WIELAND


WIELANDS WASSERFAHRT


Wieland war in seiner Jugend zu Zwergen in die Lehre gekommen, die berühmte Schmiede waren und in einem Berge wohnten. Als seine Lehrmeister sahen, wie geschickt Wieland geworden war, trachteten sie ihm nach dem Leben. Um sich zu retten, mußte Wieland die Zwerge erschlagen und gewann so seine Freiheit. Nun wollte er in die Welt ziehen, sein Glück zu versuchen, und kam bei seiner Wanderung zur Weser, nahe dem Meere. Da er nicht über den Fluß konnte, fällte er einen starken Baum, den er ganz aushöhlte. Dann legte er sein Schmiedewerkzeug und die Schätze, die er aus dem Berge mitgenommen hatte, in den Einbaum, kroch selbst hinein und verschloß das Fahrzeug ganz dicht. Er hatte Luken in den Baum geschnitten, die er mit Glas verschloß, so daß er hindurchsehen konnte, während ihn selbst niemand entdecken konnte.

In diesem Gefährte ließ Wieland sich den Fluß hinabtreiben und kam bald auf die offene See. Nach achtzehn Tagen trieben die Wellen den Baumstamm an Land, wo er Fischern ins Netz geriet, die sogleich sahen, daß ihr Fang kunstvoll zugerichtet, aber fest verschlossen war. Sie meinten einen Schatz gefunden zu haben und sandten König Nidung, der über das Land dort herrschte, einen Boten, der über den Fund berichten sollte. Der König war bald selbst zur Stelle, und als seine Leute auf sein Geheiß sich anschickten, den Baumstamm gewaltsam zu öffnen, schloß Wieland selbst das Fahrzeug auf und trat vor den König; er bat ihn, sein zu schonen. Nidung sicherte ihm Schutz für Leben und Habe zu, und Wieland begab sich an den Königshof. Sein Hab und Gut verbarg er in der Nähe der Küste, doch beobachtete ihn dabei Regin, einer von den Gefolgsleuten des Königs.

WIELAND FERTIGT DIE BILDSÄULE REGINS


Wieland trat in die Dienste Nidungs. Er verlor einmal ein Messer des Königs und schmiedete als Ersatz ein anderes, das so scharf war, wie der König nie eines gesehen hatte. Am Hofe weilte aber ein Schmied namens Amilias, der darüber eifersüchtig wurde und mit Wieland eine Wette auf Leben und Tod einging, wer von ihnen der bessere Schmied wäre. Amilias sollte eine volle Rüstung schmieden, Wieland dagegen ein Schwert.

Als Wieland mit der Arbeit beginnen und sein Werkzeug holen wollte, war es verschwunden. Er dachte sogleich, daß es der Mann gestohlen habe, der ihn einst beobachtet hatte, als er seine Habe vergraben hatte. Er wußte aber nicht, wie der Mann hieß und bat den König, sein ganzes Gefolge zu versammeln; er dachte, so werde er den Dieb ausfindig machen. Nidung erfüllte seinen Wunsch, aber Wieland konnte den Dieb nicht finden, und der König ward darüber sehr ärgerlich.

Daraufhin machte Wieland ein Kunstwerk, und zwar ein männliches Bildnis. Das war einem Mann so täuschend ähnlich, daß es sogar Haare auf dem Kopf hatte. Dieses setzte er eines Abends in eine Ecke der Halle, wo der König vorüber mußte, wenn er nach dem Abendtrunke in sein Schlafgemach ging. Als der König aufbrach, leuchtete Wieland ihm mit einer Kerze, und da fiel Nidungs Blick auf das Bild. Er redete es sogleich an: "Sei willkommen, guter Freund Regin. Warum stehst du so allein da? Wie ist es dir in Schweden mit den Aufträgen ergangen, die ich dir gegeben habe, und wann bist du zurückgekommen?" Da sagte Wieland, Nidung werde keine Antwort bekommen, denn er habe die Gestalt aus dem Gedächtnisse gemacht. Das sei nämlich der Mann, der ihm sein Werkzeug genommen habe. Da wußte der König, warum Wieland den Dieb nicht hatte finden können, denn Regin war gar nicht in der Versammlung gewesen, sondern auf seinen Befehl nach Schweden gereist. Als er von seiner Reise zurückkehrte, mußte er auf Nidungs Geheiß Wielands Habe herausgeben, und dieser machte sich sogleich an die Arbeit.

