VERGLETSCHERUNG DES RÄTZLIBERGES

Wie nach den Sagen der Frutiger die Blümlisalp, so war auch der nun von Gletschern bedeckte Rätzliberg eine fruchtbare Alpe, auf der Mutieren und Adelgras in Menge blühten. Eine reiche, aber geizige Frau in Bern hatte die Alpe gekauft. Alle Jahre brachte der Hirt, der oben den Sommer verbrachte, der Lehensfrau den Zins und einen Korb voll frischen Zieger und fetten Anken (Butter), aber nie war die Ungenügsame zufrieden. Da brach ein Hagelwetter über den Rätzliberg und Hunger drohte der Herde. Der Küher brachte der Lehensfrau jammernd und um Mitleid bittend noch weniger Anken. Die harte Frau aber fluchte über den Hirten und verfluchte die Alpe. Da rückte auf einmal vom wilden Strudel das Eis immer näher und näher gegen den Rätzliberg. Verschwunden war die blühende Weide; der Hirt, der zurückkehrte, fand Gletscher über die ganze Alpe verbreitet.

Von der Casanna-Alp in Bünden wird Ähnliches erzählt.

(Alpenrosen 1813)

Quelle: Theodor Vernaleken, Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858