Sieg der Troianer

Für den Augenblick jedoch hatte es Zeus anders in seinem Rate beschlossen. "Höret mein Wort", sprach er zu den versammelten Göttern und Göttinnen am anderen Morgen, "wer mir heute hingeht, den Troianern oder den Griechen beizustehen, den fasse ich und schleudere ihn in den Abgrund des Tartaros unter das Erdreich, so tief hinunter, als tief unter dem Himmel die Erde drunten liegt; dann verschließe ich die eiserne Pforte, welche die eherne Schwelle der Unterwelt verwahrt, und der Missetäter kommt mir nicht mehr herauf. Und zweifelt ihr an meiner Allmacht, so versucht es; befestiget eine goldene Kette am Himmel, hängt euch alle daran und sehet zu, ob ihr mich auf den Erdboden herabzuziehen vermögend seid. Vielmehr würde ich euch selbst mitsamt Erd' und Meer emporziehen, die Kette an der Felsenkuppe des Olymp festbinden und so das Weltall in der Schwebe tragen." Die Götter demütigten sich unter dieses zornige Wort; Zeus selbst bestieg seinen Donnerwagen und fuhr nach dem Ida, wo er einen Hain und Altar hatte. Dort setzte er sich auf die Höhe und überschaute mit freudigem Trotz die Stadt der Troianer und das griechische Schiffslager. An beiden Orten warfen sich die Männer in die Rüstung. Der Troianer waren zwar weniger, doch waren auch sie nach der Schlacht begierig, galt es doch den Kampf für ihre Weiber und Kinder. Bald öffneten sich bei ihnen die Tore, und ihr Kriegsheer stürzte, zu Fuß und zu Wagen, unter Getümmel heraus. Den Morgen über wurde mit gleichem Glück gekämpft, und auf beiden Seiten strömte viel Blut auf den Boden. Als aber die Sonne hoch am Mittagshimmel stand, legte Zeus zwei Todeslose in seine goldene Waage, faßte sie in der Mitte und wog in der Luft. Da sank das Verhängnis der Griechen, daß ihr Gewicht sich bis zur Erde niedersenkte und das der Troianer zum Himmel emporstieg.

Mit einem Donnerschlage kündigte er die verwandelte Schickung dem Heere der Griechen an, indem ein Blitzstrahl mitten unter dasselbe herabfuhr. Bei diesem Anblick durchschauderte ein ahnungsvoller Schrecken die Reihen der Griechen, und die größten Helden fingen an zu wanken. Idomeneus, Agamemnon, die beiden Aias selbst hielten nicht mehr stand. Bald war nur noch der greise Nestor im Vorderkampfe zu schauen, aber auch dieser nur gezwungen, denn Paris hatte sein Roß vorn am Mähnenbusch mit einem Pfeile tödlich getroffen. Das Pferd bäumte sich angstvoll und wälzte sich bald mit seiner Wunde; während nun Nestor dem Nebenroß die Stränge mit seinem Schwert abzuhauen bemüht war, kam Hektor mit seinem Wagen, in der Verfolgung der Griechen begriffen, auf ihn zugefahren, und jetzt wäre es um das Leben des edlen Greises geschehen gewesen, wenn nicht Diomedes herbeigeeilt wäre. Dieser schalt den mit umgewandtem Rücken den Schiffen zufliehenden Odysseus und ermunterte ihn vergebens zur Abwehr; dann stellte er sich selbst vor die Rosse Nestors, überantwortete sie dem Sthenelos und Eurymedon und nahm den Greis auf seinen eigenen Wagen. Dann ging er mit ihm gerade dem Hektor entgegen, schickte seinen Speer ab und verfehlte zwar den Helden selbst, durchschoß jedoch seinem Wagenlenker Eniopeus die Brust, daß er dem Wagen entsank. So tief ihn der Tod des Freundes schmerzte, ließ ihn Hektor doch liegen, rief einen anderen Helden herbei, die Rosse zu lenken, und flog dem Diomedes entgegen. Hektor wäre verloren gewesen, wenn er sich mit dem Tydiden gemessen hätte, und Zeus wußte wohl, daß mit seinem Sturze sich die Schlacht gewendet und die Griechen noch an diesem Tage Ilion erobert hätten. Dies wollte Zeus nicht und schleuderte dicht vor dem Wagen des Diomedes einen Blitzstrahl in den Boden. Nestor ließ vor Schrecken die Zügel aus den Händen fahren und sprach: "Auf, Diomedes, wende deine Rosse zur Flucht, erkennst du nicht, daß Zeus dir heute den Sieg verweigert?" - "Du hast recht, o Greis", erwiderte dieser, "aber es empört mir das Herz, wenn Hektor einst in der Versammlung der Troianer sagen darf: der Sohn des Tydeus hat sich vor mir in banger Flucht den Schiffen zugewendet!" Aber Nestor sprach: "Was denkst du, wenn dich Hektor auch feige schilt, werden ihm die Troer und Troerinnen glauben, deren Freunde und Gatten du in den Staub gestreckt hast?" Mit diesen Worten wandte er die Rosse zur Flucht und Hektor, mit seinen Troianern nachstürmend, rief: "Tydide, dich ehrten die Griechen in der Versammlung und beim Festmahl; künftig verachten sie dich wie ein zagendes Weib! Du bist es nicht, der Troia erobern und unsere Frauen zu Schiffe wegführen wird!" Da besann sich Diomedes dreimal, ob er die Rosse umlenken und dem Höhnenden entgegenfahren sollte, aber dreimal donnerte Zeus fürchterlich vom Ida her, und so setzte er die Flucht und Hektor die Verfolgung fort.

