323. Beim St. Katharinabrunnen.

Zwischen Halbmil und Grünhag, wo auf einem alten Bergsturz der große Buchenwald zur Talebene herabreicht, entspringt wenige Schritte von der Landstraße eine reiche Quelle, der St. Katharinabrunnen. Vor Jahrhunderten war dort die Kapelle der heiligen Katharina, und die Kirche besass da bedeutende Liegenschaften, namentlich Weinberge. Alles das ist tief verschüttet durch den vom Spitzbühl herabkommenden Rüfebach. Erlen und Buchen stehen jetzt auf dem steinigen Grund. Die Name Brunnenwingert und Meiersberg erzählen noch von vergangenen Zeiten. Die Rufe habe einst auch ein Glöcklein wieder ans Tageslicht gebracht. Der an der Landstraße gelegene sonnige, windgeschützte, wasser- und holzreiche Winkel war seit jeher ein Lieblingsaufenthalt fahrender Leute, Zigeuner, Keßler und Korbmacher. Für die Einheimischen ist der Ort der Schauplatz von Geistererscheinungen. Da sieht man um Mitternacht geheimnisvolle Gestalten wandeln und hört durch das Murmeln des Wassers und durch das Raunen und Rauschen des Waldes leise die Glöcklein der verschwundenen St. Katharinakapelle klingen.
J. B. Stoop

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 323, S. 180f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, September 2005.