20 und militärpflichtig geworden. Um dem zu entgehen, verdingte er sich bei einem Postmeister in Leoben als Stafettenreiter. Als keine Gefahr mehr bestand, zum Militär eingezogen zu werden, gab er diesen Posten auf und trat bei einem Bauern in Waldenbach, nahe der Stadt Leoben, der neben der Bauernschaft auch eine Gastwirtschaft betrieb, als Knecht in dessen Dienste. Eines schönen Tages, als Kajetan gerade in der Gaststube zu tun hatte, traten zwei Herren ein. Wie sich später herausstellte, ein Schuldirektor und ein Geistlicher. Sie bestellten etwas zu trinken und unterhielten sich. Plötzlich begannen sie lateinisch zu sprechen, weil sie vermutlich nicht wollten, dass der anwesende Bauernknecht ihr Gespräch mit anhörte. Kajetan verstand jedoch sehr gut, was sie gesagt harten, und lachte, denn es freute ihn, dass er alles verstehen konnte.

Das Lachen erzürnte den Schulmeister, und er sagte zu Kajetan: „Was gibt es da zu lachen? Weißt du überhaupt, in welcher Sprache wir uns unterhalten haben?" - „Ja, das weiß ich, es war Latein", sagte Kajetan. „Jetzt brauchst du nur noch zu behaupten, dass du auch verstanden hast, wovon wir gesprochen haben", meinte der geistliche Herr, worauf Kajetan den Gästen die vorher in Latein geführte Unterhaltung in deutscher Sprache wiedergab. Das Erstaunen der Herren darüber war groß und sie waren nun begierig zu erfahren, wo der einfache Bauernknecht seine Lateinkenntnisse erworben hatte.

Kajetan erzählte nun alles aus seinem bisherigen, traurigen Leben und seinem Studium in Graz. Die beiden Männer empfanden aufrichtiges Mitleid mit ihm, denn sie kannten Sweths Eltern sowie deren Familienverhältnisse und versprachen, ihm zu helfen. - Zu Beginn des Studienjahres 1806 bis 1807 machten seine Gönner es dann möglich, sein Studium in Marburg fortzusetzen, und sorgten auch für ein Unterkommen in einem Marburger Bürgerhause. Durch Fleiß und Wohlverhalten war er bei seinen Lehrern gut gelitten und bereits nach kurzer Zeit ausersehen, in Warasdin seine Studien beenden zu können, sowie nach Abschluß derselben bei einer kroatischen Bürgerfamilie als Hofmeister eine Anstellung zu erhalten.

Den Studenten Kajetan zog es jedoch nach Salzburg, um dort Philosophie zu studieren. Sein Aufenthalt da war jedoch nicht von langer Dauer, denn das Kriegsjahr 1809 war angebrochen. Schon im Frühling dieses ereignisreichen Jahres besetzten bayerische Truppen das Salzburger Land. Sie waren die Herren dieses Landes geworden. Durch Einquartierungen im Universitätsgebäude erlitten die Vorlesungen Unterbrechungen. Trotzdem war es Kajetan möglich, die vorgeschriebenen Prüfungen mit Erfolg abzuschließen. Dann flüchtete er abseits der Heeresstraße übers Berchtesgadener Land nach Tirol, um nicht Gefahr zu laufen, zum bayrischen Heeresdienst gezwungen zu werden. In Innsbruck begab er sich ins Kapuzinerkloster, um endlich seine Absicht, ins Kloster zu gehen, zu verwirklichen. Der Superior des Klosters riet ihm jedoch, nach Südtirol zu gehen, weil dort noch Aussicht bestünde, einen Platz in einem Kloster zu finden. Aber auch dort fand Kajetan kein Unterkommen.

Inzwischen kam der 12. Juli heran, der Tag des Waffenstillstandes von Znaim, der Napoleon veranlasste, General Lefebvre mit seinen Truppen, dem 7. Armeekorps, von Salzburg nach Tirol marschieren zu lassen. Am 30. Juli besetzten Lefebvres Truppen bereits die Landeshauptstadt Innsbruck. Gleichzeitig wurden auch von Bayern und Italien her starke feindliche Verbände gegen Tirol in Bewegung gesetzt.

Dies war Kajetan nicht unbekannt geblieben und er entschloss sich, unter diesen Umständen in die Steiermark zurückzukehren. Ohne Reisepass schien ihm dies jedoch nicht gut durchführbar. So suchte er nun, wie man ihm geraten hatte, mit Andreas Hofer wegen Ausstellung eines Reisepasses in Verbindung zu kommen. Sweth hatte Glück und traf im Sandwirtshaus Andreas Hofer im Kreise seiner Vertrauten. Er bat ihn nun um einen Reisepass nach der Steiermark. Hofer meinte hiezu, dass ihm ein Pass kaum helfen würde, aus Tirol herauszukommen, denn der Feind sei bereits überall. Er machte ihm dann den Vorschlag, sich den Tirolern anzuschließen und für das Land zu kämpfen. Ohne lange zu überlegen, reichte Sweth dem Oberkommandierenden Hofer die Hand und willigte ein.

Mit Kugelstutzen, Pulver, Blei und Verpflegung versehen wurde er alsogleich der 2. Passeirerkompanie, die vom Hauptmann Ilmer geführt wurde, zugeteilt, mit der er schon am gleichen Tage über den Jaufenpass marschierte.

Bei Thuins oberhalb Sterzing hatten die Bayern mittlerweile Stellung bezogen und schossen mit ihren Kanonen zur Unterstützung ihrer vordringenden Grenadiere auf die Verteidigungsstellung der Passeirer. Dabei erhielt Sweth im Gasteiger Walde seine Feuertaufe. Inzwischen war General Lefebvre bis Mals vorgedrungen. Der Widerstand aber, der den französischen Truppen dort entgegengesetzt wurde, war so nachhaltig, dass trotz Übermacht des so rasch ins Land eingedrungenen Feindes die Tiroler Schützen den Rückzug der Franzosen erzwingen konnten. General Lefebvre wurde bis Innsbruck zurückgedrängt.

