Die Kämpfe am Bergisel 1809, Teil 2


von Werner Köfler

Die zweite Befreiung
Die Wiederbesetzung Tirols und Chastelers Schwierigkeiten


Bald wurden die wenigen Tage der Waffenruhe durch bedrohliche Nachrichten gestört. Die ungünstige Entwicklung auf dem Hauptkriegsschauplatz wirkte wie ein Sog. Die schweren Niederlagen in Süddeutschland zwangen Erzherzog Karl Ende April zum Rückzug über Böhmen gegen Wien; Erzherzog Johann entschloss sich daraufhin zur Sicherung Innerösterreichs zu einem langsamen Rückzug, um dabei die auf der Marschlinie angelegten Verpflegungsvorräte bergen zu können. Er hatte nach zwei Siegen bei Pordenone und Sacile bereits Piave und Brenta überschritten und stand nach einem glücklichen Gefecht bei Caldiero (25. April) knapp davor, den Feind zur Räumung Veronas zu zwingen. Auf eine Beihilfe durch einen Flankenangriff von Tirol her konnte er zu dieser Zeit nicht mehr hoffen, denn Chasteler war bereits in Eilmärschen nach Nordtirol abgezogen. Dieser sah zu Recht in der vormarschierenden Armee Napoleons eine ernste Gefahr an der Nordgrenze des Landes. Er konnte nur ein relativ schwaches Truppenkontingent unter Leiningen in Südtirol zurücklassen, was ihm von der Südtiroler Bevölkerung als arge Vernachlässigung ihres Gebietes verübelt wurde.

Tatsächlich besetzte in den ersten Maitagen die neu formierte Division Rusca die Stadt Trient. Es handelte sich dabei allerdings nur um einen Aufklärungsvorstoß. Die französischen Truppen verließen auch bereits am 6. Mai wieder die Stadt, um sich der Armee des Vizekönigs Eugène anzuschließen. Dieser Aufklärungsvorstoß konnte von den Tirolern freilich nicht als solcher erkannt werden. Landsturm wurde aufgeboten, und im Verein mit Marchal zog man gegen Trient. Zum ersten mal zeigte es sich, dass eine Zusammenarbeit mit den unorganisierter und sich nicht an strenge Zucht und Ordnung haltenden Haufen des Landsturm! sehr schwierig sein konnte. Es kam zu schweren Missstimmungen zwischen den Bauern und dem General. Andreas Hofer widersetzte sich der Aufforderung Marchals, die Landstürmer nach Hause zu schicken, da keine Gefahr mehr bestünde. Eine Südtiroler Abordnung brachte bei Erzherzog Johann Beschwerde vor gegen die militärische Vernachlässigung des Südtiroler Landesteiles und schlug Leiningen zum Anführer von Welschtirol vor; unter ihm sollte der Sandwirt mit den Seinigen frei operieren können. Erzherzog Johann schrieb daraufhin in vermittelndem Sinne an Hofer, er habe Leiningens wegen an Hormayr geschrieben Dieser war allerdings angesichts der drohenden Feindgefahr bereits im Begriffe, sich an die Schweizer Grenze abzusetzen. Die Geschehnisse der folgenden Tage ermöglichten keine Klärung dieser Frage mehr. Hofer, aber auch Leiningen betrachteten sich jedenfalls in der Folgezeit als Oberanführer des Landvolkes beziehungsweise als Kommandant für Südtirol.

Nun begann die von den Militärs befürchtete feindliche Invasion im Osten Nordtirols. Napoleon war unaufhaltsam im Donautal vorgedrungen. Noch vor der großen Entscheidungsschlacht wollte er die lästige Sache in seinem Rücken bereinigen. Er bestimmte für die neuerliche Besetzung Tirols seinen Marschall Lefebvre, der mit dem VII. Armeekorps seit dem 24. April in Salzburg stand. Davon hatte die 1. bayerische Division Kronprinz den Einfall der Truppen zu decken, die 3. Division hatte über Traunstein und Kufstein vorzumarschieren und die 2. unter General Wrede über Reichenhall durch das Saalachtal über den Pass Strub.

Der österreichische Grenzschutz unter General Fenner und die diesem angeschlossenen tapfer kämpfenden Tiroler Schützenkompanien wurden zurückgedrängt. Auch die verzweifelten Kämpfe des Landsturms unter Wintersteller und Oppacher am Strubpass waren vergebens. Schon wälzten sich die feindlichen Massen gegen die Ebene von Wörgl. Chasteler eilte mit 3000 Mann aus Innsbruck herbei, um den Gegner möglichst weit im Osten des Landes zu stellen. Er erlitt am 13. Mai gegen die große Übermacht eine schwere Niederlage. Seine Erwartungen, die er in den Landsturm setzte, erfüllten sich leider nicht. Er musste feststellen, „dass sich statt Tausenden nur Hunderte einfanden".

Chasteler wich nach dieser Niederlage gegen Innsbruck zurück. Der Weg dorthin gestaltete sich für ihn fast zu einem Spießrutenlaufen. Die Nachricht vom verlorenen Gefecht bei Wörgl hatte in den Dörfern östlich von Innsbruck Tausende von Menschen alarmiert. Allein in Volders rotteten sich 8000 Landstürmer zusammen. Vergebens versuchte Chasteler den zum Teil alkoholisierten Landsturm zur Verteidigung zu organisieren. Es war bereits zu Tätlichkeiten gegen den Kommandierenden gekommen, als er sich verbittert in Begleitung einer Innsbrucker Studentenkompanie nach Steinach am Brenner zurückzog.
Auf tirolischer Seite war man auch empört über das Ausbleiben der etwa 8000 Mann starke Division des Feldmarschalls Jellacic. Doch diese ursprünglich zur Deckung der linken Flanke der Hauptarmee in Deutschland und zur Verbindung zwischen dieser und dem Tiroler Korps bestimmte Division war nach dem Rückzug der Hauptarmee schon am 29. April zur Räumung Salzburgs gezwungen worden und hatte nun die Zugänge nach Innerösterreich abzuriegeln. Die dringende Bitte Hormayrs an Erzherzog Johann um Mitwirkung der Division Jellacic wurde von diesem am 14. Mai mit der Begründung abgelehnt, Jellacic sei mit Marschall Lefebvre genügend beschäftigt. Doch der Erzherzog musste aus dem gleichen Schreiben Hormayrs wissen, dass Lefebvre bereits einmarschiert war. In dem Auftrag des Armeekommandanten vom 17. Mai an Jellacic, sofort in Richtung Graz abzumarschieren, ist der endgültige Beweis zu erblicken, daß von des Erzherzogs Seite die Preisgabe des Landes bereits beschlossen war.

Inzwischen war General Wrede brennend und plündernd weiter vorgedrungen. Bei Rattenberg schloss sich ihm die von Kufstein kommende Division Deroy an. Der erbitterte Widerstand des Landsturms bei der Zillermündung und vor Schwaz war vergebens. Am 15. und 16. Mai ging Schwaz in einem Flammenmeer unter. Nach einem 36stündigen Waffenstillstand, den Marschall Lefebvre bei Volders angeboten hatte, konnte er am 19. Mai kampflos Innsbruck betreten.

Die Situation bei der innerösterreichischen Armee in Oberitalien hatte sich in diesen Tagen wesentlich verschlechtert. Erzherzog Johanns Befehlsgebung kennzeichnen denn auch zusehends größere Nervosität und Unsicherheit. Dies musste sich auch auf das Tiroler Korps ungünstig auswirken. So erfolgten auf Grund divergierender oder ganz unbestimmt gehaltener Anordnungen des Armeekommandos einerseits und falscher Informationen andererseits zahlreiche einander widersprechende Befehle seitens Chastelers, die ein unnützes Hin- und Hermarschieren, etwa der Gruppe Buol im Raume Volders — Brenner, bewirkten und bei der Bevölkerung den Eindruck der Unentschlossenheit, ja völliger Kopflosigkeit des Kommandanten des Tiroler Korps erwecken mussten.