Vergebens wollte Hera, die dies mit Kummer sah, Poseidon, den besonderen Schutzgott der Danaer, bewegen, seinem Volke beizustehen; er wagte es nicht, gegen das zornige Wort seines mächtigen Bruders zu handeln. Jetzt waren die fliehenden Griechen mit Roß und Mann am Wall und Graben vor den Schiffen angekommen, und gewiß wäre Hektor eingedrungen und hätte die Brandfackel ins Schiffslager der Griechen geworfen, wenn nicht Agamemnon, von Hera ermutigt, die verstörten Griechen um sich gesammelt hätte. Er betrat das gewaltige Meerschiff des Odysseus, das in der Mitte stand und hoch über die anderen hervorragte. Hier stand er auf dem Verdeck, den schimmernden Purpurmantel mit der nervigen Rechten sich über die Schulter schlagend und rief, auf der einen Seite zu den Gezelten des salaminischen Aias, auf der anderen zu denen des Peliden hinab, wo auf beiden Seiten das flüchtende Heer sich zusammendrängte: "Schämet euch, Verworfene", rief er, "wo ist euer Heldenruhm jetzt, ihr Prahler bei den Krügen? Vor dem einen Hektor sind wir jetzt zunichte geworden, bald wird er unsere Schiffe in Brand stecken. O Zeus, mit welchem Fluche hast du mich beladen! Wenn ich dich je mit Gebeten und Opfern geehrt, so laß uns jetzt wenigstens entfliehen und entkommen, und nicht hier bei den Schiffen von der Macht der Troianer erdrückt werden!" So rief er unter Tränen, daß es den Göttervater selbst erbarmte und er den Griechen ein heilvolles Zeichen vom Himmel sandte, einen Adler, der ein junges Reh in den Klauen trug und vor dem Altar des Zeus selbst niederwarf.

Dieses Zeichen stärkte die Danaer, und aufs neue flogen sie vorwärts, dem Gewühl der eindringenden Feinde entgegen. Vor allen anderen sprengte Diomedes mit seinen Rossen über den Graben hervor und stieß den Troianer Agelaos, der vor ihm seinen Streitwagen zur Flucht wandte, mit dem Speer durch den Rücken. Nächst ihm drangen Agamemnon und Menelaos vor, ihnen zunächst die beiden Aias, dann Idomeneus und Meriones, dann Eurypylos. Jetzt kam Teukros als der neunte; dieser, hinter dem Schilde seines Halbbruders Aias aufgestellt, schoß einen Troianer um den anderen mit seinen Pfeilen in den Staub. Schon hatte er ihrer acht zu Boden gestreckt, als Agamemnon einen freudigen Blick auf ihn warf und ihm zurief: "Triff so fort, edler Freund, und werde ein Licht der Danaer! Gewähren uns Zeus und Athene, Troia zu vertilgen, so sollst du der Erste sein, dem ich ein Ehrengeschenk verleihe!" - "Du brauchst mich nicht lange zu ermahnen, König", antwortete ihm Teukros, "fällt es mir doch nicht ein zu rasten, sofern mich nur die Kraft nicht verläßt. Nur den wütenden Hund dort zu treffen ist mir noch nicht gelungen!" Damit sandte er einen Pfeil gerade auf Hektor ab; dennoch fehlte das Geschoß und traf nur einen Bastard des Priamos, den Gorgythion, der sein helmbeschwertes Haupt zur Seite neigte, wie ein Mohnhaupt unter dem Regenschauer des Frühlings sich beugt. Einen zweiten Pfeil des Teukros lenkte Apollon ab, doch durchschoß er die Brust seines Wagenlenkers Archeptolemos. Auch diesen Freund ließ Hektor mit bitterem Schmerze liegen und rief einen dritten auf den Wagen. Dann drang er in heißer Begier auf Teukros los und traf ihn, als er eben den Bogen wieder spannte, mit einem kantigen Stein am Schlüsselbeine, daß die Sehne ihm zerriß, die Hand am Knöchel erstarrte und er ins Knie sank. Aber Aias vergaß des Bruders nicht, er umging ihn und deckte ihn so lange mit dem Schild, bis zwei Freunde den schwer Aufstöhnenden nach den Schiffen getragen hatten.