Am 13. August kam es dann zur 3. Bergiselschlacht, sie war wohl die ruhmvollste aller Bergiselschlachten. Die 2. Passeirerkompanie kämpfte auch dort wieder mit besonderer Tapferkeit, und Kajetan Sweth wurde von Andreas Hofer wegen seines erwiesenen Mutes und seiner Umsicht im Gefecht zum Oberjäger befördert. Als dann Hofer als Oberkommandierender in der Hofburg residierte, fand Sweth in Hofers Kanzlei als Schreiber Verwendung. Hofer, der ein großes Wohlwollen für ihn hatte, teilte Sweth, der sich auch dort volle Zufriedenheit seines Kriegsherrn erwarb, nach einiger Zeit dem Grenzkommando Achental zu, wo er als Adjutant für Verpflegungs- und Munitionsnachschub zu sorgen hatte. Für seine Dienstleistung in der 2. Passeirerkompanie erhielt Sweth folgendes Zeugnis von Hofer:

„Kajetan Sweth hat als Oberjäger im tirolischen Defensivwesen bei der 2. Passeirerkompanie beste Dienste geleistet und großen, patriotischen Eifer gezeigt."

Am 14. Oktober, an dem der unglückselige Friedensvertrag in Wien geschlossen worden war, drangen die Franzosen und Bayern wieder ins Land. Das Grenzkommando Achental musste aufgelöst werden. Hauptmann Pletzacher, der Talkommandant, und Sweth begaben sich schnellstens nach Innsbruck, um mit Hofer wieder Verbindung aufzunehmen. Sie trafen ihn nicht mehr an, weil er das Hauptquartier bereits nach Schönberg und gleich darauf nach Sterzing verlegt hatte.

Am 1. November kam es dann zum letzten großen Kampf. Durch die Ratlosigkeit, die bei den Verteidigern herrschte, verloren sie die 4. und letzte Bergiselschlacht, bei der Sweth verletzt wurde. Ein Bauerndoktor machte ihn jedoch in kurzer Zeit marschfähig, so dass er am 8. November im Hauptquartier zu Sterzing seinen Dienst als Schreiber wiederaufnehmen konnte. Schon am gleichen Tage erließ Hofer einen Aufruf, die Kampfhandlungen einzustellen, da der Friede abgeschlossen sei. Sweth schrieb diesen Aufruf mit einem gewissen Purtscher und drei Gerichtsschreibern von Sterzing. Peter Haspinger und sein Anhang waren jedoch dagegen, denn sie wollten es nicht wahrhaben, dass alle Blutopfer und Mühen umsonst gewesen sein sollten. Dabei geriet Hofer in immer größer werdenden Zwiespalt mit sich selbst. Seine Wankelmütigkeit in den letzten Tagen des Freiheitskampfes hat später ihm und vielen anderen Schützen das Leben gekostet.

Frühmorgens des nächsten Tages, auf dem Wege zum Jaufenpass, bei der Abzweigung zum Penser Joch, trennte sich Hofer von Sweth mit den Worten: "Lieber Kajetan, ich war mit dir recht zufrieden und wenn ich dir einmal helfen kann, dann sprich bei mir zu. Denke stets an Gott, so wirst du glücklich sein. Behüt dich Gott, Döninger!" Diese Namensbezeichnung gebrauchte Hofer Sweth gegenüber von nun an des öfteren. Es war ein Wort der Vertraulichkeit, denn Hofer war Sweth sehr zugetan. So ging nun jeder seines Weges. Sweth wanderte über das tiefverschneite Penser Joch nach Pens und Hofer zu seiner Familie nach St. Leonhard.

Als Sweth nach Pens kam, besuchte er dort einen Bauern, den er beim Grenzkommando im Achental kennengelernt hatte. Bei ihm blieb er einige Tage, doch litt es ihn dort nicht lange, denn die Kunde drang ins Sarntal, dass Feindseligkeiten im Raume Meran wieder aufgenommen worden seien. So machte sich Kajetan unverzüglich auf den Weg und traf am 16. November wieder mit Hofer in Saltaus zusammen. Trotz der Kämpfe gegen den französischen General Ruska in Meran verblieb Sweth bei Hofer im Sandwirtshaus. Als am nächsten Tage bekannt wurde, dass feindliche Verbände vom Jaufenpass herunterkommen, flüchtete Hofer mit seiner Familie und Sweth nach einer Hütte oberhalb der Kellerlahn. Noch am selben Abend bedrohte ihn ein Bauer mit seinem Stutzen und zwang ihn, seinen Aufruf an das Volk zur Weiterführung des Freiheitskampfes zu erlassen. Sweth musste diesen im Auftrage Hofers verfassen und dem rabiaten Bauern aushändigen. Und so nahm das weitere Schicksal seinen Lauf.

Als es zu dunkeln begann, konnte Hofer von der Kellerlahnhütte zwischen St. Leonhard und seinem Hause viele Wachtfeuer sehen. Sweth erklärte sich zur Erkundigung bereit, holte sich ein Pferd, umwickelte dessen Hufe mit alten Tuchstreifen, um das Geräusch des Hufschlages zu dämpfen, und ritt nach St. Leonhard hinunter. In der Nähe des Sandwirtshauses aber war der Patrouillenritt zu Ende. Ein französischer Wachtposten rief: "Qui vive? (Wer da?)". Als Kajetan trotz dieses Rufes nicht anhielt, schoss der Posten, verfehlte ihn aber in der Dunkelheit. Sweth erwiderte das Feuer aus seiner Pistole, riss das Pferd herum und entfernte sich im Galopp in Richtung St. Martin. Er wusste nun, dass die Franzosen ganz St. Leonhard besetzt hielten, und alle Wachtfeuer, die Hofer von der Kellerlahnhütte gesehen hatte, französische waren. Nach Meldung seiner Beobachtungen war Hofer sehr niedergeschlagen und sagte zu Kajetan wörtlich: "Siehst du, von meinen Freunden kommt keiner mehr. Du allein bist es, der mich nicht verlässt." Sweth reichte Hofer die Hand und erwiderte: "Wir wollen uns nie verlassen, schenken Sie mir auch weiterhin die Freundschaft, ich bin bereit, mit Ihnen alles zu tragen."