DER WETTKAMPF MIT AMILIAS


Sieben Tage lang schmiedete Wieland an seinem Schwerte, das so schön und scharf wurde, wie Nidung nie eines gesehen hatte. Wieland ging mit der Waffe zum Flusse und ließ eine Wollflocke gegen ihre Schneide antreiben. Das Schwert zerschnitt die Flocke wohl, aber Wieland war noch nicht damit zufrieden. Er zerfeilte das Schwert zu kleinen Eisenspänen, mischte sie mit Mehl und gab sie Vögeln zu fressen, die er drei Tage hatte hungern lassen. Als die Vögel die Späne wieder von sich gegeben hatten, schmelzte er diese in der Esse, so daß jeder Rest von Schlacke entfernt wurde, und schmiedete die Waffe aufs neue. Er stellte dieselbe Probe an wie das erstemal, aber noch immer war er nicht zufrieden, zerfeilte auch dieses Schwert und schmiedete es neu. Als er dann die Wollflocke gegen die Schneide treiben ließ, war die Schnittfläche ganz glatt, und jetzt war Wieland zufrieden.

Darüber waren drei Wochen vergangen, und der Entscheidungstag nahe. Amilias hatte seine Rüstung vollendet, legte sie an und setzte den Helm auf. Auf einem freien Platze hatten alle Königsmannen sich versammelt, und Amilias setzte sich auf einen Stuhl in ihrer Mitte. Da trat Wieland mit dem Schwerte hinzu, das er geschmiedet hatte, setzte die Spitze auf den Helm seines Gegners und fragte ihn, ob er etwas spüre. Amilias rief, er möge zuhauen, so fest er nur könne. Da drückte Wieland das Schwert fest gegen den Helm und zog es durch Helm und Haupt, Hämisch und Rumpf bis zum Gürtel. So ward Amilias mitten entzweigeschnitten, und um sein Leben war es geschehen.

WIELANDS GEFANGENSCHAFT UND FLUCHT


Wieland blieb nun hochgeehrt am Hofe Nidungs, aber bald änderte sich seine Lage. In der Schlacht hatte er einst Nidung einen großen Dienst erwiesen und ihm geholfen, den Sieg zu erringen. Dafür hatte Nidung ihm die Hand seiner Tochter Badhild zugesagt, aber dann löste er sein Versprechen nicht ein, und schließlich kam es dahin, daß er Wieland überfallen und ihm die Sehnen an den Kniekehlen durchschneiden ließ. Er ließ den Gelahmten dann auf eine einsame Insel bringen; dort mußte Wieland für ihn Kostbarkeiten aller Art schmieden.

Wieland aber dachte an Rache für das alles. Heimlich schuf er sich kunstvolle Flügel, und als ihn einst Nidungs Söhne besuchten, um die Schätze in der Werkstatt zu beschauen, tötete er sie und verbarg die Leichen in der Schmiede. Auch Badhild, die Königstochter, lockte er zu sich und brachte sie in seine Gewalt. Sie empfing von ihm einen Sohn, der später ein berühmter Held wurde; das war Witege, der sich, von seinem Vater mit Rüstung und Waffen beschenkt, an den Hof Dietrichs von Bern begab.

Als Wieland glaubte, sich genug an Nidung gerächt zu haben, legte er seine Flügel an und flog so auf den Giebel von Nidungs Haus. Er tat ihm kund, daß er seine Söhne ermordet habe, und. daß Badhild von ihm einen Sohn bekommen werde. Dann schwang er sich hoch in die Luft und flog hinweg, der König aber blieb ratlos und voll Schmerz zurück und mußte zusehen, wie Wieland sich lachend seiner Macht entzog.


Quelle: Oskar Ebermann, Sagen der Technik, o. J., S. 21