Nun aber stärkte Zeus den Troianern den Mut wieder. Wütend und mit funkelnden Augen drang Hektor mit den Ersten voran und verfolgte die Griechen, wie ein Hund den gehetzten Eber im Bergwalde verfolgt, indem er immer jeden äußersten, der ihm in den Wurf kam, niederstreckte. Die Griechen wurden wieder zu den Schiffen zusammengedrängt und beteten geängstigt zu ihren Göttern. Das erbarmte Hera, und zu Athene gewendet, sprach sie: "Wollen wir das sterbende Volk der Danaer immer noch nicht retten? Siehst du nicht, wie unerträglich Hektor dort unten wütet, welches Blutbad er schon angerichtet hat!" - "Ja, mein Vater ist grausam", antwortete Athene, "er hat ganz vergessen, wie getreulich ich seinem Sohne Herakles auf allen Abenteuern zur Seite gestanden habe. Aber die Schmeichlerin Thetis hat ihn mit ihren Liebkosungen bestochen, und nun bin ich ihm verhaßt geworden. Doch, denke ich, nennt er mich einmal wieder sein blauäugiges Töchterlein. Hilf mir den Wagen anschirren, Hera, ich selbst will zum Vater nach dem Ida hinabeilen!"

Aber Zeus ergrimmte, als er dies inne wurde, und seine windschnelle Botin Iris mußte den Wagen aufhalten, als er mit den beiden Göttinnen eben durch das vorderste Tor des Olymp hindurchfuhr. Auf seine zornige Botschaft lenkten diese um, und bald erschien Zeus auf dem Donnerwagen selbst wieder, daß die Höhen des Götterberges vor seinem Nahen erbebten. Aber er blieb taub gegen die Bitten der Gemahlin und der Tochter. "Noch größeren Sieg der Troianer sollst du morgen schauen", sprach er zu Hera. "Nicht eher soll der gewaltige Hektor vom Streite ruhen, bis die Griechen in schrecklicher Bedrängnis, um die Steuerruder ihrer Schiffe zusammengedrängt, kämpfen und der zürnende Achilles sich wieder in seinem Zelte erhebt. So ist es der Wille des Verhängnisses." Hera ward traurig und verstummte.

Bei den Schiffen hatte die Nacht dem Kampfe ein Ziel gesetzt. Hektor berief seine Krieger, seitwärts von den Schiffen bei den Wirbeln des Skamanders, zu einer Ratsversammlung, und sprach: "Hätte uns die Nacht nicht ereilt, so wären die Feinde jetzt vertilgt. Aber auch so lasset uns nicht in die Stadt zurückkehren, sondern führet eilig aus derselben Hornvieh und Schafe herbei, auch Wein und Brot werde uns reichlich aus den Häusern herbeigeschafft; Wachtfeuer sollen uns rings vor einem Überfall der Feinde schützen, während wir des Mahles oder der Wunden pflegen. Mit Anbruch des Morgens erneuern wir den Angriff auf die Schiffe, dann will ich sehen, ob Diomedes mich zur Mauer hinwegdrängt, oder ich ihm selbst die Rüstung vom Leichnam abziehe!" Die Troianer rauschten ihm Beifall zu; es geschah nach seinem Rate, die ganze Nacht über rasteten sie, im Schütze von tausend Wachtfeuern, je fünfzig und fünfzig bei Schmaus und Wein; ihre Rosse standen beim Geschirr und labten sich an Spelt und Gerste.