Die Verhältnisse wurden immer unsicherer, so dass der Sandwirt mit Frau, Kindern und Kajetan die Kellerlahnhütte verlassen musste. Sie flüchteten nach Brantach hinauf und fanden dort Unterkunft beim Pfandlerbauern. Aber auch hier war ihr Aufenthalt nur vorübergehend und Hofer war gezwungen, seine Frau und die Kinder ins hinterste Passeier zum Schneeberg zu schicken. Er aber stieg mit Sweth und dem alten Pfandlerbauern durch tiefen Schnee hinauf zur Pfandler-Mähderhütte. Der Zustand dieser Hütte, die aus zwei Räumen bestand, war sehr schlecht, und sie fanden darin nur Streu zum Schlafen vor, überraschend aber auch 12 Stutzen, von denen fünf geladen waren. Um sich vor der ärgsten Kälte zu schützen, verstopften sie alle undichten Stellen in den Wänden mit Moos, das sie aus dem tiefen Schnee ausgegraben mussten.

Hofer, Sweth, der Pfandlerbauer und zwei weitere Männer, die für Nachschub sorgen sollten, wohnten nun in dieser eiskalten Unterkunft. Schmalhans war gar oft Küchenmeister und das Nachtmahl bestand nicht selten nur aus einem Stück Graukäse und vielleicht einem Schluck Schnaps zum Aufwärmen.

Von der Pfandlerhütte aus war es möglich, die im Tale patrouillierenden Soldaten zu beobachten. Die Männer befürchteten, dem Feind zu nahe zu sein und gesehen zu werden. So vergingen vier lange Wochen in Hunger, Sorgen und Kälte, als sich eines Tages überraschenderweise Hofers Frau mit ihren vier Töchtern und dem Sohn Hansl in der Hütte einfanden. Ihr Aufenthalt auf dem Schneeberg war wegen Verrates unhaltbar geworden. Dass sie der Gefangenschaft entrinnen konnten, verdankten sie lediglich einer Lawine, die den Franzosen den Weg zu ihrem Schlupfwinkel versperrte. Hofers Frau mit Sohn verblieben in der Pfandler-Mähderhütte, währenddem die Töchter zu einem bekannten Bauern gebracht wurden, bei dem sie sicher aufgehoben waren.

Die Lage Hofers und seiner Getreuen wurde immer bedenklicher und seine Kampfgenossen rieten dringend, nach Österreich zu fliehen, zumal auf seinen Kopf 1500 Gulden von den Franzosen ausgesetzt waren. Hofer blieb jedoch, er konnte sich nicht entscheiden, aus dem Lande zu gehen.

Eines Tages stieg der Bauer Raffl, der wegen seines schlechten Lebenswandels ständig in Geldverlegenheit war, mit seinem Schlitten auf den Brantacherberg um Heu. Er beobachtete dabei, dass von der Pfandlerhütte Rauch aufstieg. Neugierig geworden, begab er sich dorthin und konnte seine Abneigung gegenüber Hofer und dessen Frau verbergen. Besonders Hofers Frau erschrak heftig, als sie Raffls ansichtig wurde, denn sie kannte den schlechten Charakter dieses Mannes. Trotzdem bat sie ihn inständig, niemandem zu sagen, wer auf der Pfandlerhütte sei. Hofer bot ihm Geld. Raffl weigerte sich jedoch, es anzunehmen, und versprach mit Handschlag, nichts zu verraten. Trotz des Handschlages traute Hofer diesem Versprechen nicht und sah ein, dass es höchste Zeit wurde, den Aufenthaltsort zu wechseln. Der tiefe Schnee aber machte es unmöglich. Hofer forderte Sweth auf, ihn doch zu verlassen, bevor es zu spät sei. Der treue Kajetan aber sagte, dass er ihn nie verlassen werde und alle Leiden und Freuden mit ihm teilen wolle und auch mit ihm zu sterben bereit sei.

Die Gefangennehmung des Sandwirths, Campe Nürnberg
"Die Gefangennehmung des Sandwirths",
Radierung, verlegt bei Fr. Campe, Nürnberg

Das Unheil naht in der Nacht vorn 27. auf den 28. Jänner 1810. Es ist eine bitterkalte Nacht. Die Sterne funkeln vom Himmel, der Mond steht als große, gelbe Scheibe bereits im Westen und beleuchtet die Pfandlerhütte und ihre Umgebung taghell. Sweth schläft unruhig und nun erwacht er. Er schaut auf die Uhr, die die 4. Stunde zeigt. Irgendein Geräusch hat die Nachtstille unterbrochen. Er hört deutlich Schritte und das Knirschen von Schnee. Sich von seinem Strohlager erhebend geht er zur Hüttenwand und schaut durch einen Spalt hinaus. Im Mondlicht kann er den Bauern Raffl erkennen, der sich mit einem französischen Soldaten der Hütte nähert. Der Soldat bleibt nun stehen, Raffl aber geht weiter bis zur Hüttenwand, horcht hinein und hört die Atemzüge Hofers und Frau, die im Stall schlafen. Befriedigt geht Raffl zurück zum Soldaten, bedeutet ihm mit einer Handbewegung, dass Hofer drinnen sei, und entfernt sich daraufhin rasch.