Auf ein am 14. Mai in Tarvis abgefertigtes und am 16. in Empfang genommenes, bereits beunruhigendes Schreiben des Erzherzogs hin beschloss Chasteler endgültig, die Truppen auf dem Brenner zusammenzuziehen. Buol sah sich zu einem geheimen Abmarsch in der Nacht vom 16. zum 17. Mai über Ellbögen in Richtung Brenner gezwungen. Von der erregten Menge des Landsturms wäre sehr zu befürchten gewesen, dass sie einen Abmarsch der Soldaten mit Gewalt verhindert hätte.

Am 18. Mai empfing Chasteler in Sterzing ein weiteres Schreiben des Erzherzogs: Die Lage habe sich zusehends verschlechtert, Tarvis werde bald aufgegeben werden müssen. Chasteler möge Tirol so lang als möglich halten, dann aber seine Truppen zusammenziehen und mit geballter Kraft aus dem Lande ausbrechen und sich der innerösterreichischen Armee anschließen. Eine Abteilung sei jedoch den Tirolern zurückzulassen, falls diese die Gegenwehr auch unter diesen Umständen fortsetzen wollten. Er selber könne für Tirol nichts mehr tun. Der Mangel jeglicher klaren Befehlsgebung wird im Schlusssatz erschreckend offenkundig: „Ich überlasse es Ihrer Einsicht, ob es nicht vorteilhafter wäre, so schleunigst als möglich mit den gesamten Truppen sich an mich anzuschließen ... Überhaupt überlasse ich die Ergreifung dieses Entschlusses Ihrer Einsicht."

Einen Tag später steigerte sich in einer immer aussichtsloseren Lage die Nervosität des Armeekommandanten bis zur völligen Ratlosigkeit: „Tirol müssen Sie als eine selbständige Festung so lange als möglich verteidigen, im schlimmsten Falle ihre Streitkräfte zusammennehmen und sich irgendwo Luft zu machen versuchen. Nichts kann ich Ihnen vorschreiben, ich muss alles Ihrer Beurteilung überlassen, sowie ich Ihnen vollkommene Vollmacht über alle zu geschehen habenden Veranlassungen übertrage. Sollten günstige Umstände eintreten, so soll es meine erste Sorge sein, Ihnen zu Hilfe zu eilen."

Zur selben Zeit hatte Hofer auf die unheilvollen Nachrichten vom Vormarsch der Bayern im Unterinntal und auf die Gerüchte um einen bevorstehenden Abzug der k. k. Truppen hin den Landsturm von Passeier aufgerufen, sich in Sterzing zu sammeln. Am 20. Mai konnte er Chasteler in dessen schon nach Bruneck zurückverlegten Hauptquartier zum Verbleiben überreden. Doch die Freude darüber sollte von sehr kurzer Dauer sein. Schon am Tag darauf besann sich Chasteler wieder eines anderen; aus dem Cadorinischen war ein feindliches Korps gemeldet worden, und aus Vomp hatte Major Veyder das Schreiben Chastelers an Wrede ungeöffnet zurückgebracht und vom Tagesbefehl Napoleons mit der Achterklärung berichtet. („Ein gewisser Chasteler, angeblich General in österreichischen Diensten, ist im Betretungsfalle als Räuberanführer, als Urheber der an den gefangenen Franzosen und Bayern verübten Mordtaten und als Anstifter des Tiroler Aufstandes in die Acht erklärt, vor ein Kriegsgericht zu stellen und binnen 24 Stunden zu erschießen.")

Nun reifte in Chasteler sehr schnell der Entschluss, mit seinem Korps Tirol zu verlassen. Nach einigen Divergenzen mit seinen Offizieren und einer spektakulären Niederlegung und Wiederaufnahme des Kommandos kam der endgültige Befehl, alle in Tirol befindlichen Truppen in Lienz zu sammeln und von dort bei günstiger Gelegenheit aus dem Lande abzumarschieren.

Auch an Buol erging die Weisung, den Brenner zu verlassen und seine Truppen nach Lienz zu führen. Dieser Befehl hat aber Buol nie erreicht, denn er wurde vom bewaffneten Landvolk abgefangen. So kam es, dass bei den Bergiseltreffen im Mai k. k. Truppen — eher ungewollt als gewollt — Anteil nahmen, der trotz ihrer geringen Zahl ein durchaus ehrenhafter war.

Eines unbedeutenderen Anteils ist an dieser Stelle zu gedenken, und zwar jenes des Freiherrn von Hormayr, laut Besitzergreifungspatent Erzherzog Johanns vom 8. April in Vertretung des Hauptes der künftigen provisorischen Regierung, des abwesenden Generalintendanten Peter Graf Goess, zum kaiserlichen Intendanten auserkoren. Zunächst konnte selbst der unaufhaltsame Vormarsch Lefebvres durch das Unterinntal seine lebhafte Phantasie nicht schwächen: Er, Hormayr, und Chasteler würden mit 30 000 Tirolern in Bayern einfallen, Schwaben und die Schweiz in Aufruhr setzen und damit dem Krieg eine Wendung geben, die auch das Ende Napoleons sein werde. Etwa um den 15. Mai kam die Wende. Nach drei von völliger Mutlosigkeit diktierten Briefen an den Erzherzog machte sich Hormayr in Innsbruck fluchtbereit, verbrannte in seinem Besitz befindliche „bedenkliche und kompromittierende" Papiere und ließ sich von General Marchal einen Pass als Kurier zum österreichischen Gesandten in der Schweiz ausstellen. Am 19. Mai nahm er an einer Besprechung mit Chasteler und Hofer in Mühlbach teil. Am 22. Mai befand er sich bereits in Mals, nahe der Schweizer Grenze, und anschließend in Nauders, noch näher der Schweizer Grenze, wo er bis Ende Mai verblieb — einer angeblichen Halsentzündung zum Opfer gefallen.

Großer Aktivität befleißigte sich Major Teimer. Zunächst wurden die Ausfälle nach Bayern fortgeführt. Mit 800 Mann rückte er nach Schongau, Oberdorf, Kaufbeuren und Kempten vor. Am 13. Mai kam er in Memmingen an. Das Gerücht, die Franzosen kämen, bewog diese eher fragwürdige Expedition zu einer spontanen Heimreise. In Vomp fungierte Teimer als Unterhändler mit dem bayerischen General Wrede. Dieser forderte die Auflösung des Volksheeres und räumte den um Volders lagernden, in größter Erregung und Angriffslust stehenden Bauernmassen einen 36stündigen Waffenstillstand ein. Doch Teimer wollte diese Zeit nicht zum Auseinandergehen genützt wissen, sondern um neue Landstürmer aufzubieten. Vergebens suchte er den Oberstkommandierenden Chasteler, den er erst in Mittewald antraf, zur Umkehr zu bewegen.

Inzwischen wurden von der Schutzdeputation in Innsbruck Schritte zur Kapitulation unternommen. Nach dem Abzug der k. k. Truppen mussten die empörten Landsturmmassen schließlich doch die momentane Aussichtslosigkeit einsehen, und allmählich zerstreuten sie sich.

