DER BETTLER

Christus, unser Herr, kam einmal als Pilger in Gestalt eines alten Bettelmännchens auf den Berg Kamor (auch Kummerberg). Zu der Zeit aber, als dies geschah, war der Berg noch schön grün und bewohnt. Er kam dorthin, die Menschen und ihre Frömmigkeit zu prüfen. Er ging von Haus zu Haus, aber bekam nirgends eine Gabe. Zuletzt betrat er das Haus eines bejahrten Ehepaars, welches ihm statt Schmalz (Butter) Kuhdreck in sein hingehaltenes Kübelchen warf. Zur Strafe für diesen Spott verwünschte der Herr die ganze Alpe. Und plötzlich ward sie samt Menschen und Vieh auf ewige Zeiten mit Schnee bedeckt. Andere sagen, Christus habe nur in einem Haus, dem letzten, in welchem er bettelte, eine Gabe erhalten. Es waren dort zwei alte Leute, Mann und Weib, und obgleich selbst sehr arm, teilten sie mit ihm doch etwas von ihrem Wenigen. Dafür ist denn auch das Paar beim allgemeinen Untergang gerettet worden und selbst die Stelle, wo ihr Häuschen stand, bleibt bis zum heutigen Tage ohne Schnee.

(Mündlich aus Lustenau)

Quelle: Theodor Vernaleken, Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858