Alsbald haben die Franzosen die Hütte gänzlich umstellt. Ein Unteroffizier gibt den Befehl: "Avances!", die Truppe rückt weiter an. - Hofers Sohn, der Hansl, schläft noch. Sweth weckt ihn und sagt: "Wach auf, die Franzosen sind da, wir müssen hinaus, sonst erschlagen sie uns hier." Schlaftrunken erhebt sich Hofers Sohn, notdürftig bekleidet, nur im Hemd, ohne Strümpfe und Schuhe, nur mit einer Jacke am Leibe, Sweth mit einem Mantel, beide barfuss treten sie vor die Türe. Sweth wird von den Soldaten als Adjutant Hofers sofort erkannt, und hasserfüllt beginnen sie, ihn zu misshandeln. Sie versetzen ihm Kolbenschläge und unzählige Schläge ins Gesicht. Keiner der anwesenden Soldaten getraute sich aber, die Hütte zu betreten, um Hofer herauszuholen. Der aber kommt nun selbst mit seiner Frau heraus und fragt, wer deutsch verstehe. Daraufhin tritt ein französischer Offizier vor und Hofer sagt zu ihm: "Sie sind gekommen, um mich gefangen zu nehmen. Mit mir können Sie machen, was Sie müssen, denn ich bin schuldig geworden. Ich bitte jedoch um Gnade für mein Weib und Kind und diesen jungen Menschen da, diese sind wahrhaft schuldlos." Nach diesen Worten werden Hofers und Sweths Hände auf den Rücken gebunden, um den Hals ein Riemen mit einer Schlaufe und um die Leibesmitte ein Strick gelegt. Als beide gefesselt sind, fallen die Soldaten über Hofer her und reißen ihm büschelweise Kopf- und Barthaare aus, nur um ein Andenken an die Gefangennahme des Oberkommandierenden von Tirol zu besitzen. Die Hütte wird mittlerweile von den Soldaten sorgfältig durchsucht. 12 Gewehre, Hofers Säbel und seine geringe Barschaft sowie Sweths Pistole werden dabei gefunden und mitgenommen.

Der traurige Zug mit den Gefangenen beginnt nun den Marsch ins Tal und bewegt sich auf dem steilen Weg hinunter in Richtung nach St. Martin. Hofer und Sweth müssen vorne gehen, seine Frau und der Hansl mit einem Strick um den Leib hinterdrein. Sweth und Hofers Sohn sind immer noch barfuss, denn sie erhielten weder die Fußbekleidung noch die sonst fehlenden Kleidungsstücke. Die Bedauernswerten sind noch keine Viertelstunde mit ihren bloßen Füßen den vereisten Steig hinuntergegangen, als die Füße der beiden zu bluten beginnen.

Hofers Gesicht sieht furchtbar aus, Kopf- und Barthaare sind blutverschmiert und durch die herrschende Kälte bereits vereist. Sweth sieht, wie Hofer zum Sternenhimmel aufschaut und die Lippen bewegt. Er weiß, dass er betet.

Um 7 Uhr früh trifft der Gefangenentransport in der Ebene bei St. Martin ein. Bei kurzer Rast erhalten Sweth und der kleine Hansl ihre Schuhe und die noch fehlenden Kleidungsstücke. Die Füße der beiden sehen erbarmungswürdig aus. Sie können kaum noch in ihr Schuhwerk hinein. Hernach wird der Marsch nach Meran fortgesetzt.

Vor den Toren der Stadt wird die Gefangeneneskorte von französischer Militärmusik empfangen. Die Besatzungssoldaten jubeln, die Bürger dieser unterworfenen Stadt aber trauern und ihre Frauen weinen.

Sie können nicht fassen, dass alles zu Ende ist.

Im Laufe des Tages wurden die Gefangenen dem französischen General Huard vorgeführt, der sofort jede weitere Misshandlung der Unglücklichen bei Strafe verbot und für ein Mittagessen sorgte. In der warmen Wachtstube, wo sie vorerst untergebracht worden waren, begannen die Füße von Sweth und Hofers Sohn anzuschwellen und heftig zu schmerzen. Insbesondere Sweths Schmerzen steigerten sich dermaßen, dass ärztliche Behandlung notwendig wurde. Notgedrungen mussten vorerst die Stiefel von den Füßen geschnitten werden, um Behandlungen durchführen zu können. Die Füße wurden verbunden, doch beide konnten weder stehen noch gehen und mussten zwangsläufig getragen werden.

Durch die Fürbitte der Baronin Giovanelli wurden Hofers Gattin und Sohn von General Baraguay-d'Hilliers sofort in Freiheit gesetzt. Eine Nacht noch durfte Hofer als letzte Gnade mit seiner Familie verbringen. Am nächsten Tage frühmorgens schon wurden der Sandwirt und sein Adjutant Sweth unter starker Bewachung nach Mantua gebracht, wo sich schon viele Tiroler und Österreicher befanden. Sweth konnte immer noch nicht gehen und musste getragen werden. Seine Füße waren wie abgestorben. Auch General Baraguay-d'Hilliers sorgte dafür, dass keine weiteren Misshandlungen an den Gefangenen geschehen durften.

Zur Ehre der Bevölkerung von Mantua sei gesagt, dass sie für die gefangenen Tiroler viel Mitleid zeigten. Sie versorgten die Bedauernswerten mit Speise und Trank und gaben ihnen auch Geld, weil sie wussten, wie schlecht die Verpflegung der Gefangenen war. Sie zeigten sich für die Freilassung Hofers und Sweths sogar bereit, 5000 Skudi als Lösegeld zu bezahlen. Leider war dies ein vergebliches Bemühen.

Hofer war mit Sweth in einer Zelle untergebracht worden. Oft trug Hofer seinen Adjutanten, seinen geliebten Döninger, wie ein kleines Kind auf den Armen. Einmal sagte er zu ihm: "Ich mag dich gern, als wärest du mein eigen Kind. Sollte Gott mir noch das weitere Leben schenken und wir die Heimat wiedersehen, dann will ich jedem sagen, was du für mich getan hast."

