Das goldene Tor

Unweit Kloten, gegen Bülach zu, liegt ein kleiner Weiher, das "guldin Thor" genannt. Er ist an sich nicht tief; aber eine Menge Löcher befinden sich darin, die, wie es heißt, unergründlich sind, und aus welchen unaufhörlich zarter Sand in kleinen Goldblättchen heraufquillt. Ein Knabe, der Schafe hütete, hatte sich am Rande des Teiches niedergelegt. Plötzlich wird das Wasser unruhig, ein Strom von Goldsand dringt herauf, dann zertheilt sich die Fluth und eine schöne Jungfrau steht vor dem erstaunten Knaben. Süß lächelnd streckt sie ihm einen goldenen Ring entgegen. Der Knabe will ihn haschen; sie zieht aber allmählich die Hand zurück, bis der Nachlangende in's Wasser fällt. Allsdann umschlingt sie ihn und fährt mit ihm in die Tiefe. Ein Bauersmann hat das Geschrei des sich Sträubenden gehört und eilt herbei. Aber obgleich der Weiher ganz klar und seicht ist, mag er nichts erforschen, und will sich schon fortbegeben, als der Knabe aus einer der Öffnungen wie ein Pfeil emporschießt. Er ist bewußtlos, als ihn der Landmann herauszieht.

Das Goldene Tor,  © Ines Pfäffli

Das goldene Tor
Email-Zusendung, Foto: Sommer 2003

Wie er aber wieder zu sich selbst kommt, erzählt er: die Jungfrau sei mit ihm tief, tief hinuntergefahren, und plötzlich habe sich eine schöne Gegend unter ihnen aufgethan, sie hätten hierauf festen Grund gefaßt; eine herrliche Stadt mit goldenem Thore wäre vor ihnen gelegen. Aus demselben sei eine andere Jungfrau getreten; die, welche ihn umschlungen, habe rasch die Arme geöffnet, um ihr entgegen zu eilen. Kaum aber sei er nicht mehr festgehalten worden, so habe es ihn mit solcher Schnelle wieder empor gerissen, daß er darüber das Bewußtsein verloren. Was weiter mit ihm begegnet, wisse er nicht.

Seit dieser Zeit heißt dieser Weiher das ""guldin Thor."

Das Goldene Tor,  © Ines Pfäffli

Das goldene Tor
Email-Zusendung, Foto: Sommer 2003

Quelle: H. Herzog, Schweizersagen für Jung und Alt dargestellt, Aarau 1871, Nr. 219: (Schweizerblätter I, Heft 7. S. 25. Vgl. Hs. H. Bluntschli, Memorabilia Tigurina. Zürich, 1742. S. 551)