303. Der unerschrockene Bub

Ein Senn schickte seinen Buben nach der Heimfahrt auf die Alp, um den vergessenen Melkstuhl zu holen. Weil es schon spät war, mußte der Knabe in der verlassenen Alphütte übernachten. Er legte sich auf die "Tril" und schlief bald ein. In der Nacht erwachte er und sah, daß in der Alphütte alles in Tätigkeit war. Volle "Milchmuttlen" wurden aus der Hinterhütte herausgetragen; der Senn nahm den Nidel ab; die Milch wurde in das große Kessi geschüttet und gekäset; zwei Zusennen trieben den großen "Ankenkübel" u. s. w. Als alles fertig war, wurde das Essen bereitet; sie setzten sich zu Tisch, und der Senn rief, der auf der "Tril" solle mithalten. Der Bub stand auf und bemerkte, daß einer auf seinem Melkstuhl saß. Er riß ihm diesen ohne weiteres weg. Damit war der Zauber gebrochen. Sie waren durch seinen Mut erlöst.
J. B. Stoop

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 303, S. 168f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, August 2005.