Die Tage vergingen. - Am 19. Februar [korr. W. M.] kurz nach Mitternacht wurde plötzlich die Kerkertüre geöffnet und Offiziere des Kriegsgerichtes traten ein. Sweth wurde bedeutet, die Zelle mit dem Kerkerwärter zu verlassen. - Unmittelbar stand Sweth nun vor der Tatsache, dass der Abschied von seinem geliebten Kommandanten gekommen war. Diese plötzliche Erkenntnis war unfassbar für ihn, hatte er doch in Hofer einen Mann gefunden, der ihm durch sein Wohlwollen und seine Fürsorge das Elternhaus und die Heimat ersetzt hatte. Sie umarmten sich mehrmals und konnten vor Rührung nicht sprechen. Der Kerkermeister trat dazwischen und brachte Sweth, der noch einen letzten traurigen Blick mit Hofer wechseln konnte, in eine andere Zelle, in der sich zu 20jähriger Haft verurteilte Schwerverbrecher befanden. Im Laufe dieses Tages schickte ihm Hofer noch etwas zu essen, doch war es ihm unmöglich, das Geringste zu sich zu nehmen. Nur ein Gedanke beherrschte ihn, dass Hofer sterben musste und er ihn für immer verliert. So verbrachte er eine schlaflose Nacht, und als es am 20. Februar 1810 langsam tagte, hörte er, dass Hofers Zellentür geöffnet wurde. Er erhob sich mühsam von seinem Lager und humpelte mit seinen Krücken zur Zellentür. Durch das Türgitter sah er einen Geistlichen in Hofers Zelle treten. Sweth wusste, was es zu bedeuten hatte. Hoffnungslosigkeit erfasste sein Herz wie noch nie in seinem Leben. Nachdem der Priester Hofers Zelle verlassen hatte, kam er zu Sweth und überbrachte 6 Skudi und einen Zettel, auf den Hofer geschrieben hatte: "Lieber Kajetan, empfange von mir mein letztes Geld, denn morgen um 11 Uhr muss ich sterben. Leb wohl und bete für mich." Als Sweth den Priester, der Manifesti hieß, fragte, ob er mit Hofer zugleich sterben könnte, meinte darauf dieser: "Heute nicht, aber es wird bald auch bei Ihnen soweit sein."

Nachdem einige Stunden vergangen waren, wurde es draußen in den Gängen und Stiegen der Feste Mantua lebendig. Von seinem Zellenfenster aus beobachtete Kajetan, wie überall Wachen aufgezogen wurden. Als die Turmuhr von Mantua ¾ auf 11 schlug, öffnete sich die Kerkertüre und heraus trat Hofer in Begleitung des Priesters.

In den Händen hält er ein mit Blumen geschmücktes Kreuz. Im Vorbeigehen schaut er noch mit einem traurigen Blick hinüber zum Zellentürfenster, aus der sein Adjutant, der liebe Döninger, mit tränenvollen Augen herausschaut. Sweth kann nicht mehr klar sehen, dann geht Hofer vorüber. Es war der letzte Blick, den Hofer ihm schenkte. Sein ganzes Leben lang sollte ihm diese Stunde in Erinnerung bleiben.

Hofer schreitet ruhig und ergeben durch Gänge und Stiegen der Feste, zwischen Spalieren der Wachmannschaften hindurch, einem unabwendbaren Schicksal entgegen. Er hört, wie ihm seine Schützenbrüder letzte Grüße zurufen und sieht ihre Hände aus den Zellengittern strecken. Er hört auch manche für ihn beten.

Währenddessen sitzt Sweth in seiner Zelle mit tränennassen Augen, er wartet und horcht. Plötzlich dröhnt eine unregelmäßige Salve auf, dann noch ein einzelner Schuss - der Gnadenschuss -, sein lieber Sandwirt ist nicht mehr. Wie mag ihm wohl ums Herz gewesen sein?

Am nächsten Tag kam ein Offizier des Kriegsgerichtes zu Sweth und eröffnete auch ihm sein Todesurteil. Ihm war es recht und schien ihm wie eine Erlösung zu sein. Hatte er doch nur mehr den einen Wunsch, nicht mehr weiterzuleben.

Zwei Tage nach der Erschießung Hofers erschien schon frühmorgens der bekannte Priester Manifesti, um ihn auf seinen bevorstehenden Tod vorzubereiten. Bald darauf aber kam auch der Offizier des Kriegsgerichtes wieder. Sweth war gefasst, den Zeitpunkt seiner Erschießung zu erfahren, hörte jedoch zu seiner Überraschung, dass er begnadigt worden sei.

All diese seelischen und körperlichen Belastungen waren Kajetan, der bestimmt kein Schwächling war, zuviel. Er verfiel in schweres Nervenfieber und musste ins Spital. Erst nach drei Wochen war er soweit, dass er für seine Umgebung gewisse Anteilnahme empfand. Sein Krankenwärter, ein freundlicher Mensch, sprach ihm gut zu und erzählte, dass mittlerweile der Friede geschlossen worden sei und alle Kriegsgefangenen in ihre Heimat zurückkehren dürfen. Der Gedanke, bald wieder in Freiheit zu sein und die Heimat wiederzusehen, stärkten seinen Lebenswillen. Auch der Frühling, der bereits ins Land gezogen war, tat sein übriges. Sweth nahm deshalb auch die schlechte Verpflegung in der Hoffnung hin, dass sie nicht mehr lange dauert. Die Enttäuschung und Verbitterung war jedoch groß, als er am 9. April erfahren musste, dass die gefangenen Tiroler und Österreicher nach der Insel Elba gebracht werden sollen, um dort in die französische Fremdenlegion eingereiht zu werden.

Am 11. April war es soweit. Zu zweien wurden die Gefangenen für den Marsch in die Toskana aneinander gekettet und von berittenen Gendarmen südwärts durch Oberitalien eskortiert. Es war ein trauriger, hoffnungsloser Zug durch das blühende Land. Anstatt in die Freiheit, ging es wieder in neuerliche Gefangenschaft. Als die Eskorte nach vielen Marschtagen eines Abends in der Hafenstadt Piombino eintraf, wurden die Gefangenen sofort wie bei allen vorhergegangenen Übernachtungen eingesperrt. Niemand kümmerte sich um die Verpflegung der müden, erschöpften Männer. Zwei Tage lang erhielten sie weder Wasser noch Brot. Da riet Sweth seinen Leidensgefährten, sie sollen zu schreien beginnen. Es wirkte, denn bald darauf erschien der Platzkommandant, ein Deutsch-Schweizer, der sehr erzürnt war, als er hörte, welche Gemeinheit geschehen war. Er sorgte dafür, dass die Gefangenen ihre Verpflegung erhielten.

