Jungfer Blitz

Ein steinaltes Weiblein in Mugrau hatte den Blitzfaden. Von wem sie ihn gekriegt und wie er ausgeschaut hat, das weiß niemand. Einmal brockte das Weiblein im Gföhret Beeren. Da stieg es kohlschwarz übers Fuchswiesengebirg auf, das Wetter rückte immer näher, Blitz und Donner jagten eines das andere. Wie es schon recht abscheulich tummelte, schloff das Weib in einen hohlen Ahorn, und wie sie herausspähte, stand auf einmal eine wunderschöne fremde Jungfrau vor ihr. Sie hatte gar nichts am Leib, aber sie leuchtete, daß der Schein von ihr ging, und ihre Haare waren feuerrot. Da schrie das Weiblein der schönen Jungfer zu: "Du wirst ganz naß, Dirndel. Schlief zu mir in den Baum herein!" Aber die Fremde sagte darauf: "Ich kann nit zu dir hinein, du hast den Blitzfaden bei dir." Im selben Augenblick tut es einen Donnerschlag, es zündelt, und der helle Brand schießt auf einen Baum daneben hochauf. Die Jungfer aber war nimmer da. - Hätte das Weibel den Blitzfaden nicht bei sich getragen, das wilde Feuer wäre in ihren Baum gefahren.

Quelle: Hans Watzlik, Böhmerwald-Sagen, Budweis 1921 (Böhmerwalder Dorfbücher, 5. Heft)