Nach den erfolglosen Gefechten am 25. Mai übernahm Teimer die Aufgabe, die Oberinntaler aufzubieten. Doch wie anders als in den Tagen nach den siegreichen Aprilkämpfen wurde er empfangen: Das Militär habe Tirol schmählich im Stich gelassen, von niemandem sei Hilfe zu erwarten, es sei alles aussichtslos und jedes Opfer umsonst — so erwiderte man ihm allenthalben. In Imst schlug ihm eine geradezu feindselige Stimmung entgegen. Schon auf dem Weg ins Außerfern, wo er günstigere Stimmung erwartete, erlebte er plötzlich die undefinierbare und rational nicht erklärbare Ausstrahlung Andreas Hofers: Er begegnete den Boten des Sandwirts mit dessen berühmten Laufzetteln, jenem primitiven Propagandamittel mit der schier unheimlichen Wirkung. „Liebe Brüder Oberinntaler! Für Gott, den Kaiser und das teure Vaterland! Morgen in der Früh ist der letzte Angriff. Wir wollen die Bayern mit Hilfe der göttlichen Mutter fangen oder erschlagen und haben uns zum liebsten Herzen Jesu verlobt. Kommt uns zu Hilf, wollt ihr aber gescheiter sein als die göttliche Vorsehung, so werden wir es auch ohne euch richten! Andreas Hofer, Oberkommandant." Teimer nützte die Wirkung, die solche Aufrufe hervorriefen. Er berichtete von Siegen der Hauptarmee und den Kämpfen vom 25. Mai. Da schlug die Stimmung um. Im ganzen Oberinntal sammelten sich Schützenkompanien.

Hofer selbst hielt zunächst in Sterzing Kriegsrat. Gleichzeitig wurden auch am Brenner die zu ergreifenden Maßnahmen besprochen.


Die Kämpfe am 25. Mai

(Vgl. dazu die Skizze im Anhang III.)

Am 22. Mai verließen Lefebvre und Wrede unter klingendem Spiel das scheinbar befriedete Land. Aus dem französischen Hauptquartier zu Schönbrunn war die Ordre eingetroffen, der Marschall solle mit der Division Wrede und der bei Salzburg aufgestellten Division Kronprinz von dort aus gegen Radstadt vorgehen und dann gegen Leoben marschieren. In der zurückgebliebenen Division Deroy dachte Napoleon eine genügend starke Besatzungstruppe im Lande zu haben.

Hofer erschien nun selbst am Brenner, um Buol zu einer Mitwirkung beim Angriff auf den Feind im Inntal zu überreden. Buol war einer gemeinsamen Tätigkeit mit dem Landvolk äußerst abgeneigt. Er erinnerte sich der Disziplinlosigkeiten des Landsturms bei Volders, der Bedrohungen von Militärkommandanten, des Versagens der Landstürmer bei Wörgl. Er bedachte die Schwäche seiner Infanterie und die Unsicherheit des Eingreifens der Oberinntaler. Mit ungutem Gefühl gab er aber zuletzt dem Drängen Hofers und seiner Leute nach. Er stellte für „eine strenge Rekognoszierung" — Aufklärung über Stärke und Aufstellung des Feindes — zwei Gruppen zur Verfügung. Unter Oberstleutnant Ertel sollten ein Bataillon Lusignan mit 640 Mann, eine Kompanie Salzburger Jäger mit 80 Mann, 40 Reitern (mit drei Geschützen) das Gebiet westlich der Sill und unter Oberstleutnant Reißenfels 400 Mann vom 3. Bataillon Devaux, eine Kompanie Salzburger Jäger mit 60 Mann, 20 Reitern (mit zwei Geschützen) östlich der Sill das Gelände rekognoszieren. Die Entscheidungen über die sich jeweils ergebenden Operationen blieben den Gruppenkommandanten überlassen. Buol selbst blieb mit sechs Kompanien aus Resten vom 2. und 3. Bataillon Lusignan, zwei Kompanien Feldjäger" 9, 20 Reitern und zwei Geschützen als Reserve in den Brennerschanzen zurück.
In diesen letzten Tagen vor dem Kampf war Andreas Hofer wie von selbst zum anerkannten Oberkommandanten des gesamten Bauernheeres geworden. Überall wurde der Landsturm aufgeboten, durch Josef Eisenstecken, Badlwirt von Gries bei Bozen, im Eisack- und Etschtal, durch Josef Speckbacher im Unterinntal, und im Oberinntal war Martin Teimer bemüht.

Der Tag des Angriffs wurde auf den 25. Mai festgelegt. Schauplatz sollte der Bergisel sein, nach der damaligen Bezeichnung der Höhenzug westlich der Sill bis zum Geroldsbach.

Deroys Aufklärungstrupps und seine Pikette auf allen Zugängen und Straßen vom Inntal ins Mittelgebirge brachten in den Tagen vor dem 25. alarmierende Nachrichten. Eine 80 Reiter starke Abteilung berichtete von Schanzarbeiten der österreichischen Truppen auf dem Brenner, am 22. wurde eine Eskadron südlich von Steinach von österreichischen Jägern attackiert, am 23. wurden Stubaier Schützen am Schönberg gemeldet. Auf diese und andere Alarmzeichen hin setzte Deroy seine Truppen (3853 Mann Infanterie, 408 Reiter, zwölf Geschütze mit Mannschaft, insgesamt sechseinhalb Bataillone, vier Eskadronen, zwei Batterien) in Alarmbereitschaft. Für den 25. Mai gab er zwei starken Aufklärungsabteilungen die Ordre, zu beiden Seiten der Sill vorzugehen, sich in Matrei zu vereinigen und dort eine Meldestelle einzurichten. Westlich des Flusses auf der Brennerstraße über Bergisel und Schönberg sollte Major Scherer mit zwei Kompanien vorgehen; ostwärts der Sill über Amras, Lans und Ellbögen Oberleutnant Oberkam mit einer Kompanie und einem Geschütz. Schon in den ersten Nachmittagsstunden trafen sie auf die heranrückenden Tiroler.

Noch vor der Morgendämmerung waren diese aufgebrochen, um sich in Matrei zu sammeln. Was Hofer hier heranführte, waren zum großen Teil echte Elitetruppen. Im Gegensatz zu den Aprilgefechten handelte es sich nun im wesentlichen um organisierte Schützenkompanien. Primitiv ausgerüstete Landstürmer etwa waren selten zu sehen. 48 Kompanien rückten aus Südtirol an, und zwar aus den Gerichten Passeier drei, Lana vier, Meran neun, Ritten eine, Jenesien und Karneid fünf, Sarnthein eine, Kastelruth fünf, Klausen zehn, Schlanders sechs, Sterzing eine, Mühlbach eine, Bruneck zwei, in einer Gesamtstärke von etwa 5000 Mann, dazu kamen 14 Kompanien aus Nordtirol mit rund 1400 Mann. Nach der Sammlung in Matrei formierte Hofer den linken und den rechten, über die Ellbögener Straße vorgehenden Flügel. Für letzteren bestimmte er nur vier Kompanien, die Villanderer unter Hauptmann Gasteiger, die Rodenecker unter Ignaz von Preu, die Sarntaler unter Zöggeler und die Michelsburger unter Oberrauch. Beträchtliche Verstärkung für diesen Flügel erwartete Hofer von Speckbacher. Die vier Kompanien wurden von k. k. Truppen unter Reißenfels begleitet.

Hofers Operationsplan war im übrigen denkbar einfach, seine Devise leicht verständlich: Man solle auf die Bayern losschlagen, wo man sie treffe, und sie über den Berg hinunterwerfen. Gutes taktisches Gespür verrät aber sein weiterer Befehl: Nur nicht herauf lassen! Das Hinunterstürmen hilft nichts: Wir müssen den Berg halten, der ist unser Verlass!