Am nächsten Tag begann die Einschiffung nach der Insel Elba. Viel Volk hatte sich am Hafengelände von Piombino eingefunden, um die Tiroler Briganten aus nächster Nähe betrachten zu können. Auf der Insel Elba wurden sie bereits vom Ortskommandanten erwartet, der sich sofort nach Sweth erkundigte und dessen Vorführung verlangte. Mit zorngerötetem Gesicht brüllte er Sweth entgegen: "Du verfluchter Tiroler, Du Brigant, Du Bestie, Du wirst hier als französischer Legionär ausgebildet und willst Du nicht gehorchen, so wirst Du bald verrecken!" Sweth dachte, als er dies hörte: Wollte Gott, ich wäre in Mantua erschossen worden. - Ein Wiener namens Gutedel, Adjutant des Bajonskommandanten, der die Kompanielisten aufzustellen hatte, ermahnte die Tiroler, den Dienst in der Legion zu leisten, ansonsten sie in große Schwierigkeiten geraten würden. Kajetan und einige seiner Schicksalsgenossen verweigerten trotzdem jede Dienstleistung, weil sie ihrem Kaiser Franz treu bleiben wollten. Dafür erhielten sie 20 Tage Dunkelhaft in einem Keller mit feuchtem Stroh, schlechtem Wasser und verschimmeltem Brot. In diesen langen schweren Tagen mussten sie erkennen, dass jeder Widerstand nutzlos wäre, und so fügten sie sich in ihr Schicksal. Das Los der Tiroler in der Legion war besonders traurig. Die meisten von ihnen sahen ihre geliebte Heimat nie wieder.

Die Offiziere und Unteroffiziere der Fremdenlegion waren größtenteils Franzosen, die strafweise Dienst bei dieser Truppe zu leisten hatten. Sie waren vollkommen verdorbene Charaktere und rücksichtslos nur darauf bedacht, auf Kosten der Gefangenen zu leben. Der Kommandant allein behielt schon 1/3 der Verpflegungsgelder für sich, und die Unteroffiziere kauften nur billige, teilweise schon verdorbene Lebensmittel, um daraus ihren Nutzen zu ziehen. Viele desertierten wegen Hunger und schlechter Behandlung. Auf dieser Insel zu desertieren war jedoch nutzlos, denn die Deserteure wurden immer eingebracht und dann erschossen. Ein hoffnungsloses Leben, und der Tod bedeutete nur eine Erlösung. Offiziere und Unteroffiziere vermieteten die Legionäre an Bauern und das Mietgeld wanderte dann in ihre Taschen. Bauern verleiteten Legionäre zur Desertion, um billige Arbeitskräfte zu bekommen. Waren sie dann nicht zufrieden mit ihnen, wurden sie für 25 Franken Fanggeld an das französische Kommando übergeben.

Nach Ablauf vieler Monate wurde die Legion von Elba auf Korsika verlegt und in den Ortschaften Bastia, Corte, Calvi sowie in der Hafenstadt Sagona im militärischen Übungs- und Arbeitsdienst verwendet. Überall wurden bei ungenügender Verpflegung und unmenschlichen Bedingungen Höchstleistungen gefordert. Schon die geringsten Verstöße gegen Vorschriften wurden mit schwerem Kerker bestraft. Auch die sonst kräftige und widerstandsfähige Natur Kajetans hielt diesen Anforderungen nicht mehr stand. Er erkrankte schwer, Fieberfröste schüttelten ihn, trotzdem sollte er in diesem Zustande allein drei Gehstunden entfernt zu Fuß ein Lazarett erreichen. Er brach am Weg dorthin zusammen. Ein mitleidiger Bauer erbarmte sich seiner, lud ihn auf seinen Karren auf und brachte ihn ins Spital. Dies war aber derart überfüllt, dass Kajetan mit einem anderen Kranken das Bett teilen musste. Als eines Tages ein Soldat an einer ansteckenden Krankheit starb, wurde er kurzerhand in dessen Bett gelegt, ohne dass das Bettzeug gereinigt wurde. Es war zu erwarten, dass der Patient von der Krankheit seines Vorgängers angesteckt werden musste. Monatelang lag Kajetan hoffnungslos danieder, bis er endlich soweit war, das Lazarett verlassen zu können. Er war jedoch derart geschwächt, dass er sich nur auf Krücken fortbewegen konnte, und es dauerte Monate, bis er seine alte Kraft wiedererlangt hatte.

Als eines Tages ein französischer Marschall nach Ajaccio kam und dort anlässlich einer Truppenschau auch das Strafbataillon inspizierte, fiel ihm das erbärmliche Aussehen der Legionäre auf. Er ging der Sache nach und verhörte unter anderem auch einige Deserteure, die einheitlich dieselben Aussagen machten. Die üblen Machenschaften des Bataillonskommandanten wurden dadurch aufgedeckt. Der Offizier, der die Legionäre jahrelang um ihre Verpflegungsanteile betrogen und sie außerdem noch unmenschlich behandelte, wurde endlich zur Rechenschaft gezogen und für seine Untaten zu 10 Jahren Galeerenhaft verurteilt.

Man schrieb schon das Jahr 1813, als Sweths Einheit endlich zurück auf das Festland ins Gebiet der Hafenstadt Livorno verlegt wurde. Zu dieser Zeit kreuzte ein englischer Flottenverband vor Livorno, um anschließend daran ihre Truppen an Land zu setzen. Dabei kam es zu einem größeren Gefecht, bei dem die Legionäre vernichtend geschlagen wurden. Fast 2/3 des Baons fielen, und zahlreiche Legionäre gerieten in englische Gefangenschaft. Sweth hatte nicht das Glück, gefangen zu werden, für ihn hätte es die Freiheit bedeutet.

Er fasste nun den Entschluss zu desertieren, da die Gelegenheit, am Festland zu sein, benützt werden musste. Doch Eile war geboten, denn die schlechte Haltung der Legionäre im Gefecht veranlasste das Militärkommando, diese auf weitere sieben Jahre nach Korsika zu verbannen.

Sweth war sich darüber klar, was dies zu bedeuten hatte. Sieben weitere Jahre in dieser Hölle der Unfreiheit, des Sklavendaseins und der Entbehrungen. Um diesem schrecklichen Schicksal zu entgehen, besprach er sich mit einigen Gleichgesinnten, am nächsten Tage abends die Truppe unerlaubt zu verlassen. Als Sprachenkundiger sollte er die Führung übernehmen. Als er sich zum verabredeten Zeitpunkt mit zwei Legionären am Treffpunkt einfand, musste er zu seinem Schrecken feststellen, dass ein Großteil der Mitverschworenen nicht gekommen war. Ein Tiroler, der nichts vom Fluchtplan wusste, kam gerade noch rechtzeitig genug, um Sweth mitteilen zu können, dass alles verraten sei. - Es war kein Augenblick zu verlieren. - Er entschloss sich deshalb, den Treffpunkt sofort zu verlassen und mit seinen zwei Begleitern die Flucht zu ergreifen. Inzwischen war bereits die Dunkelheit hereingebrochen, und ein stürmischer Wind fauchte von der nahen See herüber, als sie durch einen Wasserkanal, der vom Meer hereinführte, die Gegend ungesehen verlassen konnten. Am Morgen des anderen Tages, als sie mit vielen Mühen den Gipfel des Monte Pellegrino erreicht hatten, schauten sie trotz Hunger und Erschöpfung auf den Hafen von Livorno hinunter, aus dem gerade zu dieser Zeit ein Schiff mit dem 3. Baon der Legionäre in Richtung Korsika dampfte. Sie dankten alle drei dem Herrgott, nicht auf diesem Schiffe zu sein und die Flucht ergriffen zu haben. Aber noch lange nicht war die Gefahr ihrer Entdeckung gebannt. Also auf zum Marsch in Richtung Nord durch die toskanischen Berge. Ihren Durst konnten sie wohl oft an klaren Gebirgsquellen löschen, doch nicht den nagenden Hunger stillen. Durch den Verrat hatten sie ja nicht mehr Zeit gefunden, sich den nötigen Proviant für die Flucht zu besorgen. In den Dörfern sich etwas zu beschaffen, war zu gefährlich, denn der Feind lauerte überall. Es war auch nur der Geistesgegenwart Sweths zu verdanken, dass sie nicht neuerlich in Gefangenschaft gerieten. Als sie nämlich um eine Wegbiegung kamen, standen plötzlich drei Gendarmen vor ihnen. Jetzt half nur noch Schnelligkeit. Sweth zog sein Bajonett, worauf seine Kameraden augenblicklich dasselbe taten, und so konnten sie ihre Gegner kampfunfähig machen. Dem Kommandanten gelang es zwar, in einem unbewachten Augenblick die Flucht zu ergreifen, nicht jedoch den anderen, die am Boden lagen und um ihr Leben baten. Sweths gutes Herz brachte es nicht zustande, ihnen das Leben zu nehmen und ließ sie laufen. Seinen Gefährten war dies nicht recht, und sie machten ihm deshalb die heftigsten Vorwürfe. Nach diesem gefährlichen Zwischenfall setzten sie ihre Flucht fort. Es war gut für die Flüchtlinge, dass der Boden noch gefroren war und sie dadurch keine Fußspuren hinterließen. Als es zu dunkeln begann, kamen sie zu einer einsamen Osteria. Geschwächt vor Hunger und zum Umfallen müde, näherten sie sich dem einfachen Gasthause und konnten zu ihrer Freude feststellen, dass keine Gäste anwesend waren.

Da Sweth fließend italienisch sprach, wurden sie freundlich aufgenommen und bewirtet. Hernach durften sie sich ins Heu legen und endlich einmal nach langer Zeit richtig bis zum Morgen schlafen. Für den ungestörten Schlaf sorgte schon die Patrona, denn Kajetan hatte ihr das ganze Elend seines bisherigen Daseins erzählt. Bevor die flüchtigen Legionäre das gastliche Haus verließen, schenkte ihnen die freundliche, gutherzige Frau sogar noch Hemden und Schuhe. Sweth bedankte sich für alles von ganzem Herzen. - Frisch und ausgeruht setzten sie nun ihren Marsch in die Freiheit fort.

Auf ihrem Wege trafen sie auf einen deutschen Deserteur, der ihnen erzählte, dass sich eine starke österreichische Abteilung der Stadt Imola nähere. Die drei Legionäre wanderten nun frohgemut auf der Landstraße dieser Stadt zu. Sie trafen jedoch auf eine neapolitanische Patrouille, die sie sofort dem Bürgermeister vorführte, der ihnen keineswegs freundlich gesinnt war. Als Sweth ihm seine Bitte um Quartier vorgebracht hatte, ließ er den Kerkermeister rufen und unter Verwünschungen schrie der Podestà: "Für diese maledeiten, deutschen Bestien wird in Frankreich wohl auch noch eine Kugel gegossen sein!" Dieser neapolitanische Franzosenfreund war für Sweth eine erschreckende Überraschung. Nach soviel überstandenen Gefahren und unsagbaren Mühen und Leiden sollte nun alles vergebens gewesen sein? Er machte sich heftige Selbstvorwürfe, die nötige Vorsicht außer acht gelassen zu haben. Auch seine Gefährten waren wütend auf ihn und gaben ihm die Schuld an allem. Letzten Endes verdächtigen sie ihn sogar des Verrats, er habe an ihnen das Fanggeld verdienen wollen.

Der Rest des Tages schien nun dazu ausersehen, in der Zitadelle der Stadt Imola mit Verbrechern und anderem üblen Gesindel in einem Raume gefangen zu bleiben. Nun hatten sie wieder ihre Freiheit verloren. In dieser trostlosen Lage versuchte Kajetan, einen Ausweg zu finden. Er verschaffte sich kurzerhand Papier und Bleistift, schilderte darauf sein und seiner Kameraden Schicksal und adressierte den Brief an einen österreichischen Offizier. Hernach bat er eines der im Saale anwesenden Mädchen, das gerade im Begriffe war, die Zitadelle zu verlassen, diesen Brief einem österreichischen Offizier zu übergeben.

Der Tag ging bereits zur Neige, als Sweth plötzlich aus seinen trüben Gedanken gerissen wurde. Ein immer näherkommender Trommelschlag war zu hören, und anschließend daran ertönten die Klänge eines österreichischen Militärmarsches. Überglücklich nach so vielen Jahren österreichische Militärmusik zu hören, beschlich Kajetan trotzdem angstvolle Zweifel, ob der Brief auch an die richtige Stelle geraten war.