Speckbacher hatte in der vorhergegangenen Nacht zwei Schützenkompanien von Wilten und den Gemeinden des Gerichtes Sonnenburg und Landstürmer von Rettenberg bis Ampaß aufgeboten, insgesamt etwas weniger als tausend Mann. Ein Teil davon blieb zur Bewachung der Brücken bei Volders und Hall zurück. Hier bestand nämlich die Gefahr, dass die Bayern den Inn überschritten und durch einen Vorstoß über Judenstein — Rinn oder Ampaß — Aldrans die Tiroler Frontlinien von deren rechten Flügel her aufrollten. Die übrigen sammelten sich schon zeitig am Morgen um Judenstein. Ungeduldig warteten sie auf Hofers rechten Flügel. Als dieser gegen Mittag noch immer nicht in Sicht gekommen war, trieb sie die Ungeduld durch die Wälder am Fuße des Patscherkofels über Sistrans gegen Patsch. Hier stießen sie auf Gruppen Oberkamps, die gegen Matrei aufgebrochen waren. Sofort eröffneten Speckbachers Leute aus dem Wald heraus das Feuer. Die Bayern verließen die Straße und suchten im Paschberg Deckung. Nach deren Verstärkung zogen sich die Verfolger wieder zurück. Da tauchten endlich die ersten von Matrei kommenden Truppen auf, es waren die Villanderer unter Gasteiger. Dieser erfasste sofort die Situation und ließ seine Leute, denen sich die Bauern Speckbachers anschlossen, unter lautem Geschrei anstürmen. Die erschreckten Bayern zogen sich daraufhin bis zum Ambraser Schloss zurück. Dort konnten sie sich den Rest des Tages halten. Umsonst versuchten die Tiroler und mit ihnen Hauptmann Welling, mit einer Kompanie aus der Gruppe Reißenfels (dieser war mit seiner Mannschaft in Lans stehengeblieben) über die Feldterrassen südlich des Schlosses herunterstürmend die Bayern aus ihrer Stellung zu treiben. Aber auch diese mussten jeden Versuch, diese Höhen zu erreichen, aufgeben. In der Absicht, sich von Westen dem Zentrum zu nähern, stieß Gasteiger auf eine weitere bayerische Abteilung, die in die Wiltener Felder zurückwich. Dies alles spielte sich unter dem Geschützdonner einer auf den Amraser Feldern aufgefahrenen bayerischen Kanone und der österreichischen Kanone Wellings ab.

Ähnlich unentschieden gestalteten sich die Kämpfe im Zentrum und am linken Flügel. Im Schupfenwirtshaus (Vgl. dazu das Foto im Anhang V.) seines Freundes Etschmann, rund 5 Kilometer von Innsbruck-Wilten entfernt, hatte Hofer sein Hauptquartier aufgeschlagen. 15 Kompanien, Burggräfler, Vintschgauer, Latzfonser unter Haspinger und Stubaier, wurden auf die Höhen von Mutters und Natters beordert. An k. k. Truppen waren an diesem linken Flügel nur 80 Jäger mit Hauptmann Ammann beteiligt. Aus Axams und Kematen erwartete man den Landsturm unter Georg Bucher.

Im Zentrum bekam Hofers Vorhut beim nachmittägigen Anmarsch am Gärberbach Feindberührung. Eine bayerische Infanterieabteilung mit Dragonern unter Oberleutnant Fabris drängte die Schützen bis zum Gasthof Schupfen zurück. Trotz der nachstoßenden Verstärkung unter Major Scherer mussten die Bayern vor dem hier versammelten Gros der Schützenkompanien mit den k. k. Truppen unter dem aktionsfreudigen Oberstleutnant Ertel und vor den Flankenangriffen des stets in engem Kontakt mit dem Zentrum operierenden linken Flügels bis zu den Höhen um das Bergiselplateau zurückweichen. Das Zentrum rückte zunächst bis zum Sonnenburgerhügel nach.

Auf den Natterer Höhen entwickelte sich unter dem Befehl Haspingers lebhaftes Geplänkel. Es galt, die dortigen feindlichen Vorposten zu nehmen; diese konnten sich jedoch die verstreuten Höfe und Hütten im nordseitigen Wald zunutze machen. Weitere, von Deroy hinauf geschickte frische Kräfte erforderten Verstärkung aus dem Zentrum. Erst der von Bucher vom Westen herangeführte Landsturm brachte eine Wendung. Vor der Übermacht der Tiroler räumten die Bayern den ganzen Waldrücken und setzten sich am Fuße der Höhen fest, so zum Beispiel beim Hußlhof und bei der Gallwiese.

Auch im Zentrum mussten die Bayern vor den bereits die Abhänge des Bergisels hinunter drängenden Tirolern zurückweichen, konnten sich aber am Fuße des Hohlweges, der zum Plattele führte, in den dortigen Häusern verschanzen, so im Sarnthein- (Ferrari-) Hof, im Reselehof und in der Linsingburg. Deroy ließ unter Deckung durch lebhaftes Geschützfeuer von den Wiltener Feldern her auch an diesem Abschnitt frische Kräfte gegen die Höhen anrennen: Hier gegen den Bergisel richtete er den Hauptstoß. Zweimal wurden die mit großer Tapferkeit bergauf Stürmenden im Hohlweg und auf der westlich anschließenden Wiese zurückgeworfen.

Gegen 19 Uhr beendete starker Regen überall die Gefechte, denn das Nasswerden des Pulvers in der Pfanne machte die Gewehre untauglich.

Die Angaben über die Verluste vom 25. Mai schwanken und sind — wie auch bei den späteren Kämpfen — mit aller Vorsicht zu betrachten: Bayern zwischen 20 und 70 Tote und zwischen 100 und über 150 Verwundete, Tiroler und Österreicher rund 50 Tote und über 30 Verwundete.

Die Tiroler waren über den Ausgang dieses Treffens sehr enttäuscht. Sie verließen noch in der Nacht darauf alle erkämpften Positionen und zogen sich in ihre Ausgangsstellung des Vormittags zurück. Manche Landsturmleute, ja ganze Kompanien gingen nach Hause. Groß war die Enttäuschung über das Ausbleiben der Oberinntaler.

Zuversichtlich war hingegen Deroy. Er ließ nach Abrücken der Tiroler und der Österreicher seine früheren Vorposten auf den Höhen wieder verstärkt besetzen. Er wusste durch die Jäger Arcos die Verbindung nach Scharnitz offen. Noch am 28. trafen 1200 Mann mit sechs Geschützen zur Verstärkung ein.


Die Kämpfe am 29. Mai


Auf Tiroler Seite hatte man bald die erste Hoffnungslosigkeit überwunden. Schon kehrten Landsturmleute und Schützen, die am Tag zuvor heimgegangen waren, wieder zu Hofer zurück. Nach eingehenden Beratungen, auch mit Buol, Ertel und Reißenfels, setzte man den neuerlichen Angriff auf den 29. Mai fest und verlobte sich zum Herzen Jesu.

Wieder riefen Hofers Laufzettel alle Kampfeswilligen zur Hilfe auf. Insbesondere in das Oberinntal ergingen, wie bereits berichtet, Aufforderungen von rührender und zugleich zwingender Wortgewalt. Die taktischen Pläne entsprachen ganz jenen des 25. Mai, nur dass jetzt dank der Werbung besonders Hofers und Speckbachers mehr als doppelt so viele Tiroler in den Kampf gingen: 61 Südtiroler und 35 Nordtiroler Kompanien mit rund 13 620 Mann; von den k. k. Truppen beteiligten sich 1270 Mann Infanterie, 87 Reiter und sechs Geschütze mit Bedienungsmannschaft.

Mit großer Zuversicht rückte man vor. Immerhin hatte man erfahren, dass der Kaiser bei Wien eine Schlacht gewonnen habe, und Hofers Laufzettel eilten von Kompanie zu Kompanie mit den hoffnungsvollen Worten, nun würden die Leute treues Militär bekommen und nicht mehr allzeit die Angeführten sein wie bis dahin!