Es war schon spät und bereits dunkel geworden, als plötzlich die Kerkertüre geöffnet wurde und ein Weißrock - so nannte man damals die österreichischen Soldaten wegen ihrer weißen Uniformröcke -im Türrahmen stand. Es war der Feldwebel Klinisch von der Erzherzog-Karl-Infanterie, der im Auftrage des Oberstleutnants Graf Plunkett zur Befreiung der drei Österreicher erschienen war. Jubelnd wurde der Feldwebel von den Flüchtlingen begrüßt, der sich herzlich freute, seinen Landsleuten helfen zu können. Er ließ Wein, Käse und Brot herbeischaffen, dann erklangen die Gläser mit Hochrufen auf den Kaiser, auf Andreas Hofer und auf das Land Tirol.

Am nächsten Tag frühmorgens schon trennte sich Sweth von seinen undankbaren Fluchtgenossen und entschloss sich, als Gemeiner in das Landwehrbaon des Grafen Plunkett einzutreten. Der Hauptmann seiner Kompanie, Graf Stubenberg, entpuppte sich als ein Bekannter seiner Eltern, und er erfuhr durch ihn von ihrem Tode. Es vergingen nun Monate, Kajetan nahm während dieser Zeit an mehreren siegreichen Gefechten des Bajons teil, wurde jedoch wegen seiner Schreibgewandtheit und Sprachkenntnisse in die Brigadekanzlei des Grafen Starhemberg nach Florenz versetzt.

Tirol war inzwischen wieder österreichisch geworden, und im Sommer 1814 erhielt Kajetan endlich den ersten Urlaub in seinem ereignisreichen Leben. Die Sehnsucht nach Heimat und Menschen, mit denen er sich verbunden fühlte, drängte ihn weiter. Sein erstes Reiseziel war das Grab seines Oberkommandierenden Hofer in Mantua. Hernach lenkte er seine Schritte nach St. Leonhard in Passeier und benützte dabei die Wege, die er damals mit Hofer gehen musste. Überall fand Kajetan herzlichste Aufnahme, besonders im Sandwirtshaus. Döningers Ankunft war eine große Freude für die Witwe Hofers, denn sie dachte nicht, ihn jemals wiederzusehen. Er musste ihr alles genau erzählen vom Zeitpunkt des Abschiedes von ihrem Manne in Meran. Besonders aber über die letzten Stunden ihres Gatten in Mantua. Kajetan bestellte der schwergeprüften Frau und den Kindern die letzten Grüße des Dahingegangenen und alles Wissenswerte aus der gemeinsamen Gefangenschaft.

Sweth verbrachte bei Hofers Familie ruhige, glückliche Tage, gedachte dabei mit Wehmut an seinen verehrten Hofer. Dann wanderte er über den Jaufen- und Brennerpass nach Innsbruck. In Rinn besuchte er dann den kühnen Speckbacher, der zuletzt noch im Jahr 1813 als k. k. Major mit den Tiroler Landesschützen die Franzosen aus dem Land vertreiben half. Hernach wandte er sich der Steiermark zu und besuchte seine alte Heimatstadt Graz. Sie war ihm fremd geworden, und so setzte er seine geplante Reise nach Wien fort. Unverhofft traf er dort den ehemaligen Fremdenlegionsoffizier Gutedel, der ihm damals in Elba den Rat gegeben hatte, den vorgeschriebenen Dienst als Legionär zu leisten. Auf Ersuchen stellte Gutedel über das damalige patriotische Verhalten Sweths eine Bestätigung aus. Am 10. Februar 1816 erhielt er auf Verlangen den ehrenvollen Abschied von seinem Regiment, da er eine Zivilanstellung anstrebte. Zu diesem Zwecke setzte er sich mit Josef Gufler, einem Schwager Hofers, der eine bedeutsame Stellung innegehabt haben dürfte, in Verbindung, um eine Audienz bei Erzherzog Johann zu erwirken. Der leutselige Edelmann genehmigte und befürwortete das Ansuchen um eine Staatsanstellung wärmstens. So erhielt Sweth bald darauf in der niederösterreichischen Staatsbuchhaltung als Beamter eine entsprechende Stelle und wurde einige Zeit später nach Innsbruck versetzt.

Bevor Kajetan die Kaiserstadt verließ, verheiratete er sich mit der hübschen Tochter Johanna des Mautamtsgehilfen Liebl, bei dem er während seines Wienaufenthaltes gewohnt hatte. Er hatte eine gute Wahl getroffen, seine Ehe wurde sehr glücklich und mit 13 Kindern gesegnet. Kajetan freute sich, nach Innsbruck zu kommen, war es doch die Hauptstadt des Landes, für das er gekämpft und gelitten, aber auch eine ehrenvolle Zeit seines Lebens verbracht hatte.

Anno 1823 erhielt Kajetan von seinem Kaiser eine Ehrenmedaille und trat 1860 in den wohlverdienten Ruhestand. Am 21. März 1864 schloss der getreue Kampfgefährte Hofers seine Augen für immer. Alle Stände des Landes Tirol erwiesen damals diesem außergewöhnlichen Manne, dem treuesten der Getreuen, die letzte Ehre. Sein Grab befand sich seinerzeit am Städtischen Friedhof. Ein Kreuz aus Marmor schmückte noch vor wenigen Jahren die letzte Ruhestätte unseres Helden Kajetan Sweth. Auf der Grabtafel war zu lesen:

Cajetan Sweth
geb. am 18. August 1785 zu Graz
gest. am 21. März 1864

Der innigste Wunsch Sweths, neben Andreas Hofers Grab seine letzte Ruhestätte zu finden, blieb damals aus einem heute nicht mehr erklärlichen Grunde unerfüllt. Erst anlässlich der 25-Jahr-Feier des Bundes der Schützenkompanien im Jahre 1975 wurden die sterblichen Überreste am Westfriedhof zu Innsbruck exhumiert und von den Schützen am 20. Februar des gleichen Jahres beim feierlichen Gedächtnisgottesdienst in der Hofkirche an der Seite Hofers beigesetzt.



Quelle: Fritz Sollereder, Die Geschichte eines Getreuen, in: Tiroler Heimatblätter, 60. Jahrgang, Heft 1/1985, S. 18 - 28.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.