Im Zentrum bildete Hauptmann Ammann mit 180 Jägern und mehreren Chevauxlegers die Vorhut. Dann kamen Eisenstecken mit den Stubaiern, der Landsturm von Kastelruth und Kompanien von Schenna. In der Mitte stand Ertel mit 640 Mann, einer halben Eskadron und vier Geschützen. Ertel hatte einen umfangreichen und detaillierten Marschbefehl für seine Gruppe ausgearbeitet; dessen auffallendstes Merkmal bestand darin, dass der Mitwirkung der Bauernstreitkräfte kaum Erwähnung getan wurde. Andererseits zeugt seine Direktive an die Abteilungskommandanten, ja das Zutrauen der Tiroler zu gewinnen, von einem immer noch bestehenden Misstrauen gegenüber dem Militär. Um diesen Kern gruppierten sich die Schützenkompanien von Marling (Georg Waldner), Tscherms (Josef von Sagburg), Meran (Josef Schweiggl), Mais (Josef von Liduenthurn), Tirol (Jakob Flarer), Partschins (Thomas Klotz), Vöran (Josef Kreiterer und Joachim Reiterer), Riffian (Anton Zipperle), Schlanders (Josef Spiller), Kastelbell (Jakob Wellenzohn), Schnals (Alois Sauter), Morter (Simon Freiseisen), Naturns (Johann Ladurner), Tschars, Jenesien (Johann Wiederhofer), Karneid (Josef Vieider), Tiers (Sturmkompanie, Johann Rubatscher), Terlan (Ulrich Ramoser), Ritten (Johann Zagler), Völs am Schlern (Michael Rott), Kastelruth (Josef Ploner), Velthurns (Johann Kerschbaumer), Pfeffersberg (Peter Mayr), Schabs (Peter Kemenater), Mauls (Georg Hatzl), Trens (Anton Zigau), Sterzing (Sparber), Steinach (Karl Natter, Mathias Semrad, Martin Platzer, Johann Mösl) und Passeier (Josef Ennemoser).

Der linke Flügel für das Gefechtsfeld von Natters bis zur Gallwiese setzte sich zusammen aus den Kompanien von Latzfons (P. Joachim Haspinger), Algund (Peter Thalguter, Johann Ladurner), Meran (Felix von Gasteiger), Mais (Blasius Trogmann), Mutters (Josef Mayr), Natters (Franz Wieser), Glurns (Josef Höß), Schalders, Axams (Jakob Zimmermann, Josef Unterleitner), Völs (Josef Nagele), Götzens (Josef Hörtnagl) und Flaurling (Thaddäus Kuen und Josef Matzgeller). Der rechte Flügel vom 25. Mai wurde verstärkt durch Kompanien von St. Lorenzen (Oberrauch), Michelsburg (Johann Hofer), Taufers (Johann Mader), Klausen (Josef Kelz), Villanders (Josef Gasser), Villnöß (Peter Aichholzer), Lüsen (Franz Kleber), Gufidaun (Ignaz Thuille), Lajen (Josef Überbacher), Lajener Ried (Josef Erlacher), Terlan (Josef Karneider), Gröden (Franz Pineider) und Wilten und Hötting (Josef Schlumpf). Speckbacher und Straub war es gelungen, aus den Gerichten Sonnenburg, Hall und Schwaz starke Mannschaften aufzubieten, so die Kompanien Patsch (Georg Liensberger), Rinn (Müller), Tulfes (Paul Hiebler), Ampaß, Amras (Ignaz Fuchs), Absam, Thaur, Wattens (Sturmkompanie, Balthasar Wopfner), Volders (Andreas Angerer) und Kolsaß (Franz Prem). Hinzu kam beim linken Flügel wieder die Truppe Reißenfels.


Die bayerische Stärke betrug rund 5240 Mann und 18 Geschütze mit Bedienungsmannschaften. Das Gros der Truppen lag in den Feldern südlich der Stadt, Vortruppen standen vom Bergisel bis zur Sonnenburger Ruine, im Westen über Gallwiese auf die Natterer Höhen und im Osten ober Amras und am Paschberg. Wie vier Tage zuvor stieß auch jetzt wieder der rechte Flügel zuerst auf den Feind. Die Flussübergänge bei Volders und Hall konnten abermals wegen eines Flankenangriffes von entscheidender Bedeutung werden. Es galt deshalb, sie in die Hand zu bekommen. Speckbacher und Straub gelang es zunächst, die Feldwache an der Volderer Brücke auf das jenseitige Ufer zu verjagen und die Brücke abzureißen. Schnell wurden Schanzen aufgeworfen, hinter denen Straub und Angerer mit ihren Leuten Stellung bezogen, um die Bayern an einer etwaigen Überschreitung des Flusses zu hindern. So weit die Aktionen dieses östlichsten Teiles des rechten Flügels.

Weiter westlich gerieten bald Pustertaler Schützen in heftigen Feuerwechsel mit der feindlichen Deckung der Haller Brücke (Oberstleutnant von Waldschmidt mit zwei Kompanien und zwei Geschützen). Speckbacher, nach der erfolgreichen Aktion an der Volderer Brücke herbeigeeilt, führte in kühnen Anläufen seine Leute immer wieder gegen die in den rechtsseitigen Häusern verschanzten Bayern. Endlich wichen diese zum nördlichen Ufer zurück und trugen selbst die Brücke ab. Die Gefechte dauerten hier bis zum Abend.

Weiter gegen Westen stand bei den Aldranser Feldern Hauptmann Welling mit zwei Kompanien und Eisacktaler Schützen und Stürmern. Seiner Aufgabe, das Schloss Ambras zu besetzen, konnte er umso leichter nachkommen, als die Bayern diesem Abschnitt offensichtlich keine Bedeutung beimaßen und das Schloss ohne Bemannung ließen. Eine gegen den Paschberg zu marschierende bayerische Abteilung, die für Gasteiger hätte gefährlich werden können, lenkte Welling ab, indem er von den Tirolern das Dorf Amras besetzen ließ. Die Bayern wandten sich nun gegen Amras und trieben die Bauern in den Schlosspark zurück. Nun kam Gasteiger, nachdem ihm die Stellung an der Sillbrücke gesichert erschien, herbei und vertrieb im Verein mit Welling die Bayern wieder aus dem Dorf.

Der westlichste Teil des rechten Flügels mit Gasteiger, Wolfgang Natterer und Alois Stufer rückte zunächst wie am 25. Mai über das Mittelgebirge gegen den Paschberg vor. Schon waren die feindlichen Vorposten verjagt und die Bayern am Lemmenhof überrannt. Im Sturm drangen die Tiroler weiter den Wald hinunter zur Sillbrücke, in der Hoffnung, sich dann mit dem Zentrum vereinigen zu können. Es ist dies eine der typischen taktischen Situationen aller Bergiselkämpfe: Der rechte Flügel ist durch die Sillschlucht völlig vom Zentrum getrennt und muss über seine Operationen allein entscheiden. Eine Verbindung mit dem Gros der Tiroler, dem Zentrum, ist nur über die gefährliche Talebene möglich! So mussten die Bauern auch diesmal vor dem starken feindlichen Feuer vom Kloster Wilten her, von wo auch eine Kanone herüberdonnerte, zurückweichen. Ein Gegenstoß der feindlichen Truppen trieb sie über den Lemmenhof hinauf bis gegen Lans. Dort stand jedoch die Reserve unter Reißenfels. Zusammen mit zwei Kompanien Devaux unter Hauptmann Daubrawa wurden die Bayern wieder bis zur Sill hinunter zurückgeworfen. An der dortigen Brücke gelang es, sie in die Zange zu nehmen: Eine Gruppe Bauern durchwatete in der Sillschlucht den Fluss und eröffnete das Feuer im Rücken der Bayern, während die Infanteristen Daubrawas von vorn gegen die Brücke stürmten. Die so Bedrängten mussten sich zum Kloster Wilten zurückziehen, die tirolischen und österreichischen Truppen konnten sich in den bei der Brücke stehenden Häusern festsetzen. Vergebens feuerten die Bayern den ganzen Nachmittag über auf diese Stellung. Sie war den Tirolern so sicher, dass Gasteiger sie mit einer Gruppe verlassen und in Amras zu Hilfe eilen konnte.

Am linken Flügel entbrannten harte Gefechte gegen die immer wieder durch von der Talebene heraufgeführte frische Kräfte verstärkten bayerischen Truppen. Mit wechselndem Erfolg wurden die als Stützpunkte dienenden Einzelhöfe in den Wäldern auf den Natterer Höhen umkämpft, etwa der Eichhof, der Jesuitenhof und der Tschurtschentalerhof. Besonders wichtig wurden die Höfe oder früheren Vogelhütten an den Waldabhängen. Unter dem tollkühnen Voranstürmer Haspinger gelang es nach mehreren kritischen Momenten, die Bayern endgültig von den Höhen hinabzudrängen. Diese konnten sich zunächst in diesen Höfen festsetzen, so etwa in der Schrofenhütte (der früheren Vogelhütte der Grafen Künigl), in der Geisterhütte (Vogelhütte der Herren von Kammerlander), im Jehlehof (Vogelhütte der Grafen Wolkenstein) und in der Fischerhütte (Ragglhütte, Vogelhütte der Herren Stabinger). Einige Zeit wogte nun der Kampf um diese Ansitze hin und her, bis die Tiroler mit Ammanns Jägern endlich die Bayern daraus vertreiben konnten. Mehr noch: Haspinger und Graf Hendl bemächtigten sich unter maßgeblicher Beteiligung von Buchers Sturmmannschaften sogar der Gallwiese und des Hußlhofes, über den der feindliche Nachschub auf die Höhen erfolgt war.

Das Zentrum drängte zunächst die bayerischen Streitkräfte an der Brennerstraße und auf deren westlichem Berghang zurück. Der hervorragende Anteil Ertels und seiner Soldaten darf hier nicht unerwähnt bleiben. Gegen Mittag hatte man das Bergiselplateau erreicht, von dem aus die Kanonen Ertels die Wiltener Felder bestrichen. Die Bayern hatten sich auch in diesem Abschnitt in den Höfen am Bergfuß festgesetzt (Linsingburg, Reselehof, Sarntheinhof).

Zu diesem Zeitpunkt wurde Deroy Oberinntaler Landsturm bei Zirl gemeldet.

Von der zunächst erfolglosen Werbung Teimers im Oberinntal wurde schon berichtet. Hofers Laufzettel und Gerüchte von Siegen der österreichischen Armee vermochten neuen Kampfgeist zu wecken. Bald war ein Dutzend Kompanien im Gericht Landeck versammelt. Auch aus den Gerichten Imst, Petersberg und Hörtenberg erfolgte nicht unerheblicher Zuzug. Um Scharnitz und Leutasch rüstete man sich zum Kampf und überrannte sogleich Graf Arcos vorgeschobene Posten. Arco reagierte mit verstärkten Besatzungstruppen und brutaler Niederbrennung von Scharnitz. Dies bewog Josef Marberger, den Kommandanten der Silzer Kompanien, mit einem großen Teil der Oberinntaler eiligst diesen Grenzorten zu Hilfe zu kommen. Die Bayern mussten dann die Scharnitzer Pässe räumen und am 30. Mai auch Mittenwald aufgeben. So geschah es aber, dass auch diesmal die Oberinntaler nicht rechtzeitig zur Stelle waren. Vergebens schauten am Morgen des 29. die von Hofer zur Fühlungnahme ausgesandten Meraner Kompanien in Zirl nach den Oberinntalern aus. Gegen Mittag traf dann Teimer endlich in Zirl ein. Doch seine Mannschaft war stark dezimiert, der größte Teil hatte sich ja in Richtung Scharnitz gewandt. Die ihm entgegengeschickten Passeirer bildeten nun beim Weitermarsch die Vorhut seiner aus Telfs, Landeck und Glurns herunter geführten Kompanien.

Immerhin aber hatte nun Deroy eine Umklammerung auch von Norden her zu befürchten. Noch vor dem Eintreffen der Oberinntaler wollte er deshalb wieder die südlichen Höhen zurückgewinnen. Er warf nun alles in den Kampf. Doch vergebens stürmten die tapferen bayerischen Soldaten gegen den Hußlhof an. Hier hielten die Meraner, die Stubaier und Buchers Landsturm unter der Führung Haspingers allen bayerischen Vorstößen stand.

Der Hauptstoß unter General Siebein wurde jedoch gegen den Bergisel geführt. Tatsächlich gelang es ihm, mit aufgepflanzten Bajonetten und unter Geschützfeuer aus den Wiltener Feldern bereits hart an den Rand des Plateaus hinaufzukommen. Schon waren die Gefechtslinien der Tiroler zerrissen. Da rief Ertel wieder eine Reserve, die Eskadron des Rittmeisters Henrion, da eilte Hofer aus dem Hauptquartier heran und feuerte seine Bauern an! Trotz größten Einsatzes mussten nun die Bayern wieder aus dem Wald und dem Hohlweg zurückweichen und vor den Nachstürmenden auch die Häuser am Fuße des Berges räumen.

Nach diesem misslungenen Vorstoß wurde es stiller. Man beschränkte sich beiderseits auf einen Feuerwechsel zwischen der Ebene bei der Kirche und dem Kloster Wilten und den Waldhängen des Bergisels.

Endlich näherte sich Teimer auch im Norden der Stadt von Kranebitten über die Höttinger Felder. Ertel glaubte, Deroy angesichts dieser drohenden Umzingelung zu einer Kapitulation bewegen zu können. Doch Deroy wäre nur zu einem kurzen Waffenstillstand bereit gewesen.

Das Eintreffen neuer Munition vom Brenner her ließ das Feuer auf Tiroler Seite wieder stärker werden. Jedoch wagten es beide Gegner nicht, aus den Stellungen vorzugehen. Teimer begnügte sich gar damit, in Kranebitten sein Nachtquartier aufzuschlagen. So brach der Abend herein, der weder eine vollkommene Einschließung noch eine Kapitulation oder gar Vernichtung der Bayern gebracht hatte. Deroy wusste aber, dass ihn der Tag darauf zur Kapitulation gezwungen hätte. Er war jedoch nicht gesonnen, den Fehler Kinkels zu wiederholen. Die Rückzugslinie über Seefeld — Scharnitz wusste er unterbrochen, ein gefährlicher Munitions- und Verpflegungsmangel war eingetreten. Seine Soldaten waren demoralisiert. Schon nach den ersten Gefechten am 25. hatten sie gemurrt, sie wollten gern gegen Ihresgleichen kämpfen, aber gegen diese Bauern, „die sie nie sähen, bevor sie nicht verwundet wären, sei keine Ehre zu holen". So bereitete Deroy alles für einen unauffälligen nächtlichen Abmarsch vor. (Verluste am 29. Mai: Bayern rund 130 Tote und rund 500 Verwundete, Tiroler und Österreicher rund 90 Tote und über 160 Verwundete.)

Als man am nachfolgenden Morgen auf den Höhen rund um Innsbruck neuerlich zum Angriff rüstete, entdeckte man, dass die Bayern entwichen waren. Unter großem Jubel, ähnlich wie in den Apriltagen, rückte man in die Stadt ein. Deroy aber betrat nach manchen Attacken des bewaffneten Landvolkes im Unterinntal am 2. Juni bayerischen Boden.

An dem denkwürdigen 29. Mai überschritt Chasteler mit seinen in Lienz und Leisach lagernden Truppen die Grenze nach Kärnten und erreichte zu Mittag Oberdrauburg. Eine auf abenteuerliche Weise zu ihm nach Lienz gelangte Depesche Erzherzog Johanns hatte von der Aufstellung der Armee in Graz berichtet und befohlen, aus Tirol durch Kärnten im Rücken der Feinde sich dieser anzuschließen. Als Chasteler rund zwei Monate vorher ins Land gekommen war, hatte der Aufstand bereits einen siegreichen Verlauf genommen; als er nun abzog, war in den Kämpfen um Innsbruck zum zweiten mal die Befreiung erfochten worden.


Des Kaisers Wort

Mit diesem 29. Mai ist auch ein sehr eigenartiges Schriftstück datiert: die Wolkersdorfer Proklamation, als Wolkersdorfer Handbillett in die Literatur eingegangen. Als Pendant zum Schärdinger Manifest darf es hier nach der zweiten Befreiung nicht fehlen:

„Nach bedeutenden Unglücksfällen, und nachdem der Feind selbst die Hauptstadt der Monarchie eingenommen hat, ist es Meiner Armee gelungen, die Französische Hauptarmee unter Napoleons eigener Anführung im Marchfelde am 21. und wiederholt am 22. May zu schlagen, und nach einer großen Niederlage über die Donau zurückzuwerfen. Die Armee und die Völker Oesterreichs sind von höherem Enthusiasmus als je beseelt; alles berechtiget zu großen Erwartungen. Im Vertrauen auf Gott und Meine gerechte Sache, erkläre Ich hiemit Meiner treuen Grafschaft Tyrol, mit Einschluß des Vorarlbergs, daß sie nie mehr von dem Körper des Oesterreichischen Kaiserstaates soll getrennt werden, und daß Ich keinen anderen Frieden unterzeichnen werde — als den, — der dieses Land an Meine Monarchie unauflöslich knüpft. So bald möglich wird sich Mein lieber Herr Bruder der Erzherzog Johann nach Tyrol begeben, um so lange der Anführer und Schützer Meiner treuen Tyroler zu seyn, bis alle Gefahren von der Grenze der Grafschaft Tyrol entfernet sind.
Wolkersdorf, den 29. May 1809. Unterzeichnet: Franz, m. pr."

Dieses Schreiben war ein Produkt der momentanen Euphorie im kaiserlichen Hauptquartier nach dem Sieg von Aspern. Solch außergewöhnliche und fixierte Zusagen bedeuteten aber eine Festlegung der künftigen kaiserlichen Politik. Einer derartigen Einschränkung des Spielraumes bei den zu erwartenden Friedensverhandlungen hätte folglich der Außenminister niemals zugestimmt. In der Tat hatte der Kaiser, über den Napoleon mit einiger Berechtigung zu witzeln pflegte, dass er immer dem recht gebe, der zuletzt mit ihm gesprochen, seine Unterschrift unter ein Schriftstück gesetzt, das den Einflüsterungen von Günstlingen entsprang, Männern der Kriegspartei, Männern wie Feldmarschalleutnant Bubna und Staatsrat Baldacci, aber auch Feldmarschalleutnant Duka und Generaladjutant Kutschera. Noch in Unkenntnis der Ereignisse bei Innsbruck suchten sie die Tiroler Bevölkerung durch derartige Zusagen zu erhöhtem Widerstand aufzustacheln.

Vergeblich suchte Erzherzog Johann diese Proklamation und ein weiteres, allerdings wesentlich vorsichtiger abgefasstes Handschreiben an die Stände Tirols vor der Verbreitung zurückzuhalten. Er ahnte, dass man diese großen Versprechungen bei der Lage der Dinge nicht werde halten können, er ahnte, dass der Kaiser dann als wortbrüchig erscheinen musste, und er ahnte vor allem, dass sich Tausende in blindem Vertrauen auf dieses Versprechen ins Unglück stürzen würden. Doch er musste bald zu seinem „größten Verdruss und Schmerz" erfahren, „dass dieses Handbillett durch unbesonnene Menschen auf anderen Wegen nach Tirol befördert und dort bekannt gemacht wurde".


Bis zur Wiederbesetzung

Am 2. Juni tauchte Hormayr wieder in Innsbruck auf und übernahm neuerdings die Leitung der Geschäfte. Mit Dekret vom 3. Juni wurde Buol formell von Chasteler mit dem militärischen Oberkommando in Tirol betraut. Hormayr stürzte sich mit großem Eifer auf die Verwaltung und vornehmlich auf das Defensionswesen. Mit kaum verborgener Eifersucht auf jene, die die zweite Befreiung errungen hatten, wurden Hofer und seine Umgebung zurückgedrängt. Wie auch nach den Aprilkämpfen lag die größte Sorge in der Beschaffung von Geld. Die finanzielle Situation gestaltete sich immer kritischer. Hormayr und Buol mussten bald dem Erzherzog Johann von einer bereits unhaltbar gewordenen Lage berichten.

Zur gleichen Zeit überschwemmte wie nie zuvor eine Flut von Berichten und Gerüchten das Land. Hormayr startete wie zu Beginn des Aufstandes eine anti- napoleonische Kampagne. Der verrückte Kommandant von Lienz, Johann Nepomuk von Kolb, dessen krankhafter Fanatismus gegen Ende der Befreiungskämpfe noch viel Unglück bringen sollte, wusste immer wieder von neuen Siegen der Österreicher zu berichten. Selbst die Kunde von Wagram kam so verstellt nach Tirol, dass ein österreichischer Sieg daraus wurde.

Eine Verbindung zu den Unzufriedenen in Deutschland scheint nach der zweiten Befreiung nicht aufgenommen worden zu sein. Schill war am 31. Mai in Stralsund gefallen, ihn hatte Hormayr gekannt. Die Gärung in Schwaben wurde von Tirol aus nicht gefördert. Zur Schweiz wurden eher von Vorarlberg als von Tirol aus Beziehungen angeknüpft. Offiziell verhielt sich die Helvetische Republik völlig neutral und dokumentierte dies deutlich genug durch Aufstellung eines Truppenkordons entlang der Grenze zu Tirol und Vorarlberg. Freilich zeigte bereits die Tätigkeit Bischof Buols Initiativen aus dieser Richtung. Ebenso ist eine heimliche Unterstützung des Vorarlberger Aufstandes durch Schweizer erwiesen. Mit dem österreichischen Gesandten in Bern, Schraut, und dem Gesandtschaftssekretär Lichtenthurn stand Hormayr allerdings in Verbindung. Lichtenthurn und ein Breslauer Bankhaus waren der Weg, über den er zu englischem Geld zu kommen hoffte. Die Vorarlberger wurden von Hormayr und Buol sich selbst überlassen. Der Aufstand im Veltlin und im Brescianischen trat zwar mit Tirolern in Fühlung, bedurfte aber viel mehr selbst der Unterstützung, als dass er anderen solche hätte gewähren können.

Wie vor Lefebvres Einmarsch nahm Teimer nun seine Ausfälle nach Bayern wieder auf. Er war mit der Verfolgung des abziehenden Deroy zu spät gekommen und wandte sich nun seinem bewährten System der „brutalen Planlosigkeit" zu. Manche Schützenhauptleute lehnten eine Beteiligung an solchen Aktionen ab, doch Teimer verstand es, Freiwillige zu werben; zu diesen gesellte sich ein von Buol überlassener Trupp regulärer Soldaten. Bis Partenkirchen, Murnau, Weilheim, Kochel und Tegernsee streiften die Freischärler. Die wiederholten Verbote der Innsbrucker Schutzdeputation vermochten Teimer nicht zu beeindrucken. Ebenso wurde nun wieder die Blockade von Kufstein aufgenommen. Zwei Kompanien unter Hauptmann d‘Esquille stellte Buol zur Verfügung, zehn Schützenkompanien konnte Speckbacher sammeln. Dessen Schlauheit und Verwegenheit bei der Belagerung brachten ihm zwar einen Kranz von Geschichten und Anekdoten ein, das Unternehmen scheiterte aber auch diesmal. Desgleichen hatten die Ausfälle zwischen Kufstein und Achenpaß auf die bayerischen Angrenzer keine Rückwirkung auf die Belagerung.

Wenig Erfolg war auch einem anderen Unternehmen beschieden: Die Pässe Hirschbühel und Luftenstein ebenso wie Strub und Lueg sollten besetzt und gesperrt werden. Die Salzburger Bauern sollten ihre Grenzen genauso abriegeln wie die Tiroler. Die Scharen unter dem Aichberger Wirt Wallner fanden im Pinzgau und im Pongau aber nur wenige kampfesfreudige Bauern vor.

In Südtirol kam es Anfang Juni zu Kampfhandlungen. Graf von Leiningen hatte am 23. Mai bei Klausen Stellung bezogen, ging dann weiter nach Bozen und besetzte am 27. Trient. Seinen Abmarsch hatte er mit der Gefahr von feindlichen Streifzügen vom Tornale aus gegen Bozen, Klausen und Brixen begründet. Am 25. Mai schrieb er seinem Freund Hofer, er könne das Kommando nicht übernehmen ohne Rechtfertigung und Sicherheit seiner Person. Er hatte eine sich als Landsturm ausgebende Räuberhorde aus Brixen verjagt und wurde daraufhin mit Bezeichnungen wie Spitzbub, Lump und Verräter apostrophiert. (Die Bergiselkämpfe dürften zunächst eine Bereinigung dieser Angelegenheit nicht ermöglicht haben, und am 3. Juni wurden dann die Kommandoverhältnisse durch Chasteler selbst geregelt.) Anfang Juni unternahm Leiningen Ausfälle in feindliches Gebiet an der welschtirolischen Grenze und forderte hohe Kontributionen. Doch bald drangen französische Truppen gegen Trient vor. Nach weiterer Verstärkung konnte Oberst Levier Leiningen bei Martello zurückdrängen und ging daran, Trient zu beschießen. Die Sturmglocken riefen mehr als tausend wehrhafte Männer innerhalb der Stadt und zahlreiche Kompanien aus der Umgebung zusammen. Gleichzeitig mit einem massiven Ausbruch Leiningens umringten die Schützen auf den umliegenden Höhen die Belagerer. Nach vierstündigem Gefecht zog sich Levier über die Landesgrenze zurück.

Wie war die Reaktion Napoleons auf die zweite Befreiung Tirols? Zunächst konnte er der Nachricht kaum Glauben schenken. Dann aber musste er sich doch eingestehen, dass er durch den Abruf Lefebvres nicht schuldlos an diesem Ausgang war. Nach außen hin rechtfertigte er sich, er habe die bayerischen Truppen nicht zerstreuen wollen. Aber auch jetzt beabsichtigte er, wie das schon im Mai der eigentliche Grund war, das Gros der bayerischen Truppen zur Entscheidung gegen Österreich mitzuführen. Gerade nach der Niederlage von Aspern waren sie notwendiger denn je. Deshalb überließ er Tirol zunächst seinem Schicksal, ja selbst Deroy zog er später nach Österreich ab. Dadurch geriet Bayern in eine gefährliche Lage.

Es mag deshalb nicht verwundern, wenn sich dort zusehends die Stimmen häuften, die für eine friedliche Verständigung mit den Tirolern plädierten. Dieses Volk könne man nicht mit Gewalt unterwerfen, man solle ihm Zugeständnisse wirtschaftlicher und vor allem religiöser Natur machen. Diese Vorstellungen führten im Aufruf des bayerischen Referendars und General-Salinenadministrators Josef von Utzschneider an die Tiroler zu einem offiziösen Schritt bayerischer Regierungskreise. Schon vorher hatten heimliche Unterredungen verlockende Angebote ahnen lassen. Für Hormayr als österreichischen Beamten wären solche Verhandlungen einem glatten Verrat gleichgekommen, deshalb wies er auch Utzschneider dezidiert zurück. Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass gerade nach dem Aufruf Utzschneiders eine Unzahl falscher Nachrichten über glückliche Siege der Österreicher durch das Land schwirrte.

Statt dessen aber hatten die Österreicher den Erfolg von Aspern nicht genützt. Am 5. und 6. Juli wurden sie bei Wagram entscheidend geschlagen, und am 12. musste ein verzweifelter Erzherzog Karl bei Znaim den Waffenstillstand annehmen. In dessen viertem Artikel wurde bestimmt, dass die österreichischen Truppen Tirol und Vorarlberg verlassen und das Fort von Sachsenburg den französischen Truppen überlassen müssten. Kein Wort jedoch über das weitere Schicksal der Tiroler Bevölkerung. War das ein Zeichen Napoleonischer Härte oder Gleichgültigkeit des militärischen Hauptquartiers?

Große Skrupel vor der Bekanntgabe dieser Bestimmungen zeigte jedenfalls Kaiser Franz. Er musste sich nun mit Recht im Hinblick auf seine Wolkersdorfer Proklamation als „in seiner Ehre kompromittiert" fühlen. In seiner charakteristischen Art verschloss er zunächst einfach die Augen vor den harten Tatsachen, bis er dann am 19. Juli formell den Waffenstillstand anerkannte. Bis dahin glaubte auch Erzherzog Johann mit der Bekanntgabe in Tirol zögern zu dürfen. Freilich war die Kunde von einem Waffenstillstand bereits ins Land gedrungen. Sie stieß beim Volk auf Unglauben, Zweifel, ja Empörung. Viele Tage der Unsicherheit und der wildesten Gerüchte vergingen. Nach absichtlicher Verzögerung erhielt Buol am 28. Juli den Befehl zum Abmarsch und die Bestätigung des Waffenstillstandes. Deutlich genug war darin die Maxime Erzherzog Johanns verflochten, den Abmarsch so langsam wie möglich zu gestalten und das Volk auf einen baldigen neuen Waffengang hoffen zu lassen. Buol handelte aber nicht ganz in diesem Sinn. Er verständigte sämtliche Schutzdeputationen und Kommandantschaften vom Waffenstillstand und seinem Abzug. Das Schabser Plateau wurde zum Sammelplatz der Truppen bestimmt, bei dem Oberstleutnant Leiningen aus Bozen und Oberstleutnant Taxis vom Brenner erwartet wurden. Am 4. August rückten dann die gesammelten Truppen vom Schabser Plateau ab.

Mehrere Tiroler Anführer machten vom Angebot Gebrauch, in österreichischen Uniformen mit dem Militär das Land zu verlassen. Auch Teimer und Hormayr setzten sich ab. Hofer jedoch wies die Aufforderung, an seine Rettung zu denken, weit von sich. Auch Speckbacher, der sich bereits dem Militär angeschlossen hatte, blieb seinem Lande treu.

(weiter zu Teil 3)



Quelle: Werner Köfler, Die Kämpfe am Bergisel 1809, in: Militärhistorische Schriftenreihe, Herausgegeben von Heeresgeschichtlichen Museum (Militärwissenschaftliches Institut), Heft 20, Wien